Vertical Banking: Frontends statt FinTechs
Wer sich selbständig machen möchte, eröffnet wahrscheinlich ein Konto bei einer der vielen Neobanken. Dafür gibt es gute Gründe: Egal ob Qonto, Kontist oder Holvi – digitale Banken überzeugen, weil sie sich neben Konto und Karte häufig auch um die Steuern, Belege und Buchhaltung kümmern. Studien legen nahe, dass Kunden derlei personalisierten Angeboten nicht nur stärker vertrauen, sondern auch bereit sind, dafür mehr zu zahlen. Darum müssten Neobanken „Verticals“ sein, sagt die Solarisbank. Dabei wäre es viel schöner, wenn sich mein schon bestehendes Konto einfach meinem Leben anpasst.
von Florian Bongartz, Head of Communications bei Paycy
Vertical Banking ist auch für die Anbieter nicht ohne Risiko. Entgegen einer alten Börsenregel legen sie schließlich alle Eier in einen Korb. Gerät dieser Korb ins Wanken, fallen die Eier sehr schnell auch wieder heraus, wie die Silicon Valley Bank zeigt. Das Institut hat etwa die Hälfte der in den USA ansässigen Tech- und Health-Startups finanziert, bevor es nach einem „Bank Run“ geschlossen wurde. Solche externen Schocks passieren zwar nicht ständig, doch sie kommen vor und bedrohen Anbieter, die sich selbst zu sehr einschränken was ihre Kundschaft angeht. Zudem wachsen Kunden gelegentlich aus der Zielgruppe eines Verticals heraus, ähnlich wie Kinder aus ihren Kleidern. Sollen die dann jedesmal, wenn sich ihr Leben ändert, woanders hingehen?Vertical Banking kaum profitabel
Je enger das Korsett, das sich eine Vertical Bank anlegt, desto eher und häufiger verunsichern sie ihre Kunden. Ein PSD- oder apoBank-Kunde mag sich vielleicht noch aus alter Verbundenheit zu der Bank hingezogen fühlen, die an die eigene berufliche Identität appelliert. Bei den PSD-Banken kommt auch noch die genossenschaftliche Idee dazu. Was aber, wenn sich das eigene Institut auf einen Aspekt fokussiert, der sehr klar trennt: Eine Bank für Muslime etwa, eine vegane Bank oder eine für Mütter? Wer konvertiert, wieder Fisch und Fleisch isst oder sein Kind ins eigene Leben entlässt, fällt schließlich aus dem Raster heraus. Noch dazu muss die Nische im Zielmarkt groß genug sein, um die Kosten eines Verticals zu decken.
Kontist-Gründer Christopher Plantener hat im Podcast Handelsblatt Today selbst gesagt, dass er für seine Bank in Dänemark, wo er viele Jahre gelebt habe, keinerlei Chancen sehe. Es gäbe schlicht zu wenig Freiberufler im Nachbarland, als das sich das rechnete.
Weil Banking ein Volumengeschäft ist, kommt es eben auch auf die Größe des Zielmarktes an. Darum starten Banken zwar gern in der Nische, sie entwickeln sich dann aber oft zu einer Universalbank weiter.”
Die Deutsche Bank versucht mit Fyrst gerade, ihre bisherigen Zielgruppen zu erweitern und setzt dafür auf dasselbe Rezept wie die Nischenbanken.”
Viele Dienste, die für Freiberufler interessant sein könnten, wie Factoring oder Finanzierungen, bietet die Online-Bank über Partner an. Sie wirbt gleichzeitig mit der „Sicherheit & Kompetenz der Deutschen Bank“. Geht der Plan auf, sollte es niemanden wundern, wenn sich solche Nischenmarken eines Tages als eigenständige Dienste im Online-Banking der Mutter wiederfinden.
Warum nicht das Geschäftskonto, die Buchhaltung oder ein Modul für Steuern einbauen und Kunden erlauben, diese zusätzlichen Dienste zu abonnieren, wenn sie diese benötigen?”
Vertical Banking als App designen
Viele Verbraucher, die ein Konto bei einer der „etablierten“ Banken führen, sind diesen Komfort längst gewöhnt. Wenn sie über ihr Konto hinaus auch mit Wertpapieren handeln wollen, eröffnen sie mit wenigen Klicks ein Depot und bekommen meist auch gleich ein Verrechnungskonto mit eigener IBAN dazu. Ein Ratenkredit? Kein Problem, schnell online beantragen, autorisieren und sich auszahlen lassen. Einige Direktbanken wie die ING bieten inzwischen sogar an, digital die Steuern zu erledigen. Und das ist auch logisch: ein Bankkonto ist auf Lebenszeit angelegt. Ähnlich wie mit unliebsamen Versicherungen wollen sich die Verbraucher einmal damit befassen, nicht ständig und immer wieder. Darum liegt es nahe, das laufende Konto den Menschen anzupassen.
Request to Pay dürfte sich dabei als willkommene Hilfe erweisen.
Das Format erlaubt, andere Teilnehmer am Zahlungsverkehr aufzufordern, Geld zu überweisen – mit bereits ausgefülltem Verwendungszweck, korrekter IBAN und angehängter Rechnung.”
Kunden brauchen den Request to Pay via Online-Banking oder App bloß zu autorisieren und das Geld fließt. In diesem Moment aber erfährt die eigene Bank auch, dass genau jetzt ein Geschäft abgeschlossen und bezahlt werden soll. Auf dieses Momentum lassen sich Ökosysteme aufbauen, etwa rund um eine freiberufliche Neben- oder Hauptbeschäftigung.
• Rechnungen: Die Bank könnte ein Modul anbieten, um Rechnungen zu erstellen und zu erfassen. Daraus erzeugt sie den Request to Pay und übermittelt diesen zusammen mit der Rechnung an den jeweiligen Kunden. Die korrekten Beträge etwa für die Umsatzsteuer – entweder sofort bei SOLL- oder erst nach Geldeingang bei IST-Besteuerung – bucht sie auf ein Unterkonto und bezahlt daraus automatisch den Request to Pay, der von der Behörde eingeht, nachdem die Umsatzsteuer angemeldet wurde.
• Buchhaltung und Steuern: Die Bank könnte eine AI trainieren, um aus den ein- und ausgehenden Rechnungen die Gewinn- und Verlustrechnung zu erstellen, sofern der Kunde damit einverstanden ist. Auch Abschreibungen könnten durch die Software korrekt erfasst und gebucht werden. Ein Zugang für Steuerberater und Finanzbehörden – Stichwort: Mehrwertsteuerbetrug – wäre ebenfalls denkbar.
• Finanzierungen: Weil die Bank erfährt, wann etwas bezahlt werden soll, kann sie den Request to Pay mit verschiedenen Angeboten anreichern. Dazu gehören klassische Produkte wie ein Ratenkredit, BNPL (Buy now, pay later) oder MCA (Merchant Cash Advance). Das Scoring führt das Institut auf den bestehenden Umsatzdaten durch. Ob und welche solcher Angebote sich ein Kunde anzeigen lassen will, kann er selbst entscheiden.
• Factoring: Request to Pay erlaubt auch der sendenden Bank, also der des Gläubigers, die
Transaktion anzureichern. Beispielsweise könnte sie anbieten, den Betrag – gegen eine kleine Gebühr – auszuzahlen und die Rechnung anzukaufen oder über eine eigene Plattform an Dritte zu verkaufen. Firmen, die Waren und Dienstleistungen innerhalb komplexer Lieferketten anbieten, dürften sich dafür interessieren (Supply Chain Financing).
Wer es seinen Kunden besonders leicht machen möchte, fasst die für eine Zielgruppe besonders passenden oder häufig zusammen gebuchten Funktionen in einem Paket zusammen.”
Statt weitere Konten bei einer Vertical Bank zu eröffnen, abonnieren die Kunden einfach auf sie zugeschnittene Pakete. Dies sinnvoll ins Online-Banking oder in die Banking App einzubinden, ist dann bloß noch eine Aufgabe für UX-Designer. Das soll keinesfalls geringschätzig klingen. Aus Kundensicht wirkt eine Freelancer-Bank doch tatsächlich einfach wie ein herkömmliches Konto, das aber noch ein paar nützliche Buttons mehr anzeigt.
Vertical Banking: Bitte nicht noch eine Bank
Ob Frontends wirklich ausreichen, um FinTechs auszuhebeln, mag dahingestellt bleiben. Ein eher anekdotischer Beweis soll dennoch illustrieren, warum „etablierte“ Banken ihren Kunden einen großen Gefallen damit täten, solche Pakete anzubieten. Bis vor kurzem gab es ein kleines aber feines Startup aus Berlin, das Freiberuflern ermöglicht hat, Rechnungen zu schreiben, Ausgaben zu erfassen und via Elster-Schnittstelle Umsatzsteuer-Voranmeldungen vorzunehmen. Der Import von Kontodaten via PSD2-Schnittstelle lief eher schlecht als recht, weil der Anbieter dafür nicht zuletzt auch auf die Banken selbst angewiesen war. Dieses Unternehmen wurde übernommen und leider auch mehr schlecht als recht in die Oberfläche des Käufers integriert. Sehr ärgerlich. Viel einfacher wäre ein Button „Konto für Freiberufler eröffnen“ in gewohnter Umgebung bei der eigenen Bank gewesen. Wer wegen eines bestimmten Films oder einer bestimmten Serie schon mal einen zweiten Streaming-Dienst abonniert hat, versteht genau, wie sich diese Sehnsucht anfühlt.Florian Bongartz
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