Neue Möglichkeiten der Fernidentifikation: Video‑Ident vor dem Aus?
Video-Ident ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte! Maßgeblich dafür war die regulatorische Neuauslegung des Geldwäschegesetzes durch das Bundesfinanzministerium. Im Januar 2014 startete WebID mit der SWK Bank und IDnow folgte im Oktober 2014 unter anderem mit N26. Der bis dahin unangefochtene Marktführer im Bereich Distanzidentifizierung, die POST mit ihrem POSTIDENT, war schließlich gezwungen, ebenfalls ein entsprechendes Produkt in das Angebotsportfolio zu packen. Nicht zum ersten Mal wird der Ident-Markt durcheinander gewirbelt …
von Rudolf Linsenbarth
Die Vorteile von Video-Ident liegen auf der Hand. POSTIDENT in der Filiale ist ein kompletter Medienbruch und zieht eine höhere Abbruchquote nach sich. Kunden, die zum Beispiel abends eine Bank-Konto Eröffnung am PC begonnen hatten, sind am nächsten Tag vielfach nicht mehr in die Postfiliale gestiefelt. Zudem lässt sich eine Video-Fernidentifizierung mit den Skaleneffekten eines Callcenters günstiger anbieten als die filialbasierte persönliche Identifikation.Dass es zu diesem Boom gekommen ist, kann man eigentlich nur als Treppenwitz bezeichnen. Im Prinzip besitzt der „Neue Personalausweis“ bereits eine sehr gute und effiziente Fernidentifikationsfunktion. Leider war es 2014 weder am Android-Smartphone noch in der iPhone-Welt möglich, den Ausweis auszulesen. Zudem kennen bis heute die meisten Bürger ihre Ausweis-PIN nicht oder wissen wo ihr PIN-Brief liegt.
Entsprechend groß war der Druck aus der Wirtschaft, alternative Verfahren zu genehmigen. Auch wenn man im Bundesministerium auf den Ausweis mit eID als präferierte Identifizierungsmethode setzt, wurde Video-Ident für das Banken KYC (Know Your Customer) zugelassen. Dem Verfahren wurde dabei zur Maßgabe gemacht, die Sicherheitsstandards so hoch wie möglich zu halten. Ein Ausfluss dieser Interventionen ist zum Beispiel, dass man gelegentlich eine Hand zwischen den Ausweis und die Smartphone-Kamera schieben muss.
Ich persönlich war nie ein Freund von Video-Ident und das hat nichts mit dem Thema Qualität der Identifikationsdienstleistung zu tun. Mich stören die folgenden 3 Dinge:
1. Die Identifikation benötigt einen Menschen, der in einem Callcenter disponiert werden muss, und da gibt es zu Stoßzeiten immer Engpässe und zum Teil sehr lange Wartezeiten. Ein Problem, das mit dem Aufkommen des Trading Booms 2020 deutlich sichtbar wurde. 2. Video-Ident ist ein „Rendezvous mit einem Fremden”. Mir gefällt einfach die Tatsache nicht, dass ich jemand anderen in meine Wohnung lassen muss. Ich möchte mich eigentlich nur legitimieren und dabei nicht überlegen, ob mein Zimmer gerade aufgeräumt ist oder ob ich mich noch vorher umziehen bzw. rasieren sollte. 3. Video-Ident ist zwar um Längen besser als ein POSTIDENT, aber bei weitem nicht medienbruchfrei! Ich kenne das gute digitale Nutzererlebnis mit der eID-Funktion des Personalausweises. Der gemeine Bürger war aber bereits mit schnelleren Pferden aka Video-Ident zufrieden und da stehen wir heute noch.Im Augenblick sieht es aber so aus, als ob sich der Wind dreht.”
Die Bundesnetzagentur hat angekündigt, in Zukunft auch weitere alternative Verfahren zuzulassen. Konkret erwähnt wird die Identifizierung einer natürlichen Person unter Nutzung einer Videoidentifizierung mit einem automatisiertem Verfahren (Details unter dem folgenden Link).
Gemeint ist damit wohl ein Verfahren, das ich hier in dieser Reihe unter dem Stichwort Auto-Ident behandelt hatte. Entsprechend euphorisch waren die Reaktionen von IDnow und der Nect GmbH:
- IDnow begrüßt Entscheidung der Bundesnetzagentur und prognostiziert Wendepunkt für digitale Identitätsprüfung
- Nect begrüßt Festlegung offizieller Kriterien der BNetzA und des BSI für Anbieter automatisierter Identitätsprüfungen
Etwas verhaltener dagegen die Reaktion von WebID, hier heißt es:
Welche Einschätzung ist nun die Richtige? Nun das ist eine Frage der Perspektive. In Europa ist Auto-Ident schon längst gängige Praxis. In den nordischen Ländern sowieso, da haben wir zum Beispiel den Nets Passport Reader getestet und von IDnow haben wir die Information, dass das Verfahren in UK bereits auch für die direkte Bank-Identifikation im Einsatz ist.
Die Annäherung der Bundesnetzagentur an diese Technologie ist aber zuerst nur die Beseitigung eines Standortnachteils für deutsche Vertrauensdiensteanbieter. Eine QES, die gemäß der EU Verordnung Nr. 910/2014 erstellt worden ist, muss im gesamten EU-Raum anerkannt werden. Die Regulierung für die deutschen Vertrauensdiensteanbieter ist aber derzeit so restriktiv, dass die Kunden in die Hände des Wettbewerbs aus Italien und Österreich getrieben werden! Selbst Verimi, an dem die Bundesdruckerei beteiligt ist, konnte das Angebot des hauseigenen D-Trust Dienstes zunächst nicht nutzen.
Damit Auto-Ident auch direkt für das lukrative KYC im Finanzsektor verwendet werden darf, müsste das Bundesfinanzministerium genau wie vor sieben Jahren abermals zu einer regulatorischen Neuauslegung des GWG kommen. Bis es soweit ist, dürften sowohl IDnow als auch Nect die Modulbestätigungen von den Zertifizierungsstellen für Auto-Ident erhalten haben.
Solch ein Szenario wirft zwei Fragen auf:
Erstens wird das Eintreten und
zweitens ist das dann das wirtschaftliche Aus für Video-Ident?
Die IT vieler Banken ist nicht darauf eingestellt, eine Identifizierungsdienstleistung aus mehreren Quellen zu akzeptieren. Gefordert sind Dienstleister, die eine entsprechende Plattform im Angebot haben, bei der alle am Markt gängigen Techniken integriert sind.”
Den Banken ist es wahrscheinlich egal, ob die Identifizierungsdienstleistung vom Plattformanbieter selber erbracht wird oder nur zugekauft ist. Der wiederum steht aber mit anderen Plattformen im Wettbewerb und kann mit steigender Wertschöpfungstiefe bessere Angebote unterbreiten.
Bleibt also die Frage, ob der Regulierer über seinen Schatten springt und Auto-Ident auch für die Identifizierung im GWG-Bereich zulässt. Eigentlich kann er gar nicht anders oder wie will er erklären, dass mittels Auto-Ident Verträge unterschrieben werden können, deren Haftung im Bereich hoher fünfstelliger Summen liegt, aber für eine GWG-konforme KYC-Identifizierung soll das Verfahren nicht sicher genug sein.
Ich lege mich fest, es gibt keinen vernünftigen Grund Auto-Ident im einem Bereich zuzulassen und im anderen nicht. Ob ein Identifizierungsdienstleister dann ein solches Verfahren selber entwickeln muss oder nur zukauft, hängt davon ab, wie schnell der nächste Entwicklungssprung bei der Fernidentifizierung kommt…”
…und natürlich wie lange dann die Regulierung für eine Neubewertung benötigt.
Womit wir im Prinzip wieder am Anfang dieser Geschichte sind.Rudolf Linsenbarth
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