Robo Advisor und KI in der Versicherung: „Mix von Mensch und Maschine“ – schon jetzt vorbereiten
In Banken sind sie bereits im Einsatz, nun machen sie sich auf, die nächste Branche zu erobern: Robo Advisor (Wikipedia) werden sich auch in der Versicherungsbranche in Deutschland in den kommenden Jahren etablieren. Deshalb sollten Versicherer jetzt damit beginnen, künstliche Intelligenz in einzelnen Prozessen oder gar in Teilschritten einzusetzen.
von Arne Iwers und Philipp Krähling, Sopra Steria Consulting
Die Digitalisierung der Versicherungsbranche beschleunigt sich, das zeigt der im Juni erschienene Branchenkompass Insurance 2019 von Sopra Steria Consulting. Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem InsurTechs Tempo und Richtung der digitalen Transformation vorgegeben haben, nehmen heute die etablierten Unternehmen der Branche das Heft selbst in die Hand und entwickeln neue digitale Services für ihre Kunden.Warum? Weil sie es müssen! Durch anhaltend hohe regulatorische Anforderungen und schwierige Bedingungen am Kapitalmarkt rechnen viele Versicherer mit einer Verschlechterung der Marktlage in den kommenden Jahren.
Dazu kommt der wachsende Mangel an Fachkräften und die Überalterung der Mitarbeiter. Es wird schwerer, den Bedarf an persönlicher Beratung in der Versicherungsbranche zu decken.”
Die Digitalisierung ist eine der wichtigsten Antworten auf diese Herausforderungen. Sie sorgt für mehr Effizienz in den Prozessen, hilft beim Kostensparen und öffnet den Weg für neue Geschäftsmodelle.
Kunden sind auf Robo Advisor vorbereitet
Robo Advisor, Versicherungsberater ohne Fleisch und Blut, werden einen Beitrag dazu leisten. Sie unterstützen im Back Office, damit menschliche Versicherungsberater auf der Basis von Daten ihren Kunden personalisierte Angebote erstellen und auf sie zugeschnittene Konditionen errechnen können. Anders als bei rein marketinggetriebenen Ansätzen, die Empfehlungen unter anderem auf Basis von Kaufwahrscheinlichkeiten ermitteln, berücksichtigt der Algorithmus des Robo Advisors weitere Aspekte: Er muss seine Empfehlungen gesetzeskonform ermitteln, unternehmensinterne Beratungsregeln berücksichtigen und die Konsistenz mit anderen Kanälen, insbesondere der persönlichen Beratung, sicherstellen.
Robo Advisor werden direkt in die Interaktion mit den Kunden eintreten und dabei Aufgaben übernehmen, die von menschlichen Beratern aus Zeit- und Kostengründen nicht oder nicht effizient erledigt werden können.”
Die Kunden sind darauf eingestellt. Zwei Drittel der Versicherungsentscheider stimmen der Aussage zu, dass Kunden künftig immer mehr vollautomatisierte, digitale Beratungsangebote nachfragen, so die Studie. Diese digitale Affinität nimmt bei den Jüngeren sogar noch zu. Die qualifizierte Beratung durch Robo Advisor wird damit auf Kundenseite sukzessive mehr Akzeptanz erfahren. Es liegt nun an den Versicherern, die digitale Beratung auszubauen. Derzeit setzen 15 Prozent auf die automatisierte Kundenkommunikation über Chatbots.
Robo Advisor werden menschliche Arbeitskraft nicht ersetzen
Die in Diskussionen über künstliche Intelligenz oft geäußerte Sorge, dass Bots die persönliche Beratung auf lange Sicht vollständig ersetzen werden, trifft auf Robo Advisor nicht zu – nicht jetzt, nicht in zwei oder drei Jahren, wahrscheinlich sogar nie. Der Grund liegt auf der Hand: Das Versicherungsgeschäft ist und bleibt ein People Business.
Zu den wichtigsten Fähigkeiten von Versicherungsberatern gehören Empathie und Einfühlungsvermögen im Umgang mit den privaten Angelegenheiten ihrer Kunden.”
Sie sprechen mit ihnen über sehr persönliche Dinge wie beispielsweise über ihre Altersvorsorge, die Regelung finanzieller Angelegenheiten und über sensible Themen wie Krankheiten, Invalidität und Tod. Das wird nicht jeder Kunde in die Hände eines Roboters legen wollen – auch wenn Roboter künftig in der Lage sein werden, Sensibilität und Einfühlungsvermögen zu imitieren.
Dafür können die Algorithmen Aufgaben übernehmen, die weniger nach Empathie und Einfühlungsvermögen verlangen, sondern nach datenbasierter Validität und Aktualität.”
So können sie klassischen Versicherungsvermittlern mehr Zeit verschaffen, um intensiver auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden einzugehen. Für Unternehmen, die bisher überwiegend auf die persönliche Beratung setzen, bieten sich also hybride Strategien an, die auf die sinnvolle Kombination von menschlicher und maschineller Beratung setzen – mit Algorithmen, die rund um die Uhr eine gleichbleibend hohe Qualität bei einfachen Beratungsdienstleistungen liefern und mit Beratern, die emphatisch auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen können.
Transformation mit Methode
Hierfür bietet sich ein systematisches und methodisch abgesichertes Vorgehen an. Zunächst wird ein Zielbild für die digitale Beratung erstellt, das die Leitplanken für das Projekt bildet. Dann werden die möglichen Beratungsthemen und Prozessschritte identifiziert, die sich sinnvoll digitalisieren und mit Hilfe von Robo Advisor abbilden lassen. Daraus werden Anwendungsfälle abgeleitet, die abhängig von den unternehmensindividuellen Rahmenbedingungen bewertet werden und solche ausgewählt, die im ersten Schritt schnell umzusetzen sind.
1. Identifizieren Sie Beratungsthemen und Prozessschritte, die sich grundsätzlich für die automatisierte Kundenkommunikation eignen. Das können zunächst einfache, stark begrenzte Aufgaben sein. Voraussetzung: Die Angebote sind standardisierbar und basieren auf Daten.
2. Starten Sie mit einer klaren Roadmap. Wählen Sie erste Use Cases aus, bauen Sie Piloten und sammeln Sie erste Erfahrungen. Achten Sie bei der Auswahl einer geeigneten Anwendung auch auf die Befindlichkeiten Ihrer Mitarbeiter. Die größte Herausforderung liegt nicht im Einsatz der Technologie, sondern in der Optimierung der Dialoge und Regeln.
3. Lernen und verbessern Sie. Achten Sie dabei neben dem technischen Ausbau, wie eine größere Integrationstiefe und die Anbindung von Tarifrechnern, auf eine ständige Erhöhung der Datenqualität. Ohne eine ausreichende Menge an validen Daten werden Robo-Advisor-Projekte in den Ausbaustufen an ihre Grenzen stoßen.
Eine Einstiegsanwendung kann im Extremfall eine einzige Aufgabe sein und eine Kombination aus Robotic Process Automation und einem Chatbot: Wenn der Kunde beispielsweise eine neue Anschrift übermittelt, kann der Robo Advisor gezielt ergänzende Fragen stellen. Echtes Robo Advisory beginnt dann, wenn der Roboter durch Fragen zusätzlichen Kundenbedarf identifiziert und dann im nächsten Schritt automatisch Empfehlungen ermittelt sowie konkrete Änderungsangebote erstellt. Schon die automatisierte Bedarfsermittlung, ein Beispiel unter vielen, kann der erste Schritt in Richtung Robo Advisor sein.
Für die gezielte Auswahl von Anwendungen eignen sich Listen mit vordefinierten Use Cases. Diese werden mittels eines Schemas unternehmensindividuell bewertet und eine Roadmap abgeleitet. Wichtig ist, die Befindlichkeiten der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Wenn Vermittler das Gefühl haben, der Robo Advisor macht ihnen ihre Arbeit und ihre Kunden streitig, werden sie die Zusammenarbeit nicht nur ablehnen, sondern boykottieren. Eine einfache Lösung ist es zunächst, Aufgaben zu identifizieren, die sonst liegenbleiben, weil niemand Zeit hat, sich damit zu beschäftigen. Die Akzeptanz neuer Technologien und die aktive Gestaltung des Wandels sind zwei absolut erfolgskritische Faktoren für jedes Digitalisierungsprojekt.
Gegenstand der Evaluierungsphase sind auch die technischen Voraussetzungen, etwa in Hinsicht auf die Menge und die Qualität der vorhandenen Daten und deren technischer Verfügbarkeit. Beides ist ebenfalls erfolgskritisch, denn nur auf Basis valider Daten können Robo Advisor IDD-konforme Empfehlungen aussprechen und begründen – gleichgültig, ob (zunächst) den Beratern gegenüber oder gleich beim Kunden.
An der Technologie soll es nicht scheitern
Die am wenigsten komplexe Aufgabe in einem Robo-Advisor-Projekt ist das Finden einer geeigneten technischen Lösung. Dafür gibt es längst Standardanwendungen, Rules-Engines, Bot-Frameworks und Algorithmen, die nicht mehr „from the scratch“ programmiert, sondern im Wesentlichen „nur noch“ konfiguriert und trainiert werden müssen. Die technische Integration der ausgewählten Komponenten kann je nach architektonischen Voraussetzungen durchaus komplexer sein. Eine klare Roadmap hilft dabei, sich nicht zu verzetteln und den Überblick zu behalten.
Philipp Krähling ist Versicherungskaufmann und seit 2006 in der Branche tätig. Neben dem aktiven Vertrieb von Versicherungsprodukten verfügt Herr Krähling über Erfahrungen in der Konzeption, der Umsetzung und dem Rollout von Beratungsprozessen in großen Vertriebsorganisationen. Zuletzt arbeitet er im Projekt im Kontext Live-Chat und Chat-BOT.
Für ein Projekt zum Aufbau eines Robo Advisors sollten Versicherer im Durchschnitt zwischen drei und zwölf Monate einplanen – abhängig von der Komplexität, der Aufgabenstellung, der Vorbereitung und der in jedem Projekt notwendigen Abstimmungen innerhalb des Unternehmens.”
Fazit
Die Versicherungsbranche wird über kurz oder lang nicht auf digitale Berater verzichten wollen, denn sie bieten ihnen in vielfacher Hinsicht einen Einstieg in die digitale Zukunft. Daher sollten sie bereits jetzt den Einsatz prüfen, eine Strategie dafür aufsetzen und mit der Entwicklung von Anwendungsfällen und Prototypen beginnen. Noch immer werden sie damit First Mover und Early Adopters sein können – egal, was andere Branchen bereits vorzuweisen haben.Arne Iwers und Philipp Krähling, Sopra Steria Consulting
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/92599
Schreiben Sie einen Kommentar