IT-Zäsur: Die Ära des Offshoring steht vor dem Ende – Technologiejobs vor Rückkehr nach Europa
Nachdem aus Kostengründen jahrelang IT-Offshoring betrieben wurde, kommt es bei vielen europäischen Banken zu einem Umdenken. Die globale Pandemie wirkt wie ein Brennglas für die Probleme, die bei der Verlagerung ins Ausland entstehen. In den kommenden Jahren werden sich IT-Prozesse vieler Häuser massiv wandeln. Nearshoring wird ein geeignetes Mittel darstellen, den technischen Anforderungen der Dekade zu begegnen. Innereuropäische Teams könnten eine perfekte Ergänzung zur Digitalisierung von Prozessen darstellen und sich als ein essentieller Baustein der IT-Strategie von morgen entpuppen.
von Lara Fries, Capco
Offshoring als weithin bekannte Form des (teilweisen) Outsourcing beispielsweise der Softwareentwicklung im Change- und Run-Betrieb, hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten als Geschäftsmodell exponentiell zugenommen. Hiermit versuchten Unternehmen – nicht zuletzt die großen Player der Bankenwelt – Kosten zu senken, Prozesse zu rationalisieren und die Vorteile der Spezialisierung zu nutzen.Die Entwicklung führte zu einem Boom der IT-Jobs in Schwellenländern – insbesondere in Asien. Länder wie Indien oder die Philippinen konnten sich als wichtige digitale Drehkreuze etablieren. Nun dreht sich die Richtung.”
Offshoring – ein durchwachsenes Fazit
Trotz diverser Vorteile des Offshorings mussten viele Unternehmen in den letzten Jahren lernen, dass die Strategie auch signifikante Nachteile mit sich bringt. Zu den größten Mankos zählen sicherlich die Zeitzonenunterschiede, welche die Kommunikation innerhalb des Teams beeinträchtigen und zu Verzögerungen führen können. Auch Geschäftsreisen in die Gebiete gehen einher mit weiten Entfernungen und verursachen entsprechenden Kosten- und Zeitaufwand.
Bei Kommunikation und Zusammenarbeit steht darüber hinaus oft die Sprache im Weg, wodurch Informationen verlorengehen. Mitarbeiter in Offshoring-Gebieten sprechen Englisch in der Regel – wenn überhaupt – lediglich als Zweitsprache. Zudem können kulturelle und soziale Gepflogenheiten eine Herausforderung darstellen. Nicht selten verhindern diese Unterschiede wertvolles Feedback aber auch sinnvolle Kritik. In vielfach ausgewählten Offshoring-Ländern herrscht darüber hinaus ein instabiles politisches Klima, so dass sich geopolitische Risiken direkt auf die Geschäftsabläufe auswirken können.
Insbesondere die chaotischen Lockdown-Maßnahmen rund um den Globus im Frühjahr 2020 haben die Risiken im Bereich der schwierigen Planbarkeit offengelegt.
Die Auslagerung von Operationen in Schwellenländer Asiens machte die Banken zusätzlich verletzlich. Ausfälle und fehlende Erreichbarkeiten waren die Folge. Gerade in Krisenzeiten, in denen Banken eine besondere Verantwortung zukommt, ist dies ein gravierendes Risiko.”
Die Krisenkoordination der Institute konnte aufgrund des Regelchaos und der schwierigen Erreichbarkeit nicht ausreichend gewährleistet werden.
Auch unter den jüngsten Eindrücken gehen Unternehmen inzwischen verstärkt auf die Suche nach Partnern im näheren Umfeld und ziehen eine Abkehr vom Offshoring hin zum Nearshoring in Betracht. Dabei finden IT-lastige Tätigkeiten den Weg von Hotspots wie etwa Indien zurück nach Europa. Auch nach unserer Erfahrung etabliert sich das Nearshore-Modell mit ersten erfolgreichen Projekten bei Nutzung der kommerziellen, regulatorischen und der kulturellen sowie geografischen Vorteile.
Bankjobs in der IT kommen zurück nach Europa
Insbesondere die osteuropäischen (Nachbar-)Länder sind beliebte Standorte, aus denen Nearshoring erbracht bzw. angefordert werden kann. Staaten wie beispielsweise die Slowakei, Rumänien, Tschechien, Polen und Ungarn sind ideale Standorte, um Nearshoring Dienstleistungen u.a. in der DACH-Region anzusiedeln. In letzter Zeit ist zudem auch eine vermehrte Verlagerung nach Portugal zu beobachten. Vorrangiges Kriterium sind natürlich die niedrigeren Lohn- und Lohnnebenkosten in den genannten Ländern.
Und entgegen der Offshoring-Gebiete verfügen die beispielhaft genannten Neashoring-Länder über ähnliche Kulturen und Denkweisen, bewegen sich alle in einer ähnlichen Zeitzone, was eine Zusammenarbeit von unterschiedlichen Teams über Ländergrenzen hinweg deutlich vereinfacht.”
Oftmals wird zudem Deutsch gesprochen und ein gemeinsamer regulatorischer Hintergrund erleichtert die Zusammenarbeit. Die Adressierung der strikten regulatorischen Vorgaben für Banken kann somit besser gewährleistet werden: EU-Staaten bzw. EU Jurisdiktion gelten generell als sichere Länder hinsichtlich Herausforderungen wie Datenschutz, Cybersecurity etc., da eine einheitliche Gesetzgebung besteht.
Banken eröffnet der Einsatz von Nearshoring-Teams auch weiterhin ein erhebliches Kosteneinsparungspotenzial. So ist es etwa möglich, einen beträchtlichen Teil ihrer Fixkosten für die Anmietung von Büroräumen und Geräten sowie weitere Betriebs- und Lohnkosten einzusparen. Darüber hinaus bietet die Strategie Zugang zu einem größeren Pool an Bewerbern, aus welchem Institute qualifizierte neue Talente unabhängig von ihrem geografischen Standort und möglicherweise auch an Orten rekrutieren können, an denen es bisher nicht möglich war, solche Talente zu suchen oder zu gewinnen.
On- und Nearshoring ermöglichen bessere Antizipation von (digitalen) Trends
Insbesondere IT-Support und -Entwicklung sowie Middle- und Back-Office-Dienstleistungen und Gewerke, die für den allgemeinen Betrieb einer Bank notwendig sind, waren bis dato die Domänen des Outsourcings in exotische Standorte. Banken sind angehalten, im Zuge des Strategiewechsels zu ermitteln, inwieweit Outsourcing-Jobs gleichwertig von Maschinen und smarten Technologielösungen übernommen werden können. Die Automatisierung, etwa durch den Einsatz von Machine Learning oder KI, bietet den Banken die Möglichkeit zur dringend erforderlichen Kostenoptimierung.
Im Gegensatz dazu ermöglicht die Kooperation mit Nearshoring-Teams strategisch eine noch tiefere Integration der neuen externen Mitarbeiter. Während klassische Outsourcing-Aufgaben vornehmlich auf gekapselte, klar definierte Arbeitspakete fokussiert waren, könnte sich zukünftig eine neue Arbeitsteilung als sinnvoll erweisen: Mitarbeiter aus anderen EU-Staaten bringen ein besseres Verständnis für regionale Trends sowie die Präferenzen der Kundschaft im Heimatmarkt der Banken mit. Es gestaltet sich unter Einsatz des Nearshorings viel leichter, maßgeschneiderte Services an der Schnittstelle zum Kunden zu implementieren. Für das Nearshoring spricht neben der Nähe zum Endverbraucher auch die Tatsache, dass bei der Entwicklung digitaler Dienste Berater, Technikexperten und UX-Spezialisten möglichst nah (geografisch wie technisch) beisammen sein müssen, um eine enge Kooperation zu gewährleisten. Nearshoring erfüllt dabei nicht nur delegierte Aufgaben, sondern ist vielmehr in der Lage, eigene Ideen und Vorschläge einzubringen. Die schnelle Antizipation von Trends und Kundenwünschen in Kombination mit stärker integrierten Nearshoring-Teams erlaubt deutlich verkürzte Entwicklungszeiten und verbessert somit maßgeblich die Konkurrenzfähigkeit im digitalen Zeitalter. Externe Teams haben die Möglichkeit, sich als Ideeninkubatoren zu beweisen und bringen das notwendige Know-how mit, um in puncto Entwicklung, Testing und Betreuung essentielle Prozessschritte zu übernehmen.
Strategie auf dem Prüfstand
Die strategischen Planungswechsel sind besonders vor dem Hintergrund der Erkenntnisse sowie der erlebten Vorgehensweisen aus der anhaltenden Pandemie nachzuvollziehen. Viele Finanzdienstleistungsinstitute waren gezwungen, ihre Pläne zur digitalen Transformation in Gang zu setzen oder neu zu beleben, um ihre Prozesse für digitale Lösungen zur Erleichterung von Transaktionen anzupassen.
Banken sollten den Moment nutzen, genau zu sondieren, welche Offshoring-Services durch Technologie adäquat ersetzt werden können. Stärker integrierte Nearshoring-Teams können eine ideale Möglichkeit darstellen, diese Technologien zu ergänzen bzw. auch zu warten.”
Dank der größeren Nähe und des besseren Verständnisses für die hiesigen Kundenpräferenzen kann das Nearshoring dabei unterstützen, kundenfreundliche Innovationen schneller am Markt zu platzieren. Das Know-how aus den europäischen Nachbarländern – besonders aus Osteuropa – kann sich für Banken als wichtiges Asset für anstehende Digitaloffensiven erweisen, zumal diverse Banken aus diesen Märkten in puncto Usability und mobile Angebote absoluten Vorbildcharakter für hiesige Spieler haben könnten.Lara Fries, Capco
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