STRATEGIE6. November 2019

Sparda Bank West schließt 43 ihrer 82 Filialen – der Meinungs-Kommentar von Boris Janek

Boris Janek kommentiert die Entwicklung bei der Sparda Bank West
Boris Janek

Es ist natürlich keine Überraschung mehr, trotzdem hat die Nachricht der Allgemeinen Zeitung ein wenig geschockt: Die Sparda Bank West – ohnehin mit eher wenig Filialen ausgestattet – schließt 43 ihrer 82 Filialen. Der Meinungs-Kommentar von Boris Janek.

Da schließen also 43 von 82 Filialen – stirbt damit nur ein Kundenkanal, den insbesondere die Banken – häufig wohl fehlgeleitet durch zahlreiche Kundenbefragungen, in denen Menschen sich nicht vorstellen konnten, ohne die Bankfiliale auskommen zu können – für auf ewig unverzichtbar hielten – oder ist damit das große Bankensterben eingeleitet?

Das Thomas Theorem

In meinem Soziologie Studium ist mir mal das sogenannte Thomas Theorem über den Weg gelaufen. Es lautet:

If people define situations as real, they are real in their consequences.”

Und es besagt, dass jedes menschliche Handeln reale Konsequenzen zur Folge hat, unabhängig davon, wie irreal die Situationsdefinition war, die zu der entsprechenden Handlung geführt hat (Quelle: Wikipedia).

Überträgt man dieses Theorem auf Organisationen und insbesondere auf Banken wie der Sparda Bank West, dann scheinen viele Banken eigentlich seit Jahrzehnten immer wieder falschen Interpretationen zu unterliegen, aus denen sie Wirklichkeiten konstruieren und dann entsprechend handeln.

Nicht die Strategie wird an die Wirklichkeit angepasst, sondern es wird der Versuch unternommen, die Wirklichkeit an die Strategie anzupassen. Etwa seit der Jahrtausendwende prägen so Multikanalstrategien und später Omnikanalstrategien die Bankenlandschaft.

Aber wie sinnvoll sind solche Strategien in Zeiten, in denen nicht zuletzt durch die Nutzung von Daten Kundensegmentierungen vorgenommen werden können, welche die individuelle Bedienung selbst kleinster Nischen ermöglichen (FLOW).”

Strategiepapiere werden immer nur um wenige Sätze ergänzt, große und kleine Beratungshäuser und die bereits erwähnten irreführenden Umfragen dienen als Wirklichkeitsumformer, bis die nächste Überraschung vor der Tür steht.

Boris Janek, FINANCE ZWEINULL
Boris JanekBoris Janek wur­de 1967 in Gum­mers­bach ge­bo­ren. Ein Stu­di­um der So­zi­al­wis­­sen­­schaf­­ten, Or­ga­ni­sa­ti­ons­wis­sen­schaf­ten und Psy­cho­lo­gie brach­ten ihn nach Wup­per­tal. Sei­ne Kar­rie­re star­te­te er als Per­so­nal­be­ra­ter. An­schlie­ßend wech­sel­te er in die noch jun­ge In­ter­net­bran­che zum Star­t­up gui­de­gui­de ag. 2001 wur­de Ja­n­ek Mit­ar­bei­ter der VR-Net­World, da­nach Di­gi­tal In­no­va­ti­on Stra­te­gist. Heu­te ist er bei der ADG – Aka­de­mie Deut­scher Ge­nos­sen­schaf­ten als Spe­zia­list für Ge­schäfts­mo­dell In­no­va­ti­on tä­tig. Teil sei­ner Tä­tig­keit ist dort auch die Ent­wick­lung und Durch­füh­rung von Aus­bil­dungs­pro­gram­men für Fach und Füh­rungs­kräf­te in den Fel­dern Di­gi­ta­le Trans­for­ma­ti­on, In­no­va­ti­on und Kul­tur. Der In­si­der treibt In­no­va­tio­nen vor­an, kennt Star­tups und ver­in­bart Ban­ken­sicht da­mit. Ja­n­ek be­treibt das Blog financezweinull.de und ist auch auf Twitter aktiv (@electrouncle).

Die Copycats

In einem lange Zeit sehr ruhigen Marktumfeld, in dem sich vor allem die Kunden nicht bewegt haben, konnten nur die wenigsten Banken eine Kultur entwickeln, in der Marktherausforderungen früh genug erkannt und Innovationen geschaffen werden, die Wettbewerbern Probleme bereiten. Banken gehören – in Geoffrey Moore´s „Crossing the chasm“ Modell – überwiegend zu den Laggards oder zur Late Majority.

Strategien werden gerade bei Regionalbanken häufig – unabhängig vom Kontext, in dem man sich bewegt – nur kopiert.

… aber was hat eine Bank auf Sylt mit einer Bank in Chemnitz gemein?”

Diese Entwicklung kann noch verstärkt werden, wenn übergeordnete Institutionen – der durchaus verständlichen, weil menschlichen Neigung, folgen, gerade in Krisenzeiten mehr vom Gleichen aus dem Methodenkasten der vor digitalen Welt zu machen. Tief abgespeicherte Routinen sind besonders beharrlich.

Innovationsansätze und -strategien werden von FinTechs, Großkonzernen oder eben anderen Banken geborgt. Kooperationsstrategien erfolgen nur halbherzig, es werden agile Organisationsmodelle nachgeahmt, die natürlich nicht funktionieren, da es in der digitalen Welt eben keine „Best Practices“ mehr gibt und auch der Berater keinen Plan für die Zukunft haben kann.

Eine Kultur des Ausprobierens und Lernens findet man – wenn überhaupt – nur in spezifischen Einheiten, immer mit der Hoffnung versehen, dass die alte Struktur und die langsamen Veränderungszyklen wieder herstellbar sind.

Schwarze Schwäne – unwahrscheinliche Ereignisse

Die Welt der Banken ist voller schwarzer Schwäne, also voll von offenbar höchst unwahrscheinlichen Ereignissen, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Man könnte auch sagen: Was man nicht gelernt hat zu sehen, dass übersieht man immer wieder.

Wobei die Finanzkrise 2008 – mit der Folge der andauernden Niedrigzinsen – heute sicherlich ein Hauptproblem der Banken darstellt. Das nun aber wie bei der Sparda Bank West immer mehr Filialen geschlossen werden und die Mitarbeiterzahl der Banken in den nächsten Jahren wohl in sehr großer Zahl schrumpfen wird, hat auch damit zu tun, dass die Innovationsbemühungen der Banken zu inkrementell sind und zu wenig über den Tellerrand der eigenen Branche hinausgehen. Und auch damit, dass auch unser Glaube von der Vergangenheit geprägt ist und wir eher an die Fortsetzung der älteren Vergangenheit als an die der jüngeren Vergangenheit glauben.

Und es wirkt das alte Dilemma: Managementberater tragen Design Thinking und Lean-Startup-Methoden in die Häuser. Diese bringen aber allenfalls inkrementelle Verbesserungen, weil Kunden nicht in der Lage sind, sich die Produkte und Lösungen der Zukunft vorzustellen. So machen die Methoden die Banken gleicher, kopierbarer und damit auch überflüssiger.

Der Paradigmenwechsel

Zum Abschluss des Jahres 2020 wäre es für uns alle angemessen zu erkennen und einzugestehen, dass wir uns inmitten eines Paradigmenwechsels befinden, für den wir neue Werkzeuge und neues Verhalten benötigen. Davon ist niemand ausgenommen und erst durch neues Verhalten auf allen Ebenen einer Organisation kann eine andere Kultur entstehen. Nur wenn die internen Barrieren der Organisation beseitigt werden, verhindern wir, dass uns eigentlich vorhersehbare Ereignisse wie schwarze Schwäne treffen.

Aktuell haben Unternehmen Internet-gestützte Prozesse aus dem 21. Jahrhundert, Management-Prozesse aus dem 20. Jahrhundert, aufgebaut auf Management-Prinzipien aus dem 19. Jahrhundert.“

Gary Hamel

Beseitigen – dass sei zum Schluss aber nochmal erwähnt – bedeutet aber nicht die Anwendung der Holzhammermethode. Wer jetzt Druck ausübt, statt attraktive Einladungen auszusprechen, wird den Wandel nicht mehr schaffen.

Der digitale Wandel erfordert von uns in erster Linie, Menschen – und damit uns selbst – besser zu verstehen. Sparda Bank West und wir alle stehen vor der Herausforderung der Veränderung und je höher wir in der Hierarchie sind, desto wichtiger wird unsere Veränderung für den Erfolg des Unternehmens.Boris Janek

Links:
1. https://www.azonline.de/Muensterland/4018815-Radikales-Sparprogramm-geplant-Sparda-Bank-schliesst-43-ihrer-82-Filialen
2. https://www.financezweinull.de/innovation-stories-haier/
3. https://vimeo.com/367552612

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert