So können Finanzinstitute Entscheidungen erleichtern und implizites Wissen heben
Werden Richtlinien, Organisationshandbücher und andere komplexe Dokumente mit Textverarbeitungssystemen erstellt, resultieren unter anderem Medienbrüche, hohe Fehlerquoten und dezentrale Datenhaltung. Folge: Unsicherheiten über die aktuell gültige Version erschweren den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Entscheidungen, was die Arbeitsleistung auf Dauer erheblich beeinträchtigen kann. Ein Richtlinien-Manager schließt revisionskonform die Lücke zwischen Textverarbeitungs- und Dokumenten-Management-Systemen. Zugleich bietet er das Potenzial dafür, implizite Wissensstände in Unternehmen zu sichern.
von Marco Schneider, Business Expert bei concedro und Prof. Dr. Christian T. Haas, Direktor des Instituts für komplexe Systemforschung – Hochschule Fresenius
Ein Finanzinstitut passt seine internen Vergaberichtlinien für Unternehmenskredite an. Ein weiteres überarbeitet sein Organisationshandbuch für die Abwicklung von Wertpapieraufträgen. Ein drittes erstellt einen Vertrag für einen neuen Kunden oder Kooperationspartner. Welches textbausteinbasierte Dokument auch immer im Zentrum steht: Verschiedene Personen schreiben daran, prüfen und überarbeiten es, kommentieren und ändern Passagen.Viele Banken und Finanzdienstleister lassen auch komplexe Dokumente in Textverarbeitungssystemen erstellen – hier kommuniziert der Ersteller des Masters individuell mit den einzelnen Nutzern, die technisch nicht miteinander verknüpft sind. Das Standardisieren der Filialdokumente erfolgt per Copy and Paste. Einheitliche Formulierungen, zentrale Versionskontrolle und Ablage? Fehlanzeige! Es gibt nur geringe Content-Analysemöglichkeiten und die Revisionssicherheit ist erschwert. Die Beteiligten verarbeiten die Filialdokumente mit Medienbrüchen, die Prozesse bei Review und Freigaben sind wenig effektiv und es herrscht eine geringe Flexibilität bei Änderungen. Ganz zu schweigen von den hohen Fehlerquoten. Zudem sind die Daten unvollständig, werden dezentral gehalten, kurzfristige Zugriffe sind nicht möglich und die Data Governance ist oftmals unzureichend geregelt. Mit anderen Worten: Wer textbausteinbasierte Dokumente per Textverarbeitungssystem mit mehreren Nutzern gleichzeitig bearbeitet, produziert viele Stand-Alone-Lösungen anstelle einer Golden Source für textuelle Daten.
Wer textbausteinbasierte Dokumente per Textverarbeitungssystem mit mehreren Nutzern gleichzeitig bearbeitet, produziert viele Stand-Alone-Lösungen anstelle einer Golden Source für textuelle Daten.“
Das führt zu Problemen. Verändern sich doch Unternehmen immer schneller – insbesondere dann, wenn sie international agieren. Interne Guidelines können mit dieser Entwicklung häufig nicht Schritt halten. Und so wird eine bestehende Richtlinie möglicherweise nicht aktualisiert oder mit einer neu hinzugekommenen abgeglichen. Ein Teil der Beschäftigten arbeitet nun auf Basis der veralteten Richtlinie, obwohl ihnen die neue Version vielleicht mehr Handlungsfreiheit gäbe, beispielsweise beim Abschließen von Verträgen.
Entscheidungen unter Unsicherheit machen krank
Über concedroDie concedro (Website) ist eine auf die Finanzdienstleistungsindustrie spezialisierte Unternehmensberatung. Das Team berät seit mehr als zehn Jahren Kunden im Asset Management, Asset Servicing und Banking zu operativen Aufgaben, strategischen Themen und branchenweiten Herausforderungen. Das Unternehmen habe ein revisionskonformes Richtlinien-Management-System zur Erstellung, Verwaltung und Distribution von textbausteinbasierten Dokumenten (GuidlinePro) entwickelt, welches bei dem Kunden GENO Broker produktiv ist. Darüber hinaus biete concedro KI-basierte, maßgeschneiderte Lösungen für Data Science Projekte an.
Noch problematischer ist es, wenn ein Mitarbeiter zwar gehört hat, dass es zwei verschiedene Guidelines gibt, er jedoch nicht weiß, welche für ihn gilt. Deshalb muss er nun Entscheidungen unter Unsicherheit oder auch Risiko treffen, was insbesondere bei Zeitdruck problematisch ist. Psychologisch kann das für ihn sehr belastend sein, verbunden mit zum Teil massiven negativen physiologischen und neuro-physiologischen Reaktionen. Da Sicherheit ein menschliches Grundbedürfnis ist, können Entscheidungsprozesse, die langfristig unter Unsicherheit getroffen werden müssen, die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters erheblich beeinträchtigen bis hin zur Kapitulation. Letzteres bedeutet, dass Entscheidungen umfangreich oder sogar vollständig umgangen werden. Eine bedeutende Rolle spielen dabei auch unsicherheitsbedingte pathologische Lernprozesse, die dazu führen, dass antizipatorischer Stress, also die Furcht vor einem zukünftigen Ereignis, und ein Entscheidungsteufelskreis entstehen: Sobald ein Mitarbeiter dann einen Entscheidungsvorgang unter möglicher Unsicherheit antizipiert, wird seine Entscheidungsfähigkeit biochemisch beeinträchtigt mit der Folge von schlechteren Entscheidungen und einer weiteren Erhöhung des antizipatorischen Stresses.
Unterschiedliche Richtlinien-Versionen bereiten jedoch nicht nur Einzelpersonen Probleme, sondern auch Teams. Beispiel: Zwei Kreditsachbearbeiter verwenden fälschlicherweise verschiedene Richtlinien-Varianten, die nicht miteinander abgeglichen worden sind. In dem Glauben, der gleichen Guideline zu folgen, treffen sie unterschiedliche Entscheidungen und werden wahrscheinlich miteinander in Konflikt geraten. Grund: Sie wissen nicht, dass ihre Entschlüsse auf voneinander abweichenden Richtlinien basierten.
Die Fragen sind: Wie lässt sich technisch sicherstellen, dass beispielsweise Compliance-Richtlinien und Prozessbeschreibungen für die Abwicklung von Wertpapieraufträgen regelmäßig aktualisiert werden und als Golden Source auf einer zentralen Plattform vorliegen? Wie erkennt ein Mitarbeiter automatisch, wer welches Dokument wann und in welcher Form angepasst sowie veröffentlicht hat, und zwar ausschließlich digital? Wie minimiert er das Risiko, dass nur freigegebene Dokumente und Vorlagen genutzt werden? Das leistet weder ein Textverarbeitungs-, noch ein Dokumenten-Management-System (DMS). Die Lücke zwischen der Textverarbeitung und einem klassischen DMS schließt ein revisionssicheres Richtlinien-Management-System. Universal über API-Schnittstellen integrierbar, unterstützt es ohne Medienbrüche die Kollaboration zwischen allen Beteiligten.
Die Lücke zwischen der Textverarbeitung und einem klassischen DMS schließt ein revisionssicheres Richtlinien-Management-System.“
Wenn implizite Wissensträger in Rente gehen
Autor Marco Schneider, concedroMarco Schneider ist seit 2017 Business Expert bei der auf die Finanzdienstleistungsbranche spezialisierten Unternehmensberatung concedro (Website). Zuvor war er unter anderem Seniorberater in einem börsennotierten Softwareentwicklungsunternehmen, Unternehmensberater und Geschäftsführer eines Sportveranstalters. Der Autor ist Sparkassenbetriebswirt, zertifizierter Organisator und verfügt über langjährige Projekterfahrung und Know-how bei Migrationsprojekten im Bankenumfeld sowie in den Bereichen Prozessanalyse und -management.
Doch es geht nicht nur darum, Mitarbeitenden von Banken und Finanzdienstleistern die Möglichkeit zu geben, auch unter Zeitdruck sichere Entscheidungen zu treffen. Zugleich ist davon auszugehen, dass mindestens jeder zweite Entschluss auf implizitem Wissen basiert und implizite Entscheidungsfindung ist der expliziten meist vorgelagert. Genau hier droht eine demografische Falle: In den nächsten Jahren werden Tausende von Mitarbeitern in den Ruhestand gehen, die über Jahrzehnte implizites Wissen aufgebaut haben. Mit den personengebundenen, nirgendwo dokumentierten Erfahrungen könnten die Unternehmen Milliarden an Werten verlieren.
Einige große Konzerne in Deutschland – branchenunabhängig betrachtet – sehen aus diesem Grund sogar das Risiko, bis zu 20 Prozent ihrer Umsätze einzubüßen. Basieren nämlich bestimmte Dienstleistungen oder Produkte auf seriellen Informationen und ist der Prozessinformationsfluss unterbrochen, weil der Mitarbeiter mit dem entsprechenden impliziten Wissen in den Ruhestand gegangen ist, könnten komplette Geschäftsbereiche wegbrechen. Noch ist es nicht so weit. Aber hiesige Unternehmen fürchten bereits jetzt, implizites Wissen zu verlieren, wenn sie kein Konzept haben, um es zu sichern.
Die Herausforderung lautet, implizite Wissensstände in Unternehmen zu identifizieren und zu sichern, indem sie auf explizite, also dokumentierte Regelwerke übertragen werden.“
Implizites Wissen per Richtlinien-Manager herauskitzeln
Autor Dr. Christian T. Haas, Hochschule FreseniusProf. Dr. Christian T. Haas ist Professor für quantitative Forschungsmethoden an der Hochschule Fresenius und Direktor des Instituts für komplexe Systemforschung (Linkedin Profil) Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekte im Allgemeinen und neurobiologische und -psychologische Aspekte von Mensch-Technik-Interaktionen im Besonderen. Ein aktueller Forschungsfokus liegt ferner auf der Akzeptanz von künstlicher Intelligenz, dem Einsatz von Decision Support Systems sowie der Identifikation und Sicherung von impliziten Wissensständen in Unternehmen.
Die Herausforderung lautet, implizite Wissensstände in Unternehmen zu identifizieren und zu sichern, indem sie auf explizite, also dokumentierte Regelwerke übertragen werden. Noch steht die Forschung in diesem Bereich am Anfang. Aber ein revisionskonformes Richtlinien-Management-System bietet das Potenzial, implizite Wissensstände zu heben. Das Prinzip: Relevantes Wissen lässt sich aus Mitarbeitern herauskitzeln, indem man ihnen – ein didaktisches Konzept vorausgesetzt – explizite Arbeitsprozesse per Richtlinien-Manager präsentiert – je nach Arbeitsfeld sind unterschiedliche Präsentationsformen erforderlich – und sie quasi darüber stolpern lässt. An diesem Punkt erkennt der Beschäftigte beispielsweise, dass die Richtlinie oder Prozessbeschreibung eine regelmäßige Tätigkeit nicht enthält oder fehlerhaft darstellt, die auf seiner impliziten Entscheidung basiert. Nun könnte dieser fehlende oder fehlerhafte Ablauf in das Dokument integriert beziehungsweise modifiziert werden.
Beim Heben des impliziten Wissens sollte auf adressatengerechte Formulierungen geachtet werden – andernfalls arbeiten die Fachbereiche aneinander vorbei.“
Beim Heben des impliziten Wissens sollte auf adressatengerechte Formulierungen geachtet werden – anderenfalls arbeiten die Fachbereiche aneinander vorbei. Denn was nützt eine aktuelle Guideline den Mitarbeitern im Retail Banking, wenn sie einzelne juristische Formulierungen darin nicht verstehen? Woher soll das Juristenteam, das die Richtlinie aktualisiert hat, wissen, dass sich bestimmte Abläufe im standardisierten Privatkundengeschäft verändert haben? Und verstehen sie wirklich, was nun anders läuft? Die Lösung könnte darin liegen, eine Künstliche Intelligenz (KI) in ein derartiges System zu integrieren, welche die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen beziehungsweise Hierarchieebenen erleichtert. Die KI könnte beispielsweise vorschlagen, was bestimmte umgangssprachliche Formulierungen für einen juristischen Text bedeuteten. Zugleich sollten Mitarbeiter in der Fähigkeit des Computational Thinking geschult werden, um die Kernprozesse zu verstehen und sie so abzubilden, dass die Managementebene damit weiterarbeiten kann. Da dies ein langfristiger Prozess ist, muss er frühzeitig angestoßen werden.
Abschließend stellt sich die Frage, worauf es zu achten gilt, bevor ein Richtlinien-Management-System im Unternehmen eingeführt wird. Am Anfang steht das Erwartungsmanagement. Die Verantwortlichen sollten in einer frühen Phase mit den verschiedenen Mitarbeiter-Clustern darüber sprechen, was sie von dem Tool erwarten, was es ihnen bringt, worin es sie persönlich unterstützen kann: what is in for me there? und welche Ideen sie dazu haben. Sollte sich ein Verbesserungsvorschlag nicht verwirklichen lassen, ist der begründete Hinweis wichtig, dass er nicht umgesetzt werden kann – andernfalls hat dieser Beschäftigte möglicherweise zum letzten Mal eine Idee vorgetragen. Außerdem empfiehlt es sich bei der Einführung neuer Tools, auch das langjährig erlebte Umfeld zu berücksichtigen (Pfadabhängigkeit) und gegebenenfalls zu verändern, da dieses die Technikakzeptanz hemmen kann.Marco Schneider, concedro & Prof. Dr. Christian T. Haas, Hochschule Fresenius
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/153224
Schreiben Sie einen Kommentar