STRATEGIE8. Juni 2022

Sustainable Finance bleibt ohne Green Software unglaubwürdig

Experte für Green Software: Elmar Borgmeier, Syngenio
Elmar Borgmeier, SyngenioSyngenio

Nachhaltige Geldanlagen stehen bei Privatanlegern hoch im Kurs. Das Forum Nachhaltige Geldanlagen hat für 2020 gegenüber dem Vorjahr eine Verdopplung der Investitionen in nachhaltige Investmentfonds und Mandate ermittelt. 2021 hat der Trend sich fortgesetzt. In 2022 kommt die Regulatorik als neuer Treiber hinzu: Mit der Änderung der MiFID-II Richtlinie im Rahmen des EU-Aktionsplans „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ soll die Abfrage von Nach­haltigkeits­präferenzen verpflichtender Teil in der Anlageberatung werden.

von Elmar Borgmeier, Syngenio

Verbraucher werden (auch in der Presse) regelmäßig darauf hingewiesen, genau hinzuschauen, und nicht auf nur scheinbar nachhaltige Anlagen hereinzufallen. Daher gilt es für Anbieter, die Kunden von der eigenen Seriosität zu überzeugen. Sie können nachhaltige Geldanlagen nur dann überzeugend vertreiben, wenn sie selbst entsprechend handeln. Finanzinstitute müssen dabei insbesondere ihre IT im Blick haben, die bei ihnen einen erheblichen Teil der „Produktion“ ausmacht. Das gilt insbesondere für den Teil der IT, der für Kunden sichtbar ist: Apps und Webapplikationen. Durch diese Anwendungen wird ein Anbieter für die Nutzer erlebbar. Deshalb gilt es, nachhaltig zu arbeiten und dies sichtbar zu machen, etwa durch ein entsprechendes extern zertifiziertes Label auf der Software bzw. im App-Store.

Somit rückt Software in den Fokus von Green-IT, also einer Verbesserung der IT im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Das ist schon deshalb nötig, weil Stromsparen allein bei der Hardware schlicht nicht ausreicht.”

Trotz erheblicher Effizienzsteigerung auf Hardware-Seite stieg der Stromverbrauch deutscher Rechenzentren in den vergangenen 10 Jahren um 60%, wie das Borderstep-Institut ermittelt hat. Und der Trend setzt sich fort. Um dem Anstieg IT-verursachter Emissionen entgegenzuwirken, ist es daher entscheidend, das Übel an der Wurzel zu packen und bereits bei der Entwicklung von Software deren Klimawirkungen zu optimieren. Dieser Ansatz wird als Green Software bezeichnet.

Green Software führte jahrelang ein Nischendasein im akademischen Bereich. 2021 hingegen erreichte das Thema die kommerzielle Software-Entwicklung. So entstand die weltweit ausgerichtete Green Software Foundation als Teil der Linux Foundation. Übrigens: Syngenio ist das erste europäische IT-Unternehmen, das sich in der Foundation engagiert.

Wir arbeiten als Unternehmen bereits seit 2019 an der Verbesserung unserer Nachhaltigkeit und sind seit 2021 klimaneutral. Es war folgerichtig, dass wir unsere Kompetenz in der Softwareentwicklung nutzen, um unsere Kunden bei deren Nachhaltigkeitszielen zu unterstützen. Daher haben wir Anfang letzten Jahres ein eigenes Team gegründet, dass sich dem Green Software Design widmet, also der durchgängigen Konzeption und Entwicklung von Software unter Berücksichtigung von Klimawirkungen.“

Stephanie Kamp, Green Innovation Managerin der Syngenio

Auf der Website GreenSoftwareDesign.com stellt das Unternehmen hierzu Informationen und Leistungen zusammen. Unter anderem findet sich hier der frei nutzbare Green Software Expertyzer, ein Expertensystem, das über ein Frage-Antwort-Schema die Ressourceneffizienz von Mobil- und Web-Entwicklungsprojekten bewertet. Das Tool gibt auch Empfehlungen zur Verbesserung und leistet damit insbesondere beim Einstieg ins Green Software Design wertvolle Unterstützung.

Autor Elmar Borgmeier, Syngenio
Von 1989 bis 1995 studierte Elmar Borgmeier in Münster und Karlsruhe Mathematik und Computerwissenschaft. Das Studium schloss er mit Auszeichnung ab. Nach einem zweijährigen Engagement als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department of Cooperative Hypermedia Systems am Fraunhofer IGD heuerte er 1997 als Teamleader bei Brokat an. Schwerpunkt waren hier Internet-Banking- und Brokerage-Projekte für Unternehmen wie ABN Amro Amsterdam, Liechtensteinische Landesbank oder MLP. 2001 gründete er gemeinsam mit Jürgen Funke die Syngenio (Webseite), die er bis heute als Prokurist begleitet. Einer seiner Schwerpunkte ist Green Software Design. Borgmeier lebt mit seiner Familie in Stuttgart.

Green Software bedeutet im Kern ressourceneffiziente Software: Deren Funktionen sollen möglichst wenig CPU-Leistung und Hardware insgesamt erfordern. Denn die CPU-Leistung definiert primär den Stromverbrauch, und Hardware muss produziert und entsorgt werden. Doch auch Datenmengen sind wichtig. Einerseits müssen sie gespeichert werden, was gerne 30% des Stromverbrauchs von Rechenzentren ausmacht. Anderseits werden sie oft über das Internet transportiert, was dort in der Summe zu höheren Bandbreitenanforderungen führt. Ein Spezialfall von Green Software ist die Verlagerung von Abläufen in Zeiten, in denen viel regenerative Energie ins Netz fließt.

Green Software beginnt bereits beim Aufsetzen des Projektes, insbesondere beim Anforderungsmanagement. Es macht einen Unterschied, welche Fail-Over-Szenarien gefordert werden.”

Beim Online-Brokerage ist es sinnvoll, dass selbst beim Ausfall eines Servers die Nutzer weiterarbeiten können, ohne den Ausfall überhaupt wahrzunehmen. Ein solch reibungsloser Session-Fail-Over erfordert aber eine ressourcen-aufwändigere Umsetzung als die Variante, bei der Nutzer sich dann einmalig neu einloggen müssen. Da Serverausfälle nur sehr selten auftreten, ist dies bei weniger zeitkritischen Anwendungen wie Online- und Mobile-Banking vertretbar.

Sehr hohe Bedeutung kommt der Technologieauswahl zu, sowohl in Bezug auf die eingesetzten Produkte, als auch bezogen auf die System- und Software-Architekturen. Heutige Software-Entwicklung setzt immer auf Frameworks und Libraries auf, die bereits einen Großteil des Codes enthalten, der letztlich in Betrieb geht. Bisher gibt es noch viel zu wenig Daten über die Ressourceneffizienz solcher Komponenten. Das Umweltbundesamt fördert daher das Projekt “SoftAWERE”, bei dem die vorhandenen automatischen Testfälle von Open Source Libraries genutzt werden, um deren CPU- und Hardware-Verbrauch zu messen.

Syngenio und SoftAWERE
Syngenio misst diese Werte ebenfalls, setzt dabei aber auf Performance-Tests für gängige Anwendungsfälle als Basis. Zusätzlich betrachtet Syngenio die Ressourceneffizienz von Produkten wie zum Beispiel Datenbanken, die bei Mobile- und Web-Anwendungen genutzt werden. Denn die Bewertung hängt vom konkreten Anwendungsfall ab.

Am beispielhaften Vergleich zwischen den Backendframeworks Spring Boot und Node.js werden unterschiedliche Stärken der Technologien deutlich:

Während sich Spring Boot relativ schwergewichtig in Startzeit und Speicherauslastung präsentiert, ist eine vergleichbare Node.js-Anwendung wesentlich schneller gestartet und fordert weniger Arbeitsspeicher an.”

Auf der anderen Seite bringt Spring Boot weite Sicherheitsmechanismen, Annotations und Threading mit, während bei Node.js Threading nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist und sich der Programmablauf stark eventgetrieben darstellt – also bereits zur Entwicklungszeit anderen Paradigmen folgt als eine threadbasierte Anwendung. So bleibt die Technologiewahl im Einzelfall zu entscheiden: Bei Anwendungsfällen, die hauptsächlich IO-lastig sind, sollte die Entscheidung zwischen den obigen Kandidaten Spring Boot oder Node.js auf Node.js fallen, da IO von diesem nicht-blockierend verarbeitet werden kann und das Framework zudem leichtgewichtiger ist. Bei einer Banking-Anwendung, die vertrauliche Daten sicher und stabil bearbeiten muss, ist in der Regel hingegen das Spring Boot Framework mit seinen vielen Konfigurationsmechanismen und Plugins die bessere Wahl. Solche Abwägungen sollten vor einem jeden Projekt getroffen werden. Dabei sollten alle im Projektumfeld relevanten und möglichen Technologien bei der Entscheidung berücksichtigt werden.

Im Entwicklungsprozess gilt es, den tatsächlichen Ressourcenverbrauch kontinuierlich zu beobachten. Hierzu werden entsprechende Messungen direkt in den Continuous-Integration-Vorgang integriert und automatisch ausgeführt.”

Eine direkte Strommessung dazu ist nicht nötig, sondern es können Tools wie zum Beispiel Carbonmeter eingesetzt werden. Je nach Anwendungsfall sind die verwendeten Algorithmen mehr oder weniger relevant. Während bei Blockchains der Algorithmus entscheidend ist, spielt er bei üblichen Business-Anwendungen meist nur eine geringe Rolle.

Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, um die Effizienz von Software und damit die verursachten Emissionen zu reduzieren. Beim Einstieg ins Green Software Design sollte man darauf achten, vorhandene Expertise einzubinden. Dazu hat zum Beispiel Syngenio die Green Software Design Community ins Leben gerufen. Unternehmen, die Green Software entwickeln wollen, können sich hier am Erfahrungsaustausch beteiligen. Die Community vergibt auch das Green Software Design Label, mit dem Software ausgezeichnet wird, die die entsprechenden Kriterien erfüllt. So können Verbraucher erkennen, ob sie eine App oder Webanwendung nutzen, die Klimaschutz ernst nimmt. Durch diese Maßnahmen soll Green Software schneller weitere Verbreitung finden.

In fünf Jahren wird es selbstverständlich sein, dass Software green entwickelt wird. Genauso, wie es heute selbstverständlich ist, dass Software sicher sein und überzeugende User Experience bieten muss.“

Jürgen Funke, Vorstand SyngenioElmar Borgmeier, Syngenio

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