SWIFT: Digitalisierung des Handels kann Impulse für die weltweite wirtschaftliche Erholung geben
In einer aktuellen Studie hat SWIFT die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Handelsfinanzierung untersucht. SWIFT skizziert darin den Weg hin zu einer umfassenden Digitalisierung der Finanzierungsprozesse, die den Welthandel stützen.
von Jürgen Marstatt, SWIFT
Die wichtigsten Ergebnisse: Die Digitalisierung hat das Potenzial, die Bearbeitungszeiten, Kosten und Risiken zu reduzieren, indem sie Reibungsverluste verringert und die Transparenz erhöht. Die Möglichkeit, bessere und reichhaltigere Daten zu erhalten, ist von größter Bedeutung. Reichhaltigere Daten bieten einen tieferen Einblick in die Lieferketten. Sie helfen dabei, eine transparente und effiziente Handelsfinanzierung zu fördern. Das kann wiederum dazu beitragen, die finanzielle Inklusion zu unterstützen, indem mehr Unternehmen Zugang zu Handelsfinanzierungen erhalten – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU).Pandemie zeigt Dringlichkeit der Digitalisierung auf
Ende April 2020, als weltweit Lockdowns in Kraft getreten sowie Angebots- und Nachfrageschocks eingetroffen waren, ging die dokumentierte Handelsfinanzierung von Woche zu Woche um bis zu 49 Prozent zurück. Es entstand eine Finanzierungslücke, die sich im Verlauf der Pandemie weiter vergrößerte. Die Volumina und Werte stiegen jedoch wieder an, sodass der weltweite dokumentierte Handel das Jahr mit einem Minus von insgesamt 11 Prozent abschloss.
Nach Schätzungen der Welthandelsorganisation WTO ist das Volumen des weltweiten Warenhandels im Jahr 2020 um 5,3 Prozent zurückgegangen.”
Die Internationale Handelskammer ICC und die Bank Standard Chartered berichten, dass weitere 1,9 bis 5 Billionen US-Dollar an Handelskrediten erforderlich seien, um wieder das Niveau von 2019 zu erreichen.
Die Schwachstellen des Welthandels, die durch manuelle und papierbasierte Prozesse entstehen, wurden durch die Pandemie und die darauffolgenden Lockdowns erheblich vergrößert. So wurde berichtet, dass etwa Kuriere nicht in der Lage waren, die physischen Dokumente auszuliefern, die für den Zugang zur Handelsfinanzierung entscheidend sind. Auch Schiffe konnten nicht in den Häfen anlegen und ihre Ladung löschen. Andererseits führten einige Banken aufgrund fehlender manueller Unterschriften zügig elektronische Unterschriften ein und investierten verstärkt in Lösungen wie die intelligente Dokumentenerkennung.
Während viele Banken bereits verschiedene Maßnahmen zur Digitalisierung ihrer Backoffices ergriffen hatten, war die Digitalisierung in der Bank-Kunde-Interaktion weniger weit fortgeschritten.”
So ist die elektronische Nachbildung der rechtlichen und funktionalen Gleichwertigkeit einiger der wichtigsten Handelsdokumente – wie etwa des Frachtbriefs – aufgrund fehlender Rechtssicherheit, fehlender Harmonisierung und fehlender digitaler Standards eine besondere Herausforderung. Die Pandemie hat das Thema Digitalisierung des Handels in die Führungsetagen gebracht, da die Reduzierung der Unterbrechungen von Lieferketten zu einer Frage der Resilienz und des betrieblichen Kontinuitätsmanagements wurde.
Sofortmaßnahmen, um den Handel in Gang zu halten
Autor Jürgen Marstatt, SWIFT Jürgen Marstatt ist Head of SWIFT (Webseite) Germany, Austria und Central Europa und seit 2006 in verschiedenen Führungspositionen bei SWIFT tätig. Er war für die Betreuung führender Privatbanken sowie der Institute des gesamten Sparkassensektors in Deutschland verantwortlich und an der Entwicklung und dem Aufbau neuer Geschäftsfelder von SWIFT wie Consulting und Value Added Services beteiligt. Im Januar 2018 wurde er zum Head of Germany von SWIFT und 2019 in seine aktuelle Position berufen. Jürgen Marstatt war zuvor in leitenden Management-Positionen bei verschiedenen IT-Firmen tätig. Seine berufliche Laufbahn begann er 1990 nach Abschluss eines betriebswirtschaftlich orientierten Informatik-Studiums.
Bereits vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie hatten SWIFT und eine Gruppe von Handelsbanken an einem digitalen Wertnachweis (Proof of Value – POV) gearbeitet, um das Papieraufkommen im Handel zu verringern. Die Initiative sah vor, bestehende sichere Nachrichtenlösungen wie etwa FileAct und MT 759 umzunutzen, um die Vorlage von Kreditbriefen (Letter of Credit) zu erleichtern. Teilnehmern sollte es ermöglicht werden, physische Dokumente digital auszutauschen und sie mit den zugrundeliegenden Kreditbriefen zu verknüpfen. Mit dieser Lösung können bis zu 30 Prozent des Papieraufkommens im Dokumentenhandel eingespart werden. Das gilt insbesondere im Nicht-Seeverkehr oder im Seeverkehr, wenn nicht verhandelbare Dokumente wie etwa Seefrachtbriefe oder Ausfallbürgschaften verwendet werden.
Als Sofortmaßnahme, um den Handel während der Pandemie aufrechtzuerhalten, hat SWIFT aus der bereits gestarteten POV-Initiative einen Service im Live-Betrieb gemacht.
Die Lösung gilt für die Vorlage von Kreditbriefen (Letter of Credit) sowohl zwischen Unternehmen und Banken als auch zwischen Banken.”
SWIFT hat eine Anleitung veröffentlicht, wie über das Netzwerk gescannte Handelsdokumente sicher und in Sekundenschnelle in mehr als 200 Länder übermittelt werden können. In Anbetracht der unvorhergesehenen Herausforderungen, denen sich die Gemeinschaft gegenübersieht, ist die Lösung derzeit gebührenfrei. Damit treibt SWIFT die Kommerzialisierung der elektronischen Einheitlichen Zoll- und Verfahrensregeln für Dokumentenakkreditive (electronic Uniform Customs and Practice for Documentary – eUCP) der internationalen Handelskammer ICC voran.
Digitalisierung ist nicht nur eine technologische Herausforderung
Die Digitalisierung des Handels im Allgemeinen und der Handelsfinanzierung im Besonderen ist eine Herkulesaufgabe. Denn sie erfordert die Modernisierung eines komplexen Ökosystems, das Regeln und Regulierungen umfasst und sich über physische sowie finanzielle Lieferketten in mehreren Ländern und Branchen erstreckt. Die Lösung von SWIFT für diese Herausforderung ist eine neue Plattform, die auf einer API- und Partnerschaftsstrategie basiert sowie die bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten der Handelsfinanzierungsbranche ergänzt.
Ziel ist es, die digitalen Inseln, die das globale Handelsökosystem kennzeichnen, zu überbrücken und zu verbinden.”
Die Digitalisierung der Handelsfinanzierung ist jedoch nicht nur eine technologische Herausforderung. Darüber hinaus sind drei Schlüsselelemente erforderlich, um eine wirksame Digitalisierung des Handels zu ermöglichen: eine rechtliche Harmonisierung, umfassendere Daten und Standards sowie Interoperabilität.
SWIFT betont, man sei auf seismische Verschiebungen gut vorbereitet. Der Studie zufolge geht es bei der Digitalisierung des Handels nicht um geschlossene Plattformen und Marktbeherrschung. Vielmehr geht es um Zusammenarbeit und Interoperabilität, die durch gemeinsame Standards und rechtliche Harmonisierung ermöglicht werden können. Technologie ist ein Wegbereiter – aber Technologie allein reicht nicht aus. Globale Gremien wie SWIFT, die UN, ICC, GLIEF und die DCSA haben die einmalige Chance, diese Entwicklungen voranzutreiben. Die Studie plädiert nachdrücklich dafür, diese Gelegenheit zu ergreifen und mit SWIFT, den anderen Standardisierungsgremien und politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten, um ein gemeinsames globales, interoperables und vertrauenswürdiges Handelsökosystems zu entwickeln – und das möglicherweise mit immensen Vorteilen und neuen Impulsen für die globale wirtschaftliche Erholung.Jürgen Marstatt, SWIFT
Die im Beitrag erwähnte Studie kann hier heruntergeladen werden.
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/128687
Schreiben Sie einen Kommentar