Wenn Digitalisierung zur Misere wird
Viel Geld stecken Unternehmen in die Digitalisierung von Prozessen, Vertriebskanälen und Kundenschnittstellen. Statt Arbeit zu vereinfachen, Kosten zu reduzieren sowie die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern zu steigern, kann jedoch auch das Gegenteil eintreten. Wie häufig das passiert und wo die Gründe liegen, hat sich Sopra Steria im Auftrag des F.A.Z.-Instituts angeschaut.
Eine durchwachsene Bilanz ziehen deutsche Unternehmen aller Branchen über durchgeführte und gerade in Arbeit befindliche Digitalisierungsmaßnahmen. In mehr als jedem dritten Unternehmen (38 Prozent) steigen die Kosten. Nur 25 Prozent spüren bereits Einspareffekte, weitere 25 Prozent können noch kein Fazit zu den Auswirkungen auf die Kosten ziehen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Potenzialanalyse Reality Check Digitalisierung“ von Sopra Steria in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut.
Schaut man auf Banken, Versicherungen und sonstige Finanzdienstleister, ergibt sich ebenfalls ein gemischtes Bild. Diese sind beispielsweise besonders kritisch in Bezug auf den aktuellen Stand der Digitalisierung. Den digitalen Reifegrad des eigenen Unternehmens sehen im internationalen Vergleich zwar 47 Prozent als gleichauf mit dem Wettbewerb. Aber 41 Prozent sehen sich im Rückstand – deutlich mehr als in den anderen abgefragten Branchen Verarbeitendes Gewerbe (26 Prozent) sowie Öffentliche Verwaltung und Versorgungsunternehmen (33 Prozent).
Welche Projekte stehen an?
Ein wichtiger Bereich ist die Abkehr von Eigen- und Individualentwicklungen bei den eingesetzten Software-Lösungen. Standardsoftware ist bereits bei 53 Prozent der Finanzunternehmen im Rahmen von Digitalisierungsprojekten implementiert worden, weitere 33 Prozent arbeiten gerade an der Einführung. Bei digitalen Services haben bereits 35 Prozent nachgerüstet, 41 Prozent sind gerade dabei, diese zu erweitern. Knapp dahinter liegt das Thema digital Workplace mit 35 Prozent abgeschlossener und 24 Prozent laufender Umsetzung.
Auffällig ist, dass agile Methoden in der Finanzbranche besonders starkes Interesse wecken. Mehr als drei Viertel der Unternehmen nutzen diese bereits oder demnächst, im verarbeitenden Gewerbe dagegen nur gut die Hälfte, in Amtsstuben und bei Versorgern nicht einmal ein Drittel.
Was positiv zu bewerten ist: 40 Prozent der Befragten aus der Finanzbranche geben an, dass es eine Digitalisierungsstrategie gibt, bei 38 Prozent ist diese in der Entwicklung. Im verarbeitenden Gewerbe gilt dies erst für 22 und 31 Prozent der Unternehmen, bei Öffentlicher Verwaltung und Versorgern sind erst 17 Prozent am Ziel, aber 41 Prozent bereits auf dem Weg zu einem strategischen Digitalisierungsansatz.
Einzelne Technologien enttäuschen
Häufig werden technische Entwicklungen im Hype überhöht, zeigen sich dann in der Praxis als weniger leistungsfähig oder geeignet als gedacht. Rund ein Drittel der Finanzunternehmen geben an, dass sie von der Blockchain enttäuscht sind, bei 18 Prozent betrifft dies Künstliche Intelligenz und 16 Prozent hatten sich mehr versprochen vom Internet der Dinge.
Für 28 Prozent gab es dagegen keine Enttäuschungen bei den abgefragten Technologien. Damit ist die Finanzbranche jedoch insgesamt weniger kritisch als beispielsweise das verarbeitende Gewerbe.
Schatten zeigen sich auch bei den erhofften Effekten. So sind bei Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern 55 Prozent unzufrieden mit der Innovationsgeschwindigkeit. 36 Prozent bemängeln den Mehraufwand für Mitarbeiter, der beispielsweise auf mangelnde Benutzerfreundlichkeit zurückgeht – oder auf technische Probleme, die Prozesse unterbrechen und manuelles Eingreifen erfordern.
Jeweils 28 Prozent geben an, dass erhoffte Kosteneinsparungen und der geplante Kundenzuwachs nicht realisiert werden konnten. So ist es auch kein Wunder, dass in einem Viertel der Finanzunternehmen eine geringe Mitarbeiterzufriedenheit bzw. -akzeptanz zu verzeichnen ist.
Ursachenforschung
Doch woran liegt es, wenn in einem Viertel bis in einem Drittel der Fälle die Ziele nicht erreicht, oder noch schlimmer, die Situation nach einem Digitalisierungsprojekt schlechter als vorher ist? Die Consultants von Sopra Steria haben dafür unterschiedliche Gründe ausgemacht.
Bei der Entwicklung der Kosten schlägt beispielsweise der Aufbau von Know-how – sprich: zusätzlichem fachkundigem Personal wie Data Scientists und andere Digitalspezialisten – ins Kontor. Dazu kommen laufende Kosten nach der Einführung neuer IT-Lösungen, die häufig aufgrund längerer Verträge oder aus Sicherheitsgründen eine Zeitlang parallel zur bestehenden Infrastruktur betrieben werden müssen.
Der Mittelstand geht künftig von weiteren Kostensteigerungen aus, so eine Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW): Insgesamt prognostizieren 28 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), dass die Digitalisierung in den kommenden vier Jahren ihre Kosten erhöht.
Als schwierig erweist sich zudem die Kompensation dieser Kosten. Nur jedes fünfte Unternehmen verbucht zusätzliche Umsätze, beispielsweise durch neue digitale Dienstleistungen oder durch das Erschließen neuer Kundengruppen. 19 Prozent konnten ihre Profitabilität in Form höherer Gewinne steigern, unter anderem weil sie mithilfe neuer Technologien Abläufe automatisiert haben.
„Es passieren immer noch einige Kardinalfehler bei der Digitalisierungsstrategie. Zu den häufigsten zählt, dass Prozesse, Organisation und das gesamte Geschäft eins zu eins in die Online-Welt überführt werden und sonst alles beim Alten bleibt.“
Frédéric Munch, Leiter von Sopra Steria Next
Neben technischen Anlaufschwierigkeiten und fehlender Benutzerfreundlichkeit der eingesetzten digitalen Lösungen verzeichnen die Experten auch strategische Fehlplanungen. Viele Unternehmen führen beispielsweise im Kundenservice neue Online-Kanäle wie Chatbots ein, ohne die Abläufe neu zu organisieren und diese da wo möglich zu automatisieren. Die Folge: noch mehr Anfragen für die Mitarbeiter. So wird das Personal durch Digitalisierungsmaßnahmen nicht ent-, sondern tatsächlich belastet. Die Folge: Sinkende Motivation und mangelnde Akzeptanz neuer Systeme.
Erfolge nicht übersehen
Die Studie zeigt jedoch neben zahlreichen Problemen auch die positiven Aspekte der Digitalisierung auf. Rund 60 Prozent der Unternehmen verbuchen Digitalisierungserfolge bei weicheren Kennzahlen wie Kundenzufriedenheit und Innovationsgeschwindigkeit. Für die Mehrheit der befragten Unternehmen hat es sich ausgezahlt, dass sie Kunden früh in Verbesserungen einbezogen haben, beispielsweise bei der Entwicklung von Apps oder der Einführung neuer Online-Geschäftsprozesse.
Zudem zeigt sich in jedem zweiten Unternehmen ein positiver Einfluss der Digitalisierung auf die Mitarbeiterzufriedenheit. „Das zeigt, dass sich die Entlastung von Routineaufgaben tatsächlich auf die Motivation in den Teams auswirkt“, sagt Munch. Positiv wirken sich auch neue Formen der Zusammenarbeit und neue Führungsstile in den Unternehmen aus. Herauszuheben ist hier die Bildung von Teams mit gemischten Qualifikationen: 70 Prozent aller Befragten berichten, dass dies eine Strategie ist, die sich auszahlt.
Der Studie „Potenzialanalyse Reality Check Digitalisierung“ von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut liegen Angaben von 315 Entscheiderinnen und Entscheidern sowie Führungskräften aus den Branchen Finanzdienstleistungen, verarbeitendes Gewerbe, öffentliche Verwaltung und Versorgung sowie Telekommunikation und Medien vom September und Oktober 2020 zugrunde. Die Studie kann von der Website von Sopra Steria kostenlos heruntergeladen werden. hj
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