“Ohne Inkasso-Branche wäre das gerichtliche Mahnwesen vermutlich längst kollabiert.” – BDIU-Präsidentin

BDIU
von Dunja Koelwel
Frau Blietz-Weidmann, technologische Entwicklungen eröffnen neue Möglichkeiten im Inkassoprozess. Mittlerweile sind künstliche Intelligenz, Automatisierung und Big-Data-Analysen fester Bestandteil vieler Inkasso-Lösungen – oder ist hier noch Luft nach oben?
Die Digitalisierung der Finanz- und Rechtsdienstleistungen sowie aller weiteren Services, die entlang unserer Wertschöpfungskette eine Rolle spielen, hat gerade erst begonnen. Gut ist, dass wir auf einer grundsoliden Basis damit starten können: Schon entlasten wir Handel, Handwerk, Banken- und Dienstleistungssektor und sind die ordnende Hand in einer immer komplexer werdenden Prozesslandschaft.In vielen Unternehmen sichern wir den Cash-Flow und sind längst über die Rolle des reinen Geldbeitreibens hinausgewachsen.”
Immerhin überweisen wir jährlich zwischen fünf und sechs Milliarden Euro zurück an die Gläubiger und stützen auf diese Weise deren Liquidität. Und auf der anderen Seite haben wir es immer noch mit gut 5,5 Millionen überschuldeten Menschen in Deutschland zu tun. Viele von Ihnen haben unsere Mitarbeitenden dann am Telefon. Und viele von ihnen sind froh mit Menschen über Problemlösungen sprechen zu können. Immerhin werden vier von fünf Inkasso-Verfahren auf diese Weise gütlich beendet und nur fünf Prozent aller Fälle landet schließlich beim Gerichtsvollzieher.
Machen Sie die Dimensionen doch mal bitte etwas fassbarer?
Die fünfeinhalb Millionen Menschen stehen für 97 Millionen Euro an offenen Forderungen; jedes Jahr sind es rund 30 Millionen, die neu hinzukommen. Gleichzeitig sinkt deren Wert: Knapp 80 Prozent blieben unter 250 Euro und auf 94 Prozent steigt die Zahl, wenn wir die Grenze auf 1.000 Euro etwas nach oben verschieben. Die Masse der Inkassoverfahren dreht sich vermutlich also nicht um große Investitionen. Vielmehr deuten die Zahlen an, dass Verbindlichkeiten aus Mieten, Miet-Nebenkosten, Versicherungen, Telekommunikation und Konsum den Löwenanteil ausmachen. Nach Finanzkrise, Pandemie und Inflation erscheint das sehr plausibel.
Aber die Einnahmesicherung ist doch das traditionelle Kerngeschäft im Forderungsmanagement?
Aber es ist mittlerweile nur noch ein Standbein. Ein ebenso wichtiger Teil unserer Leistungen konzentriert sich die Übernahmen ehemals interner Prozesse. Nicht nur, aber vor allem der E-Commerce hat dabei eine Vorreiterrolle. Hier beginnt die Dienstleistung am Warenkorb: Partner wie PayPal, Klarna, bezahl.de oder Riverty organisieren nicht nur das Forderungsmanagement, sondern sind oft bereits Teil des Bestell- und Zahlungsprozesses.
Es geht es nicht um nur Entlastung von organisatorischem Aufwand, sondern um einen Teil des Geschäftsprozesses. In diesem Sinne sind wir also längst systemrelevant.”
Das lässt sich am Beispiel des „Buy-Now-Pay-Later“-Modells sehr gut zeigen. Hier wird nicht nur der gesamte Abrechnungs- und Zahlungsprozess vom Kerngeschäft gelöst. Mit ihm wechselt auch das Risiko des Zahlungsausfalls vom Markteilnehmer auf den Finanzdienstleister. Nun steht dieses Modell nicht für das gesamte Geschäft im Forderungsmanagement. Aber es hat ein Zeichen gesetzt und steht sicherlich Pate für den Versuch, sich möglicher Zahlungsausfallrisiken zu entledigen.
Wie verändert die Digitalisierung die Zusammenarbeit mit Auftraggebern?
Auftraggeber und Auftragnehmer wachsen auf der Ebene der Datenströme zusammen. Gerade hier wird die Digitalisierung viele neue Instrumente schaffen, die im Rahmen der strategischen Unternehmensplanung, der Warenwirtschaft, der Logistik und eben auch im Risikomanagement eine wichtige Rolle spielen können. Da ist noch sehr viel Musik drin.

Etwa 15.000 Mitarbeitende in den mehr als 400 BDIU-Mitgliedsunternehmen sorgen dafür, dass 80 Prozent der Inkassoverfahren außergerichtlich beigelegt werden; nur fünf Prozent gehen ins gerichtliche Mahnwesen und davon enden zwei Drittel (2,7 Millionen) mit dem Besuch eines der 4.300 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern. Das sind pro Jahr mehr als 600 Fälle pro Kopf und vermutlich ein Vielfaches an vergeblichen Besuchen bei den Schuldnern.
Ohne die Inkasso-Branche wäre das gerichtliche Mahnwesen vermutlich längst kollabiert.”
Ein Teil unserer Wachstumsdynamik kommt also daher, dass wir als funktionaler Teil für immer mehr Branchen den Zahlungsverkehr stabil und die Liquidität hoch halten. Ein anderer Teil bezieht sich eher auf die stabilisierende Wirkung für den Finanzmarkt. Auch hier wird Forderungsmanagement eingesetzt, um Liquidität zu sichern und Risiken in der Bilanz zu minimieren. Die Reduzierung der Days Sales Outstanding (DSO) und Wertberichtigungen, aber auch um die Beschleunigung der Prozesse im Forderungsmanagement und die Verbesserung der Zahlungsmoral der Kunden spielen dabei eine große Rolle.
Die marktstabilisierende Funktion leitet sich aber nicht zuletzt daraus ab, dass Inkasso-Unternehmen als Finanzdienstleister auch in den Handel mit notleidenden Krediten (NPLs) einsteigen. Dafür hat des Kreditzweitmarktgesetz die Weichen gestellt und man darf gespannt sein, ob sich trotz hoher Zugangshürden durch den Gesetzgeber, ein Markt entsteht, der den Banken neue Möglichkeiten und so mehr Spielraum für die Kreditvergabe gibt. Das zu bewerten wäre jetzt sicherlich noch zu früh.
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Die Inkasso-Branche ist vermutlich eine der am stärksten regulierten Branchen hierzulande; organisatorisch, wie persönlich. Wir unterstehen der Aufsicht sowohl der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) als auch der des Bundesamtes für Justiz (BfJ). Zudem folgen die BDIU-Mitgliedsunternehmen zusätzlich einem sehr strengen Code of Conduct, um sicherzustellen, dass Inkasso stets im besten Interesse der Verbraucher und der Gläubiger und mit größter Sorgfalt betrieben wird. Darunter fallen dann auch spezifische Regelungen, wie die Beschränkung der Kontakthäufigkeit, die zulässigen Arbeitszeiten oder die Verpflichtung zur Offenlegung, ein hohes Maß an Disziplin verlangen.
Neben intensiven Schulungen unserer Mitarbeitenden gewinnen technische Lösungen an Bedeutung, die automatisiert alle gesetzlichen Vorgaben sicherstellen, dokumentieren und bei Verstößen unmittelbar die Bearbeitung durch die Kontrollinstanzen anstoßen.”
Das geht digital viel einfacher, schneller und systematischer und entlastet das Personal. Dennoch sehe ich die beste Lösung in einer Kombination aus technischer Überwachung und dem unverzichtbaren menschlichen Urteilsvermögen – denn letztlich ist es die persönliche Verantwortung, die die Basis für vertrauenswürdige Inkassoprozesse bildet.
Ungenaue oder veraltete Informationen führen zu Fehlern (falschen Personen werden angesprochen, bereits beglichene Schulden sollen eingetrieben werden,…). Wie lässt sich dieses Problem am besten lösen?
Der mit Abstand größte Teil möglicher Personenverwechslungen wird im Vorfeld bereits geklärt. Aber Ausnahmen, die für die Betroffenen höchst ärgerlich sind, gibt es leider immer wieder.
Ein großer Teil unserer Arbeit geht daher in die Pflege und Aktualisierung von Schuldnerdaten.”
Denn je zuverlässiger die Daten sind, desto schneller kann ein Verfahren betreut und abgeschlossen werden. Davon haben dann alle etwas: Der Gläubiger bekommt sein Geld, der Schuldner findet einen Weg aus seiner finanziellen Notlage und wir können einigermaßen wirtschaftlich arbeiten.
In diesem Zusammenhang gilt unsere Hoffnung nicht zuletzt den Möglichkeiten, die sich aus dem Zusammenspiel von Datenbanktechnologien, regelmäßigen Prüfprozessen und externen Informationsdiensten ergeben. KI-gestützte Analysetools können auf diese Weise nach Inkonsistenzen und Fehlern suchen und sie korrigieren. Das wäre eine wichtige Verbesserung des Inkassoprozesses für alle Beteiligten.
Frau Blietz-Weidemann, vielen Dank für das Interview. dk
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