Umstieg auf Software Defined Mainframe: Neue Wege für Banken und Versicherer aus der Legacy-Kostenfalle
Trotz der fast schon „traditionellen“ IT-Unterinvestition im Finanzsektor müssen immer mehr Funktionen in den Kernsystemen vorgehalten werden. Veraltete Bank-Anwendungen auf Mainframe-Systemen verstärken das Problem zusätzlich, denn sie sind nur schwer für die digitale Welt zu erschließen. Damit steigen nicht nur die Gesamtbetriebskosten von Mainframe-Hardware und Legacy-Applikationen kontinuierlich an. Wenn das Change Management Monate benötigt, um selbst kleinere Änderungen zu implementieren, sollte allen Beteiligten klar sein: nicht nur die IT-Abteilung, sondern das gesamte Unternehmen steckt in der Legacy-Falle!
von Thomas Hellweg, Vice President DACH TmaxSoft
Branchenübergreifend suchen heute viele IT-Verantwortliche nach einem Ausweg, um dieser Kostenschraube entgegenzuwirken.Schon eine teilweise Abkoppelung von Legacy-Anwendungen, etwa ein zentrales Datenbanksystem, vom Mainframe-Großrechner könnte für eine beträchtliche finanzielle Entspannung sorgen.”
Nicht wenige würden jedoch am liebsten gleich alle Legacy-Anwendungen migrieren und den Kostentreiber Mainframe über kurz oder lang vollständig in seinen wohlverdienten Ruhestand versetzen.
Rehosting – Horror-Projekt für die IT
Legacy-Anwendungen migrieren, Mainframe abschalten – das hört sich wesentlich einfacher an, als es tatsächlich in der Vergangenheit war. Denn viele Bankunternehmen, die geschäftskritische Applikationen direkt auf dem Mainframe ausführen, haben häufig einen historisch gewachsenen Programm-Code mit einer Zeilenanzahl im hohen zwei- oder dreistelligen Millionenbereich auf dem System. Zur Migration bzw. Modernisierung dieser Anwendungen waren bislang lediglich zwei Rehosting-Ansätze bekannt: entweder ein komplettes Re-Engineering, also eine Neu-Programmierung der Anwendung, um sie in einer anderen Systemumgebung nutzen zu können. Oder eine Übersetzung des Legacy-Programmcodes von Cobol, PL/1 oder Assembler in modernere Programmiersprachen.
Beide Herangehensweisen haben gravierende Nachteile: extremer Zeit- und Personalaufwand, ein hoher Bedarf an Mainframe-Spezialisten (die aber buchstäblich mittlerweile aussterben), ein nicht absehbarer ROI sowie – aufgrund des immensen Fehlerpotenzials – ein hohes Risiko zu scheitern.
Einer ähnlich prekären Situation stand auch GE Capital, die Finanzdienstleistungs-Sparte des General Electric-Konzerns gegenüber. Das eigenentwickelte Portfolio Management System (PMS), 1987 ursprünglich als kleine Anwendungssuite zur Terminverwaltung für 20.000 Kunden gestartet, hatte sich über fast drei Jahrzehnte hinweg zur zentralen „Lebensader“ im Leasing-Geschäft des Konzerns entwickelt – mit über 5 Millionen Terminierungen, 382 Schnittstellen, 1.700 Anwendern und 3,5 Millionen Transaktionen pro Tag, abgebildet in 71 Millionen Zeilen Programm-Code.
Bedingt durch hohe Wartungskosten, einer geringen Agilität und des täglich steigenden Risikos, bei einem Systemausfall die operative Geschäftstätigkeit nicht mehr aufrechthalten zu können, entschloss sich GE Capital zu einer umfassenden Modernisierung ihrer Legacy-Anwendung. Mit der Implementierung der Lösung ‚OpenFrame‘ des Anbieters TmaxSoft setzte GE Capital dazu erstmals auf eine neue Rehosting-Methode – Software Defined Mainframe (SDM).
Neuer Ansatz: Der Mainframe wird soft
Obwohl noch relativ jung, ist SDM bereits bei zahlreichen Mainframe-Anwenderunternehmen aus Finanz, Automobil, Handel und Gesundheitswesen implementiert. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei dabei um eine Softwarelösung, die simuliert, ein Mainframe zu sein. Statt Re-Engineering oder einer Neu-Programmierung von Legacy-Programmcode migriert dieser Rehosting-Ansatz alle relevanten Anwendungen 1:1 von einem Hardware-basierten Mainframe in die offene x86-Systemumgebung eines virtuellen Mainframes.
Dabei wird der Source Code der Alt-Applikationen per File Transfer und mittels eines Compilers weitgehend automatisch in ASCII übersetzt. Somit ist keine Emulation oder Anpassung erforderlich, was den gesamten Migrationsprozess wesentlich beschleunigt. Mithin sinken auch die Risiken eines Scheiterns erheblich, da im Prinzip die gesamte Applikation inklusive ihrer Geschäftslogik in einen modernen Code, z.B. JAVA, übertragen wird. Nicht zuletzt deshalb verspricht diese Rehosting-Methode einen verhältnismäßig schnellen Projekt-ROI innerhalb von durchschnittlich 24 Monaten.
Dabei wird auch „toter“, inaktiver oder „missing“ Code identifiziert. Bei totem Code können die Verantwortlichen selbst entscheiden, ob er gelöscht werden kann, was ggfs. zu einer deutlichen Verringerung des Quellcode-Footprint führt (s. Anwenderbeispiel GE Capital: Reduzierung von 71 auf 16 Millionen Zeilen)
Phase 2: Migration auf einen Standard-Server,
Im Idealfall übersetzen SDM Compiler-Tools automatisiert den Quellcode. Das ist notwendig, denn der EBCDIC (Extended Binary Coded Decimal Interchange Code) einer Mainframe Quelle verwendet einen anderen Hexadezimalcode als ASCII (American Standard Code for Information Interchange).
Phase 3: Funktionstests für notwendige Anpassungen und Systemjustierungen. Aufgrund der vollständigen Migration von Programmcode und Geschäftslogik der Anwendung ist die Testphase meist erheblich kürzer ist als mit bisherigen Rehosting-Methoden.
Phase 4: Übernahme des SDM in den Effektivbetrieb.
Auf dem SDM laufen die Anwendungen weiter wie gewohnt. Dateien, Datenbanken, Transaktions-Monitoring und Job Entry System können im Look, Touch & Feel eines Mainframe dargestellt werden, sodass die Mainframe-Spezialisten weiter auf ihrer gewohnten Oberfläche (3270 Interface) arbeiten können. Fortschrittliche Systeme bieten jedoch auch ein zusätzliches GUI für jüngere Systementwickler, die mit der Mainframe-Welt nicht mehr viel am Hut haben. So verbindet das System zwei Generationen, die nun gemeinsam an der Modernisierung der Legacy-Applikationen arbeiten können.
Momentan ist der Kreis von SDM-Lösungsanbietern noch relativ überschaubar. Bei der Wahl einer Lösung sollten Unternehmen aber auf einige wesentliche Kriterien achten: Neueste Lösungen bieten Compiler-Werkzeuge, die den Quellcode bidirektional übersetzen. So könnte Programmcode beispielsweise über das GUI in JAVA bearbeitet und optional wieder auf die Mainframe-Hardware zurückgespielt werden. Auch eine Schritt-für-Schritt Migration oder die Migration von Teilbereichen einer Mainframe-Anwendung wird dadurch ermöglicht.
Im Hinblick auf Digitalisierungsprojekte sollte der SDM Cloud-fähig sein und mit gängigen Anbieterlösungen (z.B. AWS) in diesem Bereich zusammenarbeiten. Die Unterstützung von Generation Data Groups (GDG) ist ebenfalls von großer Bedeutung, damit bei der Migration Daten nicht fälschlicherweise als Dubletten identifiziert werden. Auch das Vorhalten von Container-Fähigkeit, um Berechtigungen granular vergeben zu können, ist ein Kriterium zur qualitativen Differenzierung der vorhandenen SDM-Lösungen im Markt.
Anwendungsmodernisierung ohne Verzicht auf Mainframe-Eigenschaften
SDM-Rehosting bietet zahlreiche Vorteile: es öffnet die klassische Mainframe-Welt für Digitalisierungs- bzw. Virtualisierungsprojekte und ermöglicht massive Kosteneinsparungen bei der Administration und Wartung der Mainframe-Hardware. Im Hinblick auf digitale Anwendungsanforderungen in Mobile- oder Cloud-Systemen beschleunigt die moderne SDM Systemumgebung die Einführung von Innovationen bzw. verbessert die Reaktionszeiten bei technischen oder marktspezifischen Veränderungen erheblich. Darüber hinaus bietet SDM den IT-Verantwortlichen eine wesentlich größere Auswahl an Software – auch aus dem Bereich Open Source.
Ergebnisse in der Praxis
GE Capital schaffte das Rehosting ihres PMS innerhalb von nur 12 Monaten mit einem überschaubaren Eigenaufwand. Nach dem erfolgreichen Umzug auf den SDM zeigte sich das Terminverwaltungssystem mit einer Reduzierung von 71 auf 16 Millionen Zeilen Programm-Code deutlich verschlankt und agiler.
Aus wirtschaftlicher Sicht hat das Unternehmen nicht nur die Mainframe Maintenance-Kosten nachhaltig um 66% reduziert, sondern konnte auch die Performance und Sicherheit des PMS erheblich optimieren. Aus der Alt-Anwendung ist eine moderne, standardisierte und zukunftsfähige Lösung geworden. Denn nachdem sie jahrzehntelang als unantastbar galt, soll nun bereits die nächste Programm-Generation auf der Grundlage einer offenen, Service orientierten Architektur (SOA) entwickelt werden.aj
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