STRATEGIE8. Juli 2022

Risiko oder Chance? Die Banken und der Klimawandel im EZB-Klimastresstest

Der Klimastresstest - Fragen und Antworten.
lilkar/bigstock.com

Der Krieg in der Ukraine überlagert aktuell das Thema Klimawandel. Doch die Abkehr von fossilen Brennstoffen und der Umbau der Wirtschaft bleiben zentrale Herausforderungen der nächsten Jahre – auch für die Finanzbranche. Die EZB wollte nun wissen: Wie gut sind Banken darauf vorbereitet und welche Risiken drohen? Der Klimastresstest – Fragen und Antworten.

Hitze, Dürre, Überschwemmungen – der Klimawandel schreitet voran. Für Banken ist das Risiko und Chance zugleich. Geschäfte, die auf Erdöl und Erdgas bauen, können zur Belastung in der Bilanz werden. Zugleich braucht es Milliarden, um die Wirtschaft grüner zu machen. Wie gut sind die großen Geldhäuser im Euroraum gegen finanzielle und wirtschaftliche Schocks aus Klimarisiken gewappnet? Antworten auf diese Frage soll der erste Klimastresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) liefern, dessen Ergebnisse die EZB-Bankenaufsicht am Freitag veröffentlichte.

Worin bestand die Prüfung?

Der Klimastresstest bestand aus drei Teilen: a) einem Fragebogen zu den Fähigkeiten der Banken, Klimastresstests durchzuführen, b) einem Abgleich mit Wettbewerbern, um die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen und das Engagement der Geldhäuser in Unternehmen zu untersuchen, die viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) verursachen und c) einem Stresstest mit der Berechnung verschiedener Szenarien.

Etwas weniger als 59 Prozent der 104 Banken in dem Test haben den Ergebnissen zufolge noch keinen Rahmen für Klimastresstests.”

Entsprechend bezögen die meisten Banken Klimarisiken nicht in ihre Kreditrisikomodelle ein, so das Fazit der Aufseher. Gerade einmal jedes fünfte Institut berücksichtige bislang Klimarisiken als eine Variable bei der Vergabe von Krediten.

Welche Risiken haben die Aufseher im Blick?

Sie haben zwei Arten von Risiken betrachtet: Einerseits physische Risiken wie Schäden an Gebäuden infolge einer Überschwemmung. Gehört die Immobilie der Bank selbst, schlagen die Reparaturkosten zu Buche, finanziert die Bank einen Kunden, könnte die Sicherheit an Wert verlieren. Andererseits geht es um Risiken, die mit dem Umbau der Wirtschaft verbunden sind, sogenannte transitorische Risiken oder Übergangsrisiken: Der Anpassungsprozess hin zu einer kohlenstoffärmeren und ökologisch nachhaltigeren Wirtschaft kann direkt oder indirekt zu Einbußen für Unternehmen und damit zu höheren Risiken bei Banken führen. Hier spielen auch Entscheidungen in der Klima- und Umweltpolitik eine Rolle, die nicht immer absehbar sind.

Der Test modellierte als physisches Risiko, dass Europa für ein Jahr, beginnend am 1. Januar 2022, von extremer Hitze oder schweren Überschwemmungen getroffen würde. Als kurzfristiges transitorisches Risiko wurde ein plötzlicher Anstieg des CO2-Preises in den Jahren 2022 bis 2024 um etwa 100 Dollar je Tonne angenommen.

Wie sahen die langfristigen Szenarien im eigentlichen Stresstest aus?

Im Einzelnen wurden drei langfristige Szenarien betrachtet, jedes über einen Zeitraum von heute bis 2050:

1. Das erste Szenario (“orderly”) ging davon aus, dass klimapolitische Maßnahmen frühzeitig eingeführt und schrittweise umgesetzt werden. Damit würde die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzt. 2050 würde in diesem Szenario das Ziel der Klimaneutralität erreicht, sprich klimaschädliche Gase wie CO2 würden dann vermieden oder gespeichert werden (“Netto-Null-Ziel”). Die Europäische Union zum Beispiel hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein, Deutschland will das schon bis 2045 schaffen. Ein sanfter Übergang, wie er in diesem Stresstestszenario angenommen wird, würde die Kosten der Energiewende minimieren. Zugleich würde die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius die Gefahr von Naturkatastrophen verringern und somit den Anstieg physischer Risiken für Banken mindern.

2. Das zweite Szenario (“disorderly”) ging von einem ungeordneten Übergang aus, bei dem der CO2-Ausstoß bis 2030 nicht schnell genug sinkt, weil Maßnahmen zu spät ergriffen werden. In den Folgejahren müsste die Politik dann umso stärker eingreifen, um Klimaziele noch erreichen zu können. So müsste beispielsweise der CO2-Preis rascher steigen. Damit wären die Übergangsrisiken höher. Zudem wären weitere Jahre vergangen, in denen die Erderwärmung nicht effizient begrenzt wurde, so dass extreme Wetterereignisse und damit Schäden zunehmen könnten.

3. Das dritte Szenario (“hot house world”) unterstellte, dass die politischen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erderwärmung maßgeblich zu begrenzen. Kritische Temperaturschwellen werden überschritten, eine Zunahme von Naturkatastrophen führt zu enormen Kosten für die Volkswirtschaften.

Entwickelt wurden diese Szenarien vom “Network for Greening the Financial System” (NGFS), einem Zusammenschluss von Notenbanken und Aufsichtsbehörden. Teilweise hat die EZB die Szenarien für ihren Klimastresstest etwas abgewandelt.

Welche Daten lieferten die Banken?

Aus den genannten Szenarien wurden den Banken bestimmte Parameter überspielt, etwa zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der Inflation und der Zinsen. Darauf aufbauend wurde berechnet, welche Auswirkungen sich auf Firmenkunden ergäben, aber auch inwiefern das Immobilienportfolio der Geldhäuser betroffen wäre. Ausgangsbasis: die Bilanz zum 31. Dezember 2021. Die Banken mussten dann jeweils in Zehn-Jahres-Intervallen (2030, 2040, 2050) projizieren, wie sich ihre Hypotheken sowie ihre Unternehmenskredite unter diesen Annahmen entwickeln würden. Banker kritisierten, der Zeitraum von 30 Jahren sei zu lang für solche Modellrechnungen. Zumindest konnten die Institute auch Managemententscheidungen berücksichtigten: etwa die Trennung von Kunden aus CO2-intensiven Branchen.

Mit welchen Verlusten müssen Banken durch den Klimawandel rechnen?

Für die 41 größeren Institute, die den kompletten Test durchlaufen mussten, summierten sich die umweltbezogene Kredit- und Marktverluste auf 70 Milliarden Euro …”

53 Milliarden Euro im Rahmen des ungeordneten Übergangsszenario und 17 Milliarden Euro als kurzfristige physische Risiken im Fall der angenommenen Dürre beziehungsweise Überschwemmung. Die Aufseher betonten, die Summe spiegele nur einen Bruchteil des tatsächlichen klimabedingten Risikos für die Branche.

Wie viele Institute haben an dem Klimastresstest teilgenommen?

104 der Geldhäuser, die die EZB direkt überwacht, mussten Daten liefern. Den vollen Test inklusive der Szenarienberechnungen mussten “aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gegenüber kleineren Banken” aber nur 41 größere Institute durchlaufen, wie die EZB erläuterte. Welche Institute dies genau waren, machten die Aufseher nicht transparent.

Werden die Ergebnisse Folgen für die Institute haben?

“Es geht bei diesem Stresstest nicht darum, ihn zu bestehen oder nicht, und der Test hat auch keine direkten Auswirkungen auf die Kapitalausstattung der Banken”, hatte die EZB-Bankenaufsicht bereits bei der Ankündigung des Klimastresstests Ende Januar 2022 mitgeteilt. Der Vize-Chef der EZB-Bankenaufsicht, Frank Elderson, sprach bei der Vorlage der Ergebnisse von einer “Lernübung”. Ziel der Aufseher war, Schwachstellen und Herausforderungen zu identifizieren – sowohl bei Banken als auch in der Aufsicht. Die Ergebnisse werden nach Angaben der Aufseher “aus qualitativer Sicht” in den sogenannten SREP-Prozess (“Supervisory Review and Evaluation Process”) einfließen, in dem die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen und die Angemessenheit des Risikomanagements bewertet werden.dpa

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