Nachhaltigkeit: War Green-IT nur ein Marketing-Gag?
Gegen 2008 entdeckten IT-Hersteller die Umwelt und legten reichlich “umweltfreundliche” Produkte auf. Nachhaltigkeit und Green-IT waren beliebte Stichwörter, die mit teils sagenhaften Rabatten vor allem in den RZ-Markt gedrückt werden sollten. Mit der Zeit verschwand das Thema aus der Presse und der Firmenkommunikation. Schade eigentlich. Deshalb haben bei Hartmut Lehmann, Field Marketing Manager Technical Regulation and Environmental Affairs, bei Dell in Frankfurt nachgefragt – denn: Dell bezeichnet sich in einer Pressemitteilung letzter Woche als “weltweit größten Technologie-Recycler”.
Herr Lehmann, Sagen Sie mal ganz ehrlich ‘Nachhaltigkeit’ und ‘Green-IT’ – das war doch nur ein IT-Marketing-Hype von vor 5-6 Jahren. Kümmert sich da heute noch jemand drum?
Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Umweltschutz sind Begriffe, die schnell unter den Verdacht geraten, nichts weiter als Marketingkampagnen zu sein. Die Öffentlichkeit hinterfragt zunehmend die vollmundigen Versprechen der Hersteller und verlangt zu Recht messbare Kriterien. Das ist auch richtig so. Dabei sollte aber niemand vergessen, dass Hersteller von IT-Technologien einen konkreten Beitrag in Sachen Umweltschutz leisten können und dies auch tun: Technologien, die sich an Kriterien der ökologischen Nachhaltigkeit orientieren, wirken. Möglichkeiten gibt es in allen Bereichen der IT – von der Einzelplatz-Hardware bis zur Rechenzentrums-Infrastruktur.
Energieeffizienz ist ein Beispiel für ein Versprechen, das viele propagieren.
Es gibt viele Ansatzpunkte, IT-Technologien nachhaltig zu gestalten. Energieeffizienz der Endanwender-Hardware ist eine zentrale Disziplin, bei der kontinuierlich an Verbesserungen gearbeitet wird. Häufig nimmt der Endverbraucher gar nicht wahr, dass die Grenzwerte etwa für das schon lange bestehende Logo EnergyStar ständig sinken und damit die Ansprüche steigen. Hersteller optimieren die Energieeffizienz aller Komponenten. Ein Unternehmen wie Dell verlangt dabei auch von den Zulieferern das Einhalten dieser Effizienzkriterien. Nachdem der Wirkungsgrad von Netzteilen zum Beispiel weitestgehend ausgereizt ist, sind andere Komponenten an der Reihe, allen voran Displays und Motherboards. Aber auch der Stromverbrauch von Prozessoren lässt sich optimieren: Kleinere Transistoren senken die Spannungsaufnahme ebenso wie ein effektives Abschalten von Prozessorkernen im Leerlauf oder eine Optimierung der Befehlssätze – etwa wenn ein zweiter virtueller Prozessorkern bereitgestellt wird, um Befehle in ihrer Reihenfolge verarbeiten zu können und nicht umsortieren zu müssen. Auch Software wird nun auf mehr Energieeffizienz hin programmiert. Hier hat Microsoft zum Beispiel auf die Kritik an seinem Betriebssystem Windows Vista reagiert.
Zugegebenermaßen verbraucht IT-Hardware in vielen Bereichen im Betrieb heute absolut gesehen nicht weniger Strom als früher. Das liegt aber an der enormen gestiegenen Rechenleistungen und der Zunahme von Funktionen. Ohne die Bemühungen zur Steigerung der Energieeffizienz wäre der Stromverbrauch heutiger Notebooks um ein Vielfaches höher.
Und wie kann man den Energieverbrauch zum Beispiel beim Nutzer in Banken und bei Versicherern senken?
Bei Endanwender-Hardware ist es schwierig, eine absolute Verringerung des Stromverbrauchs und den Wunsch der Nutzer nach immer mehr Leistung miteinander in Einklang zu bringen. In Rechenzentren aber bestehen die Möglichkeiten, bei gleichbleibender oder sogar steigender Leistung den Stromverbrauch zu senken – und viele Unternehmen verlangen angesichts immer größerer Speichermengen auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit danach. Thin Provisioning etwa teilt in virtualisierten Umgebungen Speicherplatz variabel zu und ermöglicht damit ein optimales Ausschöpfen vorhandener Kapazitäten. Der Kauf neuer, stromverbrauchender Hardware und Kühlsysteme ist durch das bessere Ausnutzen vorhandener Kapazitäten zunächst einmal überflüssig. Gerade Kühltechnologien bieten zahlreiche Möglichkeiten zum Stromsparen und auch die Resistenz von Servern gegen Hitze senkt den Stromverbrauch. Dell-Server etwa können bis zu 900 Stunden im Jahr bei einer Temperatur von 40 Grad Celsius beziehungsweise bis zu 90 Tage im Jahr bei 45 Grad Celsius arbeiten. Das erhöht auch die Einsatzmöglichkeiten strom- und ressourcenschonender Kühlverfahren durch Außenluftzufuhr. Zusätzliche Kühltechniken müssen nicht mehr so oft oder nicht mehr so stark dazu geschaltet werden.
Energieverbrauch ist eine Disziplin – wie sieht es aus mit dem Einsatz umweltverträglicher Materialien?
Es gibt viele Möglichkeiten für Hersteller, über die gesetzlichen Vorgaben der RoHS- und REACH-Richtlinien hinauszugehen. Dell verwendet zum Beispiel seit 2010 in allen Notebook-Displays und anderen Flachbildschirmen LEDs, die die alten, Quecksilberhaltigen Hintergrundbeleuchtungen ersetzt haben. Seit 2010 verzichten wir auch auf Blei als Lötmittel in Serverprodukten. Schrittweise werden hier mehr Stoffe in weiteren Produktreihen ersetzt werden.
Auch Konstruktionselemente vermeiden den Einsatz von Chemikalien: Federmechanismen fixieren Motherboards, Datenleitungen, Festplatten oder Displays im Rahmen und ersetzen somit die Verwendung von Klebstoffen.
Gestiegen ist auch der Anteil umweltfreundlicher Verpackungsmaterialien. Ein Karton aus Weizenstroh, das ansonsten verbrannt würde, verbraucht bei der Produktion 40 Prozent weniger Energie und 90 Prozent weniger Wasser. Mit der Auswahl des Werkstoffes ist es aber nicht getan: Speziell entwickelte Enzyme bauen das im Weizenstroh enthaltene Lignin ab und vermeiden die Emission giftiger Stoffe beim Umwandeln von eingesammeltem Stroh in Papierbrei.
Die Möglichkeiten sind hier noch keineswegs ausgeschöpft. In einem Pilotprojekt verwendet Dell bereits AirCarbon-Materialien von Newlight Technologies. Dieser Kunststoff entsteht, wenn Biokatalysatoren methan-basierte Kohlenstoff-Emissionen und Sauerstoff in Plastikpolymere umwandeln. Plastiktüten, die bisher aus Öl oder anderen fossilen Rohstoffen produziert wurden, werden somit aus Abgasemissionen hergestellt. In Zukunft sollen sie als Schutzhülle von Notebooks eingeführt werden.
Inwiefern spielt Recycling bei Ihnen eine Rolle?
Dell verwendet bereits wiederverwertete Kunststoffe für den Stand und die Rückseite des Bildschirms der OptiPlex-3030-All-in-Ones; ein Ausbau dieses Programms auf andere Produkte ist vorgesehen. Um Kunststoffe aus gebrauchter Hardware zu sammeIn, bietet Dell in Deutschland und 43 anderen Ländern die kostenlose Entsorgung der Hardware an. Auch Plastikflaschen oder CD-Hüllen von Mülldeponien werden verwendet. Aufbereitungsbetriebe zerkleinern die von anderen verwertbaren Metallen getrennten Materialien zu Pellets. Dieser Alt-Kunststoff wird dann mit neu hergestelltem Plastik gemischt. 2012 hat Dell rund 3,5 Millionen Kilogramm Plastik aus Mülldeponien verwendet. Dieses Recycling wird in Zukunft auch bei anderen Serien verwendet werden.
Vor wenigen Wochen habe ich gelesen, dass eine große Bank bei der Ausstattung der Arbeitsplätze die “Nachhaltige Produktion” als Ausschreibungskriterium aufgenommen hat. Lässt sich das als Anbieter überhaupt erreichen?
Kleine Schritte sind nötig, die sich aber in ihren Effekten summieren. Anbieter und Anwender von Technologien müssen darauf reagieren, denn die zahlenden Kunden fordern ökologische Nachhaltigkeit ein. Im öffentlichen Bereich sind sie bereits jetzt schon häufig ein Ausschreibungskriterium. Aber auch Endverbraucher kaufen gerne nachhaltig ein. Einerseits, weil sie solche Initiativen belohnen wollen, andererseits, weil sie auch etwas davon haben. Für eine Nachhaltigkeit, die sich rentiert, gibt es eine Menge von Bespielen: Ein Service zum kostenlosen Abholen und Entsorgen von Alt-Geräten durch den Hersteller nimmt den Kunden den Aufwand ab. Von einem geringer ansteigenden Stromverbrauch bei zunehmender Leistung und dadurch besserer Akkulaufzeit profitieren alle Anwender von Notebooks oder Smartphones. Auch wirtschaftliche Motive spielen eine Rolle, denn im Rechenzentrum macht sich eine erhöhte Energieeffizienz stets bezahlt. Die Stadtverwaltung Gießen beispielsweise sparte nach der Einführung neuer, Strom sparender Systeme von Dell Kosten in Höhe von 20.000 Euro pro Jahr ein.
Wohin geht die Reise? Was werden wir in 5 Jahren sehen?
Höhere Ansprüche an Performance und Speicherkapazität werden immer neue Anforderungen an die Energieeffizienz stellen. Gerade die Zunahme von mobilen Endgeräten und deren durch die Summe von Smartphones und Tablets – und oft nicht entsorgter Altgeräte – hoher Energiebedarf werden bisher unterschätzt, müssen aber neu berücksichtigt werden. Für Smartphones müssen Energieeffizienzstandards erst noch entwickelt werden, während für Tablets etwa die Energy-Star-Kriterien Computer 6.1 schon vorliegen. Die mobilen Geräte und die entsprechend schnell steigende Zahl von Altgeräten sorgen für neue Herausforderungen beim Recycling von teils wertvollen, teils wichtigen Materialien.
Wichtig ist, dass Unternehmen auch weiterhin Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen schreiben und ihren Beitrag als Vorbilder – auch für andere Marktteilnehmer – leisten. Dell ist hier schon einen weiten Weg gegangen, und hat seine Nachhaltigkeitsziele öffentlich definiert: Unser Dell-2020-Legacy-of-Good-Plan definiert unser Ziel, die Energieintensität unseres Produktportfolios um 80 Prozent zu senken. Bis 2020 sollen nur noch nachhaltig gewonnene Verpackungsmaterialien verwendet werden, die anschließend auch kompostiert und einer neuen Verwendung zugeführt werden können. Dell überprüft auch seinen betriebseigenen Ressourcenverbrauch außerordentlich streng und unterstützt auch Initiativen von Mitarbeitern in diesem Bereich. Ohne weiteres können wir behaupten: Dell hat durch sein Nachhaltigkeitsprogramm nicht einfach nur ein Programm verkündet, sondern seine Geschäftsprozesse und die Produktentwicklung überprüft und umstrukturiert.
Vielen Dank Herr Lehmann.aj
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