Zahlungsverkehr der Zukunft – wohin gehen Deutschland und Europa? Burkhard Balz, Deutsche Bundesbank
Am 7. Februar referierte Burkhard Balz (Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank) im Rahmen der SAFE Policy Lectures an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main über die Zukunft des Zahlungsverkehrs in Deutschland und Europa sowie die Sicht der Bundesbank dazu. Die Zusammenfassung seiner Rede.
von Burkhard Balz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
Sei es die Wahl zum Europäischen Parlament, das Jubiläum zu 100 Jahre Bauhaus, das durch interdisziplinäres Denken und agiles Arbeiten bis heute wegweisend ist, oder Entwicklungen zur Künstlichen Intelligenz. Die Zukunft entsteht heute. Und sie will gestaltet sein. Dabei sollte die Rolle des Zahlungsverkehrs keineswegs unterschätzt werden.2019 wird ein ereignisreiches Jahr für Deutschland und Europa in vielerlei Hinsicht.
Neue Technologien ändern Zahlungsgewohnheiten
Fast täglich halten neue Technologien in unseren Alltag Einzug. Vieles davon finden wir im Zahlungsverkehr wieder. Fast jeder hat besitzt eine Kreditkarte oder girocard, mit der inzwischen kontaktloses Bezahlen im Handel mittels NFC-Technologie möglich ist. Für Einkäufe im Netz sind Internetbezahlverfahren wie PayPal oder Amazon Pay weit verbreitet. Viele nutzen bereits eine Banking App für ihre Bankgeschäfte. Sogenannte Peer-to-Peer, also P2P-Zahlungen werden immer beliebter. Und einige werden bereits mit dem Smartphone im E- und M-Commerce oder an der Ladenkasse bezahlt haben, eventuell mit dem Fingerabdruck zur Autorisierung. Noch schätzen die meisten Menschen Bargeld als Zahlungsmittel. Die Bundesbank wertet hier nicht: Die Marktteilnehmer sollen entscheiden, wie sie zahlen wollen.
Allerdings nimmt mit der fortschreitenden Vernetzung Europas nicht nur bei jungen Leuten der Bedarf an universell einsetzbaren Zahlungsmitteln zu. Inzwischen werden mehr als 8 Prozent der Kartenzahlungen grenzüberschreitend getätigt. Dafür aber ist die girocard, ebenso wie andere nationale Debitkarten, nicht gerüstet. Es wäre an der Zeit, eine unabhängige europäische Lösung zu schaffen.
Plattformen nutzen die Marktmechanismen
Viele dieser Entwicklungen wurden von bekannten internationalen Technologiekonzernen, BigTechs aus den USA und China, auf den Weg gebracht. Ihre Prozesse sind „digital-by-design“. So erweitern Google, Apple, Amazon, ebenso wie Alibaba, Tencent & Co. sukzessive ihr Angebot, ihr „Ökosystem“ mit dem Ziel, immer mehr Nutzer auf die Plattform zu ziehen und sie immer länger dort zu halten. Plattformen können rasch Marktanteile gewinnen und so Skalen- und Verbundeffekte realisieren. Ein Beispiel: PayPal und Amazon vergeben inzwischen auch kleinere Geschäftskredite an „ihre“ Händler – ein Warnsignal für die etablierte Bankenwelt.
Zusammen genommen begünstigen jedenfalls Netzwerk-, Skalen- und Verbundeffekte, dass sich Monopole herausbilden können. In diesen Märkten gilt: ‘the winner takes it all’.”
Über Amazon wird inzwischen laut einer Hochrechnung mehr als die Hälfte des Online-Handelsumsatzes in Deutschland abgewickelt. Amazon ausgenommen, können Käufer in neun von zehn der 1.000 umsatzstärksten Onlineshops PayPal nutzen. Dabei wird ungefähr 40 Prozent des Umsatzes der Top-1000 Händler damit bezahlt.
Inzwischen erfolgt die Hälfte der Online-Einkäufe in Deutschland vom Smartphone aus. Und da kaum jemand auf einem 5×9 cm großen Bildschirm die IBAN oder Kartennummer eintippen möchte, wird gerade beim mobilen Internetkauf auf voreingestellte, bekannte und in anderen Situationen bewährte Zahlungswege und 1-Click-Payments zurückgegriffen. Es besteht die Gefahr, dass Zahler und Zahlungsempfänger sich nur noch innerhalb geschlossener Ökosysteme bewegen können, also zum Beispiel in der Apple-, Android- oder Amazon-Welt.
Ökosysteme sind Bestandteil der digitalen Wirtschaft. Es kommt jedoch ganz entscheidend auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen an. Regulierungs-, Aufsichts-, Kartell- und Verbraucherschutzbehörden auf nationaler wie europäischer Ebene sollten sich intensiv und koordiniert mit der Frage auseinandersetzen, wie die Interessen der europäischen Verbraucher und Unternehmen nach sicheren, effizienten Zahlungen und Schutz ihrer Daten langfristig gewahrt bleiben; wie Innovationen vorangetrieben werden können, diese aber nicht dazu dienen, Märkte abzuschotten und Lock-in Effekte zu kreieren; und wie europäische Alternativen erhalten bleiben oder entwickelt werden, um Gestaltungshoheit und Wettbewerb zu erhalten.
Hürden für mobiles Bezahlen überwinden
In wieweit sich das mobile Bezahlen im Handel – ob mit oder ohne Kasse – durchsetzen wird, muss sich trotz aller medialer Aufmerksamkeit für das Thema erst noch zeigen. Die Voraussetzungen sind günstig: Allein in Deutschland nutzen 57 Millionen Leute ein Smartphone. Sie haben es rund um die Uhr bei sich und schauen im Durchschnitt 88 Mal am Tag darauf. Die meisten Smartphones sind mit einem NFC-Chip ausgestattet, der grundsätzlich das kontaktlose Bezahlen erlaubt.
Kürzlich hat die deutsche Kreditwirtschaft die girocard ins Smartphone gebracht. 97 Prozent der Bevölkerung verfügen über eine physische girocard. Zudem vertrauen die Konsumenten mehrheitlich ihrer Bank beziehungsweise Sparkasse als Anbieter mobiler Zahlverfahren. Allerdings funktioniert das mobile Bezahlen bisher nur mit dem Android-Betriebssytem. Apple öffnet seine NFC-Schnittstelle nur für Apple Pay.
Eine Vielzahl neuer Marktteilnehmer drängt in den Markt. Der Wettbewerb – und damit die Fragmentierung – nimmt zu. Verbraucher wiederum bevorzugen häufig flächendeckende, einheitliche Lösungen analog etwa zur Kartenzahlung. Wer will schon mit sechs verschiedenen Bezahl-Apps hantieren müssen?
Es muss eine neue Balance gefunden werden zwischen effizienten und sicheren Zahlungen, ausreichend Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und Händler sowie der Einhaltung des Datenschutzes.”
Europäische API und Open Banking zusammenführen
Wie können gleiche Wettbewerbsbedingungen garantiert werden? Dazu bedarf es offener, interoperabler Schnittstellen und gemeinsamer Standards. Erst dann können alle Teilnehmer in der Wertschöpfungskette die für die Zahlung notwendigen Daten effizient und sicher austauschen. Hier können auch Gremien wie die nationalen Foren für den Zahlungsverkehr, das Euro Retail Payments Board ( ERPB) unter Leitung der Europäischen Zentralbank und Industrievereinigungen wie der European Payments Council ( EPC) und die European Cards Stakeholders Group ( ECSG) helfen, die notwendigen Weichen für passende Standards stellen.
Ein Beispiel ist die Gründung einer Arbeitsgruppe des ERPB, die sich auf Standards für eine europäische PSD2 API einigen soll. Ab September sollen nun lizensierte Zahlungsauslösedienste über eine standardisierte Schnittstelle auf genau definierte Kontoinformationen beim kontoführenden Institut zugreifen können. Der Kunde muss zuvor explizit dem Datenaustausch zugestimmt haben. Und die API muss festgelegten Kriterien folgen, zum Beispiel hinsichtlich der Verfügbarkeit und Performanz. Ansonsten darf der Dienst das Online Banking des Kunden direkt einsehen und die erforderlichen Daten daraus ziehen.
Mittlerweile gibt es europaweit mindestens neun verschiedene Ansätze der Kreditwirtschaft, diese Schnittstelle auszugestalten. Es geht aber auch um die mittelfristige Gestaltung eines funktionierenden API-Ökosystems.
Damit verbunden sollten zudem ernsthaft weiterreichende Ansätze in Richtung „Open Banking“ verfolgt werden. Denn die Alternative könnte sein, dass sonst Andere über die Gestaltung der künftigen Zahlungsverkehrslandschaft in Europa entscheiden. „Open Banking“ bedeutet für mich, im europäischen Zahlungsverkehr und darüber hinaus die Prozesse und Strukturen für Morgen zu schaffen.
Instant Payments zum Standard machen
Gerade die traditionellen Privatkundenbanken müssen in Anlehnung an das Bauhaus – “die Welt neu denken”, die eigenen Geschäftsprozesse hinterfragen, dekonstruieren und über den selbst gesteckten Rahmen hinaus neu zusammensetzen. Es geht um „Echtzeit“ und „instant“. Im Euro-Zahlungsverkehr stehen Echtzeitzahlungen immer noch am Anfang.
Seit über einem Jahr können Echtzeitzahlungen nach dem Regelwerk für SEPA Instant Überweisungen des EPC abgewickelt werden. Innerhalb von maximal zehn Sekunden, rund-um-die Uhr, an 365 Tagen im Jahr kann der Begünstigte dann final über den Zahlbetrag verfügen.
Zur Abwicklung von Instant Payments in Euro stehen bereits seit Ende 2017 nationale und ein europäisches Clearingsystem bereit. Am 30. November 2018 startete außerdem das TARGET Instant Payment Settlement System, abgekürzt TIPS. Es stellt die pan-europäische Erreichbarkeit aller Institute sicher und trägt dazu bei, dass Instant Payments der neue Normalfall im europäischen Zahlungsverkehr werden können.
Das Fundament für Instant Payments ist gelegt. Langfristig wird es wirtschaftlicher sein, statt zwei Systeme parallel zu betreiben, „instant“ als „new normal“ zu unterstützen.”
Das „Just-in-Time“-Prinzip könnte in der gesamten Prozesskette verankert werden. Marktteilnehmer können Liquiditätsreserven besser ausschöpfen. Zahlungen lassen sich „instant“ reibungsloser in Kauf- bzw. Lieferprozesse einfügen. Durch die sofortige Ausführung der Zahlung verbunden mit einer geeigneten Anzeige auf dem Mobiltelefon können Käufer wieder mehr Kontrolle darüber erlangen, über wie viel Geld sie noch verfügen. Auch der Handel zeigt ein reges Interesse an Echtzeitzahlungen für das Einkaufen im Geschäft und im Online-Handel. Europaweit müssen Kreditinstitute ihre internen Systeme fit machen für die Echtzeitverarbeitung.
Die Bundesbank begrüßt hier auch Überlegungen, etablierte Zahlungsmittel wie die girocard aufzuwerten und „europatauglich“ zu gestalten, indem etwa die grenzüberschreitende Abrechnung über die neuen Instant-Payments-Kanäle erfolgt. Nicht zuletzt müssen Betrugsversuche nun ebenfalls in Echtzeit erkannt werden – vielleicht unter Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz.
Zahlungsverkehr der Zukunft
Ich bin überzeugt, dass mit Instant Payments deutsche und europäische Kreditinstitute wieder näher an ihre Kunden heranrücken können. Gegenwärtig existieren noch eine Handvoll relevanter nationaler Kartensysteme in Europa. Sie stellen sicher, dass inländische Kartentransaktionen effizient, sicher und kostengünstig ablaufen und weitgehend ohne teure System- oder Lizenzgebühren auskommen. Doch der Marktanteil internationaler Kartensysteme ist innerhalb von nur sieben Jahren von ca. 50 Prozent auf über 70 Prozent im Jahr 2016 gestiegen, gemessen an der Anzahl der Zahlungen im Euroraum.
Vor einigen Monaten haben die europäischen Kartensysteme eine neue Initiative gestartet, um zumindest grenzüberschreitende Kartenzahlungen über die EU-weit harmonisierten Instant-Payments-Wege abzuwickeln. Die Bundesbank begrüßt diese Ideen sehr. Denn wir sind – trotz SEPA – immer noch weit weg von einem integrierten europäischen Markt für Kartenzahlungen.
Vorstellbar wäre zudem, eine Art Marke für europäische Zahlungen zu entwickeln. Diese könnte unter einem Dach anzeigen, dass alle nationalen Karten SEPA-weit akzeptiert werden. Außerdem könnte so für jene Länder, in denen kein nationales Kartensystem existiert, ein alternativer Zahlungsweg eröffnet werden. So war etwa jetzt im Januar bei einer Veranstaltung der Banque de France von „European Brand“ die Rede.
Das würde Chancen eröffnen, sich im digitalen Zahlungsmarkt kraftvoller zu positionieren und Europa auch wieder ein Stück weit näher an die Bürgerinnen und Bürger heranzubringen. Zwar sind Karten mit einem Transaktionsanteil von mehr als 50 Prozent heute das wichtigste elektronische Zahlungsmittel. Doch sie können nicht mehr isoliert von anderen Zugangswegen zum oder vom Konto betrachtet werden, sondern müssen sich der Konkurrenz durch mobile und Internetbezahlverfahren stellen.
Derzeit gibt es einige, zum Teil sehr erfolgreiche nationale Zahlverfahren, etwa iDEAL aus den Niederlanden oder Swish aus Schweden. Die von den deutschen Banken und Sparkassen entwickelten Pendants giropay, paydirekt und kwitt konnten noch keine so große Marktdurchdringung erzielen.
Im digitalen Zeitalter werden sich nur solche Produkte durchsetzen, die dem Kunden eine hohe ‘convenience’ bieten.”
Um langfristig im europäischen Markt mitspielen und internationalen Wettbewerbern auf Augenhöhe begegnen zu können, müssen die nationalen Verfahren grenzüberschreitend erreichbar sein. Hierfür kommt es darauf an, Kontodaten mit einer Telefonnummer, gegebenenfalls auch mit einem Nutzernamen oder einer E-Mail-Adresse verschlüsselt zu verlinken – und zwar nicht nur national, sondern europaweit.
Daneben bedarf es aus meiner Sicht einer europäischen Infrastruktur für eine rechtssichere elektronische Identität.
Der Dreiklang aus Digitalisierung, Regulierung und Wettbewerb setzt die etablierten Spieler unter Veränderungsdruck. In einer Netzwerkindustrie wie dem Zahlungsverkehr wird es künftig noch viel mehr darauf ankommen, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten und die Stärken Europas auszuspielen.
Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.pp
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