Von Fraud Detection zum Inkasso: Braucht das Forderungsmanagement überhaupt noch Menschen?
von Dunja Koelwel
Herr Ruoff, KI im Forderungsmanagement eignet sich besonders zur automatischen Bearbeitung von Anfragen in der Inbound-Kommunikation und kann beispielsweise eigenständige Anfragen wie Ratenzahlungswünsche, Zahlungspausen oder Streitfälle kategorisieren, passende Antworten auswählen und versenden. Können Sie noch weitere Beispiele nennen?

Atriga
Für ein etwas präziseres Bild sollten wir drei Bereiche unterscheiden: Kategorisierung und Zuordnung von Inbound-Kommunikation, Auswahl vorbereiteter Antworten und deren Versand sowie tatsächlich fallabschließende Bearbeitung im Rahmen einer bidirektionalen Echtzeitkommunikation.
Wer sich schon länger mit Prozessoptimierung beschäftigt, der weiß, dass optimierte Algorithmen im Bereich der Kategorisierung und Zuordnung schon seit langem hervorragende Ergebnisse liefern. Eine KI auf dem aktuellen Stand der Technik erreicht im Benchmark noch keine ähnliche Ergebnisqualität. Gerade im Forderungsmanagement, wo wir ja eine Vielzahl unterschiedlicher Themenfelder beim Inbound bearbeiten können müssen, scheinen Machine Learning (ML) Anwendungen noch nicht so weit entwickelbar zu sein, um die hochentwickelten Algorithmen ablösen zu können, was unsere aktuellen Benchmarks belegen.
Abhängig vom Umfang bei Auswahl und Versand von verfügbaren Antworten – wir sprechen im Forderungsmanagement von einer Vielzahl unterschiedlichster Antwortoptionen – ist ein Einsatz von KI/ML sinnvoll.
Die Nutzung generativer KI halte ich aktuell für die Königsklasse im Bereich der Kundenkommunikation.”
Im Bereich von Chat- oder Voicebots erwartet der Kunde eine Kommunikation, die einem Austausch mit einem Menschen entspricht. GenAI wählt hier keine vorbereiteten Antworten aus und verschickt diese, sondern kommuniziert in Echtzeit und bearbeitet Vorgänge fallabschließend. In der Praxis bedeutet dies, dass sich Gespräche bzw. Chats von beliebiger Länge in Freitext führen lassen. GenAI beantwortet Fragen unmittelbar, der Bot diskutiert Ratenzahlungsvereinbarungen, Zahlungszielveränderungen oder ähnliches direkt mit dem Kunden und schließt diese ab. Im Anschluss erhalten die Kunden die Dokumente zugeschickt – die nötigen Einträge und Buchungsprozesse im System erfolgen automatisch. Dies alles, ohne dass der Mensch hier noch eingreifen muss. Rund um die Uhr, kalendertäglich und in verschiedenen Sprachen.
KI erlaubt eine dynamische Steuerung, etwa von Tonalität und Inhalten. Wo liegen hier Schwächen? Lässt sich beispielsweise feststellen, dass sich die KI „im Ton vergriffen“ hat?

Sprechen wir von KI im Sinne einer ML-Anwendung, geht es um die Auswahl vorbereiteter Antworten und deren Versand. Insoweit kann sich das System hier nicht „im Ton vergreifen“, denn der „Ton“ wird vom Menschen vorher bereits festgelegt.
Bei GenAI generiert ein Large Language Modell (LLM) Antworten – und es ist von entscheidender Bedeutung, wie man das System trainiert und wie viel Autonomie man ihm zugesteht.”
Nachdem jeder Gesprächs- oder Chatverlauf auswertbar vorliegt, können wir sehr genau analysieren, wie die stetige Weiterentwicklung beispielsweise von Atriga GenAI fortgeführt werden muss. Hierbei kann man feststellen, dass das System – und ich kann da natürlich nur für die Atriga GenAI sprechen – dem Menschen an Ausdauer, Langmut und unerschütterlicher Freundlichkeit bei weitem überlegen ist.
Im Rahmen der stetigen Fortentwicklung gehen wir immer komplexere Themen an, bei denen die Atriga GenAI in Zukunft unterstützen wird. Insoweit – aber das ist keine Schwäche, sondern ein logischer Teil der Weiterentwicklung – können wir durchaus Optimierungsbedarf bei Sachthemen identifizieren. Aber mir ist bisher kein einziger Fall bekannt, bei dem die Atriga GenAI sich „im Ton vergriffen hätte“. Und ich nehme an, dass das bei ähnlichen Systemen nicht anders sein wird.
Atriga setzt auf multilinguale Kommunikation für alle, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Wie lässt sich KI hier trainieren? Neben den Fachbegriffen sind hier doch sicherlich auch unterschiedliche Ansprachen und nationale Befindlichkeiten zu berücksichtigen?
Eine einfache Übersetzung reicht oft nicht aus, denn kulturelle Unterschiede können eine entscheidende Rolle spielen: Während in manchen Ländern bzw. Kulturkreisen eine direkte Kommunikation geschätzt wird, empfinden andere eine höflichere, indirekte Ansprache als angemessen.
Atriga setzt auf dynamische Kommunikation, die das bisherige Interaktionsverhalten auswertet und darauf basierend neben der Sprache unter anderem Tonalität und Sachbearbeiter anpasst, was sich dann auch auf die jeweils genutzte Stimme des Atriga GenAI Voicebots auswirkt. Auch der bevorzugte Kommunikationskanal wird berücksichtigt. Denn während einige Kunden eher auf digitale Nachrichten reagieren, bevorzugen andere einen klassischen Brief. Allerdings ist hier ein sehr nachhaltiger Trend, hin zu digitalen Kommunikationskanälen feststellbar.
Eye-Tracking-Verfahren lassen sich zur Feststellung von Leseverhalten nutzen und wird meist in Onlineshops genutzt. Was hat dies mit Forderungsmanagement zu tun?
Neben den bereits genannten Steuerungsoptionen ist es wichtig zu verstehen, wie ein Empfänger die Kommunikation wahrnimmt. So ist der ideale Aufbau einer E-Mail grundverschieden zum optimalen Aufbau eines Briefes. Speziell beim Brief ist es elementar zu wissen, wie dieser vom Kunden gelesen wird. Hier können Erkenntnisse aus dem Eye-Tracking-Verfahren dabei helfen, die optimalen Positionen für die relevante Information, die unbedingt beim Kunden ankommen soll, zu bestimmen.
Es ist ein Trugschluss, anzunehmen, dass ein Brief „von oben nach unten“ gelesen wird. Dass solche Erkenntnisse häufig nicht genutzt werden, beweisen völlig überladene, unübersichtliche und unpersönliche Mahnschreiben mit einer sehr willkürlichen Anordnung von Informationen, deren Inhalt offensichtlich nicht nach Wahrnehmungserkenntnissen priorisiert ist. Da hat dann selbst ein informierter Leser Schwierigkeiten zu verstehen, was man eigentlich von ihm will. Dass sich das am Ende negativ auf die Zahlungsbereitschaft eines säumigen Kunden auswirkt, dürfte wohl jedem klar sein. Stehen die relevanten Informationen an den richtigen Stellen, erhalten sie am Ende leicht les- und verstehbare Schreiben – ohne inhaltlich überladen zu wirken.
Herr Ruoff, vielen Dank für das Interview. dk
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