Sibylle Strack im Interview: Der spannende Weg der leitenden Bankerin zur Kontist-Geschäftsführerin
Wenn bekannte Banker zu FinTechs wechseln, ist das bemerkenswert. Besonders bei Sibylle Strack – sie war Leiterin des Bereichs Girokonto und Zahlungsverkehr des DSGV und führt jetzt zusammen mit Christopher Plantener das FinTech Kontist (Website). Warum? Wozu? Was treibt sie? Und wie entwickelt sie Kontist weiter? Das Interview.
Frau Strack – sagen Sie, was vermissen Sie in Bezug auf den DSGV nun am meisten?
Ich denke gerne an meine Zeit in der Sparkassen-Finanzgruppe zurück. Inhaltlich ist es ist natürlich ein wesentlicher Unterschied, ob man bereits eine große Reichweite bei seinen Kunden hat und „nur“ noch optimiert – wie bei den Sparkassen – oder ob man ein neues Angebot bzw. eine Marke neu aufbaut. Beides sind spannende Aufgaben – aber eben nicht besser oder schlechter, sondern einfach unterschiedlich. Bei Kontist widme ich mich jetzt mit Schwung dieser sehr schönen neuen anderen Herausforderung.Was brachte Sie als Banker dazu, zu einem FinTech zu wechseln?
Inhaltlich ist der Sprung nicht so groß, wie es zunächst scheint. Ich bin ja in meinem Fach geblieben, dem Banking.
Und im Banking spielt die IT eine sehr wesentliche Rolle, weshalb ich so gesehen schon lange im “FinTech”-Umfeld arbeite.”
In meiner Zeit als Beraterin bei Accenture und in der Selbständigkeit habe ich zudem die typischen Fragestellungen kennengelernt, die die Kunden von Kontist haben. Jetzt bin ich sehr nah an diesen Kunden, kann mein Wissen und meine Erfahrung einbringen und Neues gestalten – und viel lernen, für mich eine ideale Situation.
Zu den “FinTechs” im engeren Sinne habe ich zudem ja schon seit langem Zeit eine große Affinität. Gerade der FinTech-Standort Berlin bietet praktisch unbegrenzte Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen und Geschäftsmodelle zu entdecken.”
Haben Sie die gesuchte “Aufregung” gefunden?
Bei Kontist ist es meine Rolle, das Unternehmen in einer Phase des starken Wachstums noch professioneller auszurichten und die Dienstleistungen v.a. im Banking zu erweitern. Die Aufregung, wenn Sie so wollen, besteht darin, dies in einem für mich komplett neuen Setup umzusetzen. Wir sind bei Kontist knapp 60 Leute aus 25 Nationen und die Unternehmenssprache ist Englisch. Wir legen viel Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter in einem spannenden und sehr vertrauensvollen Umfeld arbeiten können, in dem sie viel Verantwortung bekommen. Wir holen uns regelmäßig Feedback von unseren Kunden und übernehmen Wünsche und Anregungen weitmöglich direkt in unser Angebot. Wir haben ein rein digitales Produkt, das agil in Kanban entwickelt wird, und unsere App und unser Customer Success-Team sind die Hauptkontaktpunkte mit den Kunden. Auch haben wir gerade eine Stiftung gegründet, durch die wir die Selbständigkeit unterstützen wollen.
Das alles ist in der Tat aufregend, auf eine sehr reizvolle Art.”
Jetzt wo Sie nicht mehr im DSGV sind: Glauben Sie, dass die girocard auch in fünf Jahren noch das Zahlungsmittel der Zukunft ist?
Um mit der Gegenwart anzufangen: aktuell ist die girocard ein sehr wichtiges Zahlungsmittel. Fast jeder Deutsche hat sie im Portemonnaie, sie ist sehr günstig in Abwicklung und Akzeptanz und die Banken sind unabhängig von den Regelsetzungen der internationalen Kartenorganisationen. Ob die girocard auch das Zahlungsmittel der Zukunft ist, hängt davon ab, was die deutschen Banken jetzt hinbekommen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass eine virtuelle girocard schnell Traktion im mobilen (proximity) Bezahlen gewinnen kann, wenn das Onboarding einfach ist – und eine Kombination mit Apple Pay könnte die Akzeptanz weiter beschleunigen.”
Stichwort: X-Pay. Haben die deutschen Banken mit einer Online-girocard eine Chance, im E-Commerce noch mal Fuß zu fassen?
Ist dazu nicht bereits schon von allen etwas gesagt worden, und zwar von jedem?
Kurz und allgemein: Ein Produkt ist dann gut, wenn es von einer ausreichenden Anzahl von Kunden genutzt wird. Die Kunden haben heute mit Paypal oder der Kreditkarte bewährte Lösungen für ihre Online-Einkäufe. Um gegen diese Verfahren anzutreten und Kunden zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, braucht man ein deutlich besseres Angebot – das Gleiche nochmal zu servieren, reicht nicht. Der Schwierigkeitsgrad wird bei den bankenbetriebenen Zahlverfahren zudem dadurch erhöht, dass sie unterschiedliche und teilweise komplexe Governance-Strukturen haben. Mir fällt es schwer vorherzusagen, ob ein Mix aus paydirekt, giropay und / oder girocard eine Lösung sein kann. Ich bin gespannt.
Bei Kontist lösen wir die Frage nach den Zahlverfahren übrigens sehr pragmatisch: unsere Kunden erhalten keine girocard, sondern eine Debitkarte eines internationalen Kartenanbieters. Diese bieten wir sowohl als virtuelle als auch als physische Karte an. Damit sind alle Einsatzbereiche abgedeckt.”
Sie waren beim DSGV für Payment-Themen zuständig – was brachte Sie zu Kontist? Was verbindet Sie mit dem Unternehmen?
Vorab: Das KMU-Geschäftsfeld ist mir aus meiner Zeit in der Bankenberatung und als Verantwortliche u.a. für die Girokontostrategie beim DSGV wohlvertraut. Kontist kannte ich bereits seit 2017, als das damals sehr junge Unternehmen einen Preis für das FinTech des Jahres von Paymentandbanking bekam.
Mich hat schon seinerzeit als Jurymitglied die Idee von Kontist überzeugt, ein maßgeschneidertes Angebot für eine spitze, aber sehr stark wachsende Kundengruppe zu entwickeln.”
Als ich mich dann als Beraterin selbstständig gemacht habe, war für mich klar, dass ich ein Konto bei Kontist eröffne. Das real-time Bankkonto mit Anbindung an meine Buchhaltung hat meinen administrativen Aufwand erheblich reduziert; durch das automatische Zurücklegen der Umsatz- und der Einkommensteuer wusste ich immer, wie viel auf meinem Konto mir gehört – und nicht dem Finanzamt. Hier leistet Kontist eine große Hilfestellung – und wir sind noch am Anfang dessen, was wir vorhaben, nämlich eine Plattform für Selbständige zu werden.
Im vergangenen Interview sagten Sie (aus Bankensicht), dass sich Banken und FinTechs gegenseitig brauchen. Erleben Sie das nun aus FinTech-Sicht genauso?
Nach fast 25 Jahren im Banking in unterschiedlichen Rollen sehe ich, dass Welten zwischen den klassischen Banken und den neuen Anbietern liegen. FinTechs haben ja den Luxus, keine “legacy” zu haben und bisherige Prozesse neu denken zu können. So ist z.B. die Kontoeröffnung bei Kontist komplett papierlos, und die Steuern werden automatisch zurückgelegt. Dies ist zum einen die Voraussetzung für das Angebot – ein Filialaufbau wäre viel zu teuer bei unterkritischen Größen – und zugleich auch ein wesentlicher Teil der Alleinstellung. Denn unsere Kunden sind hochmobil und wollen ein intuitiv nutzbares und friktionsloses Angebot.
Banken halten typischerweise für unsere Zielgruppe kein maßgeschneidertes Angebot vor, denn es rechnet sich für sie einfach nicht.
Nach meiner Erfahrung bei dieser speziellen Zielgruppe liegt in der Betreuung von Selbständigen aber auch nicht die Kernkompetenz der Banken. Denn der Bedarf geht über das reine Banking deutlich hinaus. Hier kann es sinnvoll sein, die Angebote miteinander zu verbinden.”
Nun gibt es neben Kontist auch etliche andere Mitbewerber mit der gleichen Zielgruppe, dem gleichen Anspruch und der gleichen finanziellen Ausstattung. Wie unterscheidet sich Kontist?
Wir bei Kontist freuen uns über jeden Wettbewerber, der wie wir die Selbständigen bedienen möchte – bestätigt es ja uns in unserem Glauben, dass es sich um eine attraktive Zielgruppe handelt, für die ein spezielles Angebot lohnt. Für die Kunden wird der Wettbewerb ebenfalls förderlich sein, denn er gibt ihnen mehr Auswahl. Sie wurden von den traditionellen Banken viel zu lange ignoriert bzw. einfach nicht verstanden.
Kontist tritt in diesem Markt gegen eine sehr stark kapitalisierte Konkurrenz an. Wir stellen dem aber ein sehr ausgeprägtes Know-How über die Bedürfnisse der Selbständigen in Deutschland entgegen. In unserem Anspruch, die echten “pain points“ der Selbständigen mit einem Angebot zu lösen, das neben dem Banking auch die Themen Buchhaltung und Steuern erleichtert, unterstützt uns ja auch die Haufe Group durch ihr Investment und ihre Expertise in diesem Bereich. Eine Zahl macht das hohe Potenzial deutlich: …
die Selbständigen verbringen rund 25 Tage im Jahr mit der Administration ihrer Finanzen – verlorene Zeit. Dies durch ein real-time-Angebot und Automatisierung deutlich zu reduzieren, ist das Ziel von Kontist.”
Auch wollen wir über das rein Finanzielle hinaus durch unsere Stiftung dafür sorgen, dass die Selbständigen nicht nur eine sehr besondere Kundengruppe im Finanzbereich sind, sondern auch andere bzw. bessere Rahmenbedingungen für ihre Arbeit benötigen. Dort legen wir u.a. gerade ein Mentoring-Programm auf und bereiten den 2. Deutschen Selbstständigentag im November vor.
Welche anderen FinTechs – mit passenden Produkten – möchte Kontist gerne in sich integrieren?
Wir sind an allem interessiert, was das finanzielle Leben der Selbständigen verbessert. Das fängt bei den genannten Bank-, Buchhaltungs- und Steuerdienstleistungen an und geht in die kontextuelle Finanzberatung hinein.
Aktuell sind wir daran, unser App-basiertes Angebot in Richtung Web auszubauen. Im Banking arbeiten wir gerade mit mehreren Partnern, unter anderem der solarisBank, an weiteren Features. Auch wollen wir weitere Steuerfunktionen automatisieren.”
Als klassischer Banker schauen Sie natürlich mit deutlich klarerem Blick auf die Marge. Wann wird Kontist Geld verdienen und wie werden Sie das anstellen?
Kontist verdient bereits Geld. Zum einen erzielen wir seit Start Erträge aus dem Zahlungsverkehr.
Zum Zweiten haben wir im Januar 2019 unser Premiumangebot eingeführt, in dem neben dem reinen Konto die automatische Steuerberechnung und -rücklagen und eine Karte enthalten sind. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen.”
Mit Ausbau unseres Dienstleistungsumfangs werden wir unseren Kunden weitere hochwertigere Pakete anbieten. Wann wir Geld verdienen, hängt aber natürlich nicht nur von den Einnahmen ab, sondern auch von der Frage, was wir investiv so alles vorhaben.
Wie viele Kunden hat Kontist derzeit und wie viele sollen es in einem Jahr sein?
Gegenfrage: welche Zahl wäre bei einem jungen Unternehmen eine gute Antwort, welche eine schlechte? Und: womit vergleichen Sie es dann? Viele unserer Marktbegleiter nennen die Zahl der Registrierungen, nicht die der Kontoeröffnungen. Wir beteiligen uns daran nicht. Die Wachstumsziele nenne ich Ihnen gerne:
Wir wollen dieses Jahr unsere Kundenzahl gegenüber dem Vorjahr verdoppeln und dies im nächsten Jahr wiederholen.”
Das sind sehr ehrgeizige Ziele. Wichtiger wird künftig auch die Intensivierung der Geschäftsbeziehung werden – denn um unseren Mehrwert in der Buchhaltungs- und Steuererleichterung auszuspielen, ist es wichtig, dass die Kunden Kontist als Hauptkonto für ihr Unternehmen nutzen.
Wenn Sie Kontist beispielsweise mit einer HASPA vergleichen – wie würden Sie Kontist einordnen?
Im Zielbild will Kontist eine Plattform für Selbständige werden; Hauptaugenmerk liegt zunächst auf Finanzdienstleistungen, aber auch weitere relevante Dienstleistungen werden eingebunden. Daneben steht zudem noch unsere Stiftung, die sich für eine höhere Anerkennung selbständiger Arbeit und bessere Rahmenbedingungen einsetzt. In diesem Zielbild wird das klassische Banking vielleicht 15-20 % unseres Angebots ausmachen. Auch streben wir nicht – wie eine Haspa – die Versorgung aller Kundengruppen an, sondern wir fokussieren uns auf eine betriebswirtschaftlich attraktive, sehr spezielle Kundengruppe, deren intensive Betreuung wir dank digitaler Prozesse kosteneffizient abdecken können. Insgesamt würde ich uns ungerne mit einer Bank vergleichen, sondern sehe Kontist fast als komplementären Anbieter.
Und welche Zukunftspläne haben Sie mit Kontist? Wo sehen Sie das Unternehmen in 5 Jahren?
Die Selbstständigen stellen jetzt schon einen signifikanten Teil der arbeitenden Bevölkerung und in den nächsten Jahren werden noch viele dazu kommen. Kontist möchte für diese Community ein vollwertiger Lösungsanbieter werden und ist für jede Art der Kooperation offen.
Mit der Stiftung möchten wir dafür sorgen, dass die “neue Arbeit” in der Gesellschaft den Stellenwert bekommt, die sie verdient.”
Frau Strack, vielen herzlichen Dank für das Interview und Ihre offenen Antworten!aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/94640
Schreiben Sie einen Kommentar