Videoberatung bei Banken – vom „Nice to have“ zum „Must have“ – der Gastkommentar
Laut einer Bitkom-Studie von 2018 sind Kunden die digitalen Angebote ihrer Bank inzwischen deutlich wichtiger als beispielsweise die Markenbekanntheit. Zu diesen digitalen Angeboten gehört auch die Videoberatung. Deren Anwendungsmöglichkeiten und Vertriebschancen haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, vor allem in der Finanzdienstleistung. Die technische Möglichkeit, Beratung über Webcams von Angesicht zu Angesicht durchzuführen, ist mit wenigen Ausnahmen bedeutungslos geworden. Dafür hat sich Live-Beratung via Desktop-Sharing auch bei Finanzprodukten etabliert, in denen man früher davon ausging, dass Kunden sie nur persönlich in der Filiale abschließen. Während Filialbanken das Potenzial von Videoberatung in der klassischen Form vor einigen Jahren noch stark überschätzt haben (2015), muss man heute sagen, dass sie die Chancen moderner Videoberatung eher noch unterschätzen.
von Juliana Hartwig, Faktenkontor
So wie sich die Videocall-Software „Skype“ im Business-Bereich zu einer Live-Präsentations- und Filesharing-Lösung gewandelt hat, geht es auch bei der Videoberatung, wie sie heute angeboten wird, nicht mehr in erster Linie darum, einen persönlichen Eindruck vom Gegenüber zu erhalten.Das, was wir heute unter „Videoberatung“ verstehen, ist schlichtweg „Online-Beratung“.
Dem Kunden werden bei der Online-Beratung – zu seiner Wunschzeit und an seinem Wunschort – Dokumente, Analysen, Berechnungen, Tarife etc. von einem Berater mündlich erläutert, ohne dass der Kunde selbst via Webcam in Erscheinung treten muss. Je nach Produkt und Anbieter gibt es für Kunden sogar die Möglichkeit des direkten Online-Abschlusses. Somit ist Videoberatung heute natürlich mehr, als der reine Support beziehungsweise Service. Letzteres wird immer häufiger von Chatbots übernommen.
Banken agieren noch zögerlich
Zwar gibt es keine validen aktuellen Zahlen zu Verbreitung und Erfolg von Videoberatungskonzepten bei deutschen Kreditinstituten – was vermutlich daran liegt, dass Videoberatung von Online-Beratungsangeboten gar nicht mehr zu trennen ist. Doch wie der Oliver Wyman Digital Banking Index 2018 zeigt, sind deutsche Institute allerdings sowohl im Bereich „Digitaler Vertrieb“ als auch bei der „Digitalen Kundenbetreuung“ im Ländervergleich eher noch Nachzügler.
2016 äußerten 45 befragte Regionalbanken in einer Umfrage des Unternehmens 4P Consulting noch mehrheitlich, dass sich Videoberatung hauptsächlich für den Vertrieb von Karten und Konten eigne. Mit diesen Produkten verdienen die Banken allerdings kaum Geld, und es sind auch keine Produkte, bei denen es wirklich um Beratung geht, sondern eher um den digitalen Abschluss stark standardisierter Produkte beziehungsweise die Beantwortung von Fragen zu diesen, wofür es aber eigentlich keinen Menschen mehr braucht.
Für komplexe Produkte, etwa Depots oder eine Baufinanzierung, so die damalige Branchenmeinung, eigne sich Videoberatung eher nicht – dies seien Themen für die Filiale. An dieser Einstellung sollte sich inzwischen eigentlich einiges geändert haben.”
Einige deutsche Privat- und Regionalbanken bieten inzwischen Video- beziehungsweise Online-Beratung an. Ihr individueller Erfolg hängt jedoch maßgeblich davon ab, wie konsequent und integriert das gesamte Online-Angebot des Instituts ist. Erfolgsbeispiele sind eher aus anderen Branchenzweigen bekannt.
Versicherungen und Vermögensverwalter preschen voran
Klassische Vermögensverwalter bieten ihre individuell entwickelten Anlagestrategien heute schon komplett online an, der Kunde erhält dabei automatisiertes Vermögensmanagement von einem echten Berater.”
Klassische Vermögensverwalter bieten ihre individuell entwickelten Anlagestrategien heute schon komplett online an, der Kunde erhält dabei automatisiertes Vermögensmanagement von einem echten Berater.”
Dieses Konzept lässt sich zwar nicht 1:1 auf Banken übertragen, deren Asset Manager bei ihren Anlageempfehlungen beschränkt sind, doch könnten auch die Banken Robo Advisory und persönliche Beratung in cleverer Kombination anbieten. Auch in der Versicherungsbranche werden persönliche Treffen mit Kunden zunehmend durch Online-Meetings ersetzt. Die Allianz bietet ihren Vertretern dafür ein ausgereiftes, individualisierbares Standardprogramm. Selbstständige Versicherungsvertreter und -makler, Finanzberater und Vermögensmanager, die aufgrund ihres Geschäftsmodells ein besonders hohes eigenes Interesse an guten Kundenbeziehungen über alle Kanäle haben, setzen die neuen Techniken besonders engagiert und erfolgreich ein – auch und gerade bei erklärungsbedürftigen Produkten. Immerhin: Erste Banken arbeiten an einem vollständig digitalisierten Prozess zum Abschluss von Baufinanzierungen.
Videoberatung als „menschliche Brücke“ im automatisierten Prozess
Auch bei vollständig digitalisierten Prozessen zum Abschluss komplexerer Finanzprodukte sollte dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden, auf die Expertise eines echten Beraters zuzugreifen und den digitalen Prozess im Anschluss nahtlos weiterzuführen. Je nach Produkt und Prozessschritt kann dies durch Videoberatung oder Live-Chat erfolgen. Banken sollten solche Möglichkeiten testen und laufend optimieren – dafür sind viele Häuser technisch und organisatorisch allerdings nicht agil genug, oder sie scheuen die Kosten.
Videoberatung in klassischer Form mit Live-Bildübertragung wird heute fast nur noch bei Identifikationsprozessen eingesetzt, zum Beispiel bei der Kontoeröffnung, Online-Banking-Entsperrung oder ähnliches.
Einige Filialbanken nutzen die moderne Technik aber auch ausgerechnet dafür, nicht-online-affine Zielgruppen anzusprechen, die mit den digitalen Möglichkeiten wie SB-Terminals mit Touchpad und Online-Banking überfordert sind.
2016 eröffnete die VR Südpfalz eine Kabine, in der Kunden mobil und zu normalen Geschäftszeiten von live zugeschalteten Mitarbeitern aus einer entfernten Filiale beraten werden können. Noch immer folgen regionale Banken diesem Erfolgsbeispiel und ziehen mit ähnlichen Angeboten nach. Dabei sollten die Regionalbanken ihre Investitionen lieber in Angebote für junge Zielgruppen stecken.
Online-Beratung ist kein „Nice to have“-Zusatzangebot zur Filialberatung. Für viele Kunden aus den wachsenden, online-affinen Altersgruppen kommt der Gang in die Filiale schlichtweg gar nicht (mehr) in Frage. Banken, die diese Kunden nicht mit passenden, integrierten Online-Angeboten ansprechen, vergeben die Chance, sie zu gewinnen und zu binden.”aj
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