STRATEGIE8. Juni 2016

Predictive Analytics im Einsatz: Was wird aus fälligen Lebensversicherungen?

Dr. Andrej Fischer, Comma SoftComma Soft
Dr. Andrej Fischer, Comma Soft AGComma Soft

Versicherungsunternehmen und Finanzdienstleister stehen momentan vor dem gleichen Problem: Zahlreiche kapitalbildende Lebensversicherungen laufen in nächster Zeit aus, denn 2004 hatte der Gesetzgeber das Ende der steuerlichen Begünstigungen auf Erträge der entsprechenden Policen eingeläutet. Die Unternehmen gewannen kurzfristig viele Neukunden, deren Verträge sich nun nach der zwölfjährigen Mindestlaufzeit dem Ende zuneigen. Das war vorhersehbar. Schwieriger ist es, einen möglichst großen Teil des freiwerdenden Kapitals weiterhin zu binden. Predictive Analytics leistet hier einen entscheidenden Beitrag.

von Dr. Andrej Fischer,
Senior Data Science Consultant Comma Soft

Die Versicherer stehen unter wachsendem Handlungsdruck: Eine regelrechte Flutwelle fällig werdender Lebensversicherungen rollt unaufhaltsam auf sie zu, ein empfindlicher Kapitalschwund droht der ohnehin vom Niedrigzinsumfeld gebeutelten Branche. Die Ursache für dieses Problem der sehr nahen Zukunft liegt in der Vergangenheit. 2004 schaffte der Gesetzgeber das Steuerprivileg für Lebensversicherungen, die ab dem Folgejahr abgeschlossen wurden, ab. Seinerzeit nutzten viele Anlagewillige die Gunst der Stunde und schlugen zu.
Zwölf Jahre später laufen die Verträge aus und die Versicherten könnten sich ihr Geld auszahlen lassen. Den Beitragsverlust durch entsprechende Neuabschlüsse auszugleichen, ist ein schwieriges Unterfangen – gerade im aktuellen Niedrigzinsumfeld. Deshalb kommt dem Wiederanlagemanagement auf Seiten der Gesellschaften in diesen Tagen eine entscheidende Bedeutung zu. Den betroffenen Kunden zum richtigen Zeitpunkt das richtige Wiederanlageprodukt anzubieten, kann dem drohenden Kapitalabfluss entgegenwirken.

jovanmandic/bigstock.com
jovanmandic/bigstock.com

Ein erfolgreiches Wiederanlagemanagement setzt einen qualifizierten Umgang mit den vorhandenen Kundendaten voraus: Nicht nur die Frage, wie viele und welche Verträge betroffen sind, stellt sich den Unternehmen. Auch gilt es, personelle Ressourcen bereitzustellen, um dem jeweiligen Kunden das passende Wiederanlageprodukt zur richtigen Zeit anzubieten. Vielen Versicherern läuft in diesen Tagen die Zeit davon, weil ihnen im Dschungel der verfügbaren Informationen zu ihren Bestandskunden schlicht der Überblick fehlt. Viele Fragen zur richtigen Herangehensweise stehen plötzlich auf der Agenda.

Wenngleich das Problem seit Jahren abzusehen war, fehlen in vielen Häusern derzeit die passenden Antworten.

Ein Praxisbeispiel für Predictive Analytics

Das Beispiel eines großen deutschen Versicherers zeigt, dass sich mithilfe softwaregestützter Datenanalyse die nötige Transparenz herstellen lässt, um im Wettlauf mit der Zeit die vorhandenen Potenziale für ein erfolgreiches Wiederanlagemanagement auszuschöpfen. Das Versicherungsunternehmen ging konkret vier Fragen auf den Grund:

  1. Wie viel Kapital steht derzeit auf dem Spiel und in welchem Zeitraum wird dieses frei?
  2. Reichen die personellen Ressourcen für die Umsetzung möglicher Kampagnen aus?
  3. Welche Kundenberater und Makler sind die Besten beim Thema Wiederanlage?
  4. Welche Kunden im betroffenen Bestand haben die höchste Affinität zu Wiederanlageprodukten?

Antworten lieferte im Praxisbeispiel eine Self-Service-Data-Science-Lösung, mit der die verfügbaren Daten aus den Policen der Kunden analysiert wurden. So wurden Korrelationen aufgedeckt sowie Datenmuster und Auffälligkeiten untersucht. Data Science im engeren Sinne entsteht dabei aus der Verbindung von statistischen Methoden und algorithmischer Datenanalyse. Die Suche nach verwertbaren Strukturen in Daten, die es erlauben, verlässliche Zuordnungen und Vorhersagen zu machen, steht dabei im Mittelpunkt.

Wann und in welchem Umfang ist zu handeln?

Zunächst galt es, einen möglichst präzisen Überblick über die Dimension des Problems sowie den konkreten Zeitraum zu erlangen, in dem aktives Handeln erforderlich wird. Die Gefahr ist groß, den richtigen Moment zu verpassen, um den betroffenen Kunden ein neues Produkt anzubieten. Mithilfe von Predictive Analytics lässt sich auf Basis der verfügbaren Kundendaten die entscheidende Transparenz herstellen: In welchem konkreten Zeitraum muss das Unternehmen ein verstärktes Engagement beim Vertrieb von Wiederanlage-Produkten zeigen und reichen die personellen Ressourcen dafür aus?

Nur wer genau weiß, wie viele Kunden er wann kontaktieren muss, kann auch rechtzeitig in die effektive Kampagnenplanung einsteigen. Dazu können beispielsweise Produktaktionen oder zusätzliche Provisionsprogramme für Makler gehören. Ebenso lassen sich Marketingkampagnen zeitlich und inhaltlich präzise auf das Thema Wiederanlage zuschneiden.

Welche Makler können unterstützen?

Das Versicherungsunternehmen unseres Praxisbeispiels ging noch einen Schritt weiter: Die Gesellschaft traf eine Auswahl der beim Thema Wiederanlage erfolgreichsten Makler. Es stellte sich die Frage: Welche Partner liefern bei den relevanten Produkten, zum Beispiel bei der Sofortrente, die meisten Abschlüsse? Die besten Berater sollten über zusätzliche Incentives verstärkt in den Verkauf der Wiederanlageprodukte und den Wissenstransfer zwischen den Partnern eingebunden werden. Wichtig war es hierbei auch, das Ergebnis um Faktoren wie zum Beispiel die regionale Kaufkraft zu bereinigen.

Zudem unterstützte der Versicherer ausgewählte Makler bei der Priorisierung der eigenen Bestandskunden auf Basis der vorhandenen Daten. Neben der Antwort auf die einfache Frage, um welche Geldsumme es im Einzelfall geht, lieferte die Software-gestützte Datenanalyse weitere Erkenntnisse: In welchen Merkmalen sind sich Kunden ähnlich, die in der Vergangenheit eine hohe Affinität zu einem Wiederanlageprodukt gezeigt haben? Die Untersuchung der Korrelation von Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Urbanität, lokale Kaufkraft und der Affinität zur Wiederanlage brachte wertvolle Zusammenhänge ans Licht. Auch die Art und Weise, wie ein bereits geschlossener Vertrag zu Stande kam, wurde im Rahmen der Analyse ausgewertet. So erhielten die Makler nicht nur Informationen, welche Kunden in ihrem Bestand mit der höchsten Wahrscheinlichkeit offen für die Beratung zu einem Wiederanlageprodukt waren, sondern auch, auf welche Weise diese zu kontaktieren seien – per Telefon, E-Mail oder per Brief.

Doch damit nicht genug: Aus ersten Telefonaktionen im betreffenden Kundenbestand leitete das Versicherungsunternehmen weitere Erkenntnisse ab. Einer zufällig gezogenen Stichprobe wurde die Frage gestellt, ob Interesse an einem persönlichen Termin mit einem Kundenberater zum Thema Wiederanlage bestehe. Die anschließende Auswertung der Antworten und die Verknüpfung mit Kundenmerkmalen (was zeichnet Kunden aus, die mit “ja” geantwortet haben?) ermöglichte eine weitere Qualifizierung des Datenbestandes.

Autor Dr. Andrej Fischer
Dr. Andrej FischerDr. Andrej Fischer ist Senior Data Science Consultant bei der Comma Soft AG. Comma Soft wurde 1989 gegründet und hat sich seitdem einen Namen als innovatives IT-Beratungs- und Software-Haus gemacht. Das Leistungsspektrum umfasst Business Intelligence- & Data Science-Lösungen sowie IT-, Security- und Resilience-Consulting. Große und mittelständische Unternehmen in der DACH-Region – darunter zahlreiche DAX-Konzerne – zählen zu den Kunden des Unternehmens mit Stammsitz in Bonn und 135 Mitarbeitern.

Data Science im Self-Service

Die Zahl denkbarer Einsatzszenarien für zielgerichtete Datenanalyse ist unerschöpflich. Zweifellos sind auch die Methoden, mit denen Unternehmen an die gewünschten Informationen gelangen, mitunter komplex. Wie können Data-Science-Methoden also eingesetzt werden, ohne dass für jede Datenabfrage spezialisierte Datenwissenschaftler herangezogen werden müssen? Software-Anbieter haben sich dieser Problematik in der jüngeren Vergangenheit verstärkt angenommen. Das Resultat sind sogenannte Self-Service-Data-Science-Lösungen, die hohen Wert auf Usability legen und eine Vielzahl hilfreicher Visual-Analytics-Features integriert haben. Ebenso enthalten einige Lösungen bereits vordefinierte Auswertungsmethoden und Algorithmen, die auf die Bedürfnisse bestimmter Branchen oder Wirtschaftszweige zugeschnitten sind.

Beim Self-Service-Prinzip kann der Nutzer die entsprechende Technologie nach seinen Wünschen und Vorstellungen einsetzen, ohne von anderen Personen oder dem IT-Wissen von Experten abhängig zu sein. So können Fachbereiche ihre Reporting- und Analytics-Anforderungen in Eigenregie erfüllen, ohne IT-Ressourcen zu binden und zeitliche Verzögerungen in Kauf nehmen zu müssen.

Deutlich verbesserte Erfolgsquote

Das Versicherungsunternehmen unseres Praxisbeispiels konnte durch den Einsatz von moderner Analyse-Software einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil erzielen. Die involvierten Berater und Makler arbeiteten aufgrund der präzisen Vorauswahl der affinsten Kunden nicht nur zielgerichteter und dadurch zeiteffizienter, eine Vervierfachung der Abschlussquote im Bereich der Wiederanlageprodukte war am Ende auch bares Geld wert.pp

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