KI in der Praxis: die neuen Phone-Bots der ERGO – Digital-Ventures-Bereichsleiter im Interview
Nicolas Konnerth ist “Head of Voice” bei ERGO Digital Ventures, der Digitalsparte der ERGO Group – und … der Wirtschaftsinformatiker hat mit seinem Team einen der ersten Versicherungsabschlüsse über den Sprachassistenten „Amazon Alexa“ möglich gemacht. Nun hat er außergewöhnliche Phone-Bots entwickelt, die er auch anderen Unternehmen anbietet. Wie das ging – und was die ERGO-Bots können …
Herr Konnerth, was kann Ihr Bot, was andere Bots nicht können?
Unsere Bots sind sehr gut auf die jeweiligen Anwendungsfälle trainiert und werden durch unsere Product Owner kontinuierlich entlang der Nutzungserkenntnisse weiterentwickelt.Hierdurch erzielen wir Erkennungsquoten von bis zu 95 %.”
Darüber hinaus sind unsere Bots darauf ausgerichtet, einen anwenderfreundlichen, digitalen Service zu bieten – unsere Kunden können dann ihr Anliegen sofort mit einem Sprachassistenten erledigen und müssen nicht auf einen freien Mitarbeiter warten. Zudem besteht während der Kommunikation mit den intelligenten Sprachassistenten immer die Möglichkeit, zu einem Mitarbeiter zu wechseln beziehungsweise Kunden werden automatisch dorthin weitergeleitet, sollte es zu Verständnisschwierigkeiten kommen.
Insofern betrachten wir unsere Sprachassistenten als zusätzlichen digitalen Service, anstatt eines reinen Effizienzbringers.”
Das klingt nach KI – oder ist das System regelbasiert?
Unsere Bots sind beides: Die Plattform ist an vielen Stellen KI gestützt, zum Beispiel bei der Erkennung und Transkription von Sprache, dem Mapping auf Intents (Nutzeranliegen) und dem Training von Utterances (unterschiedliche Ausdrucksweisen desselben Anliegens). Alle grundsätzlichen Abläufe des Bots sind hingegen regelbasiert, denn nur dann ist sichergestellt, dass die Bots die vorgegebenen Kundenserviceprozesse befolgen und die richtigen Antworten liefern.
Woher kommen die Trainingsdaten?
Die großen Technologieanbieter haben für gewisse „Standardintents“ bereits bestehende Lösungen im Angebot, zum Beispiel für Zustimmung, Ablehnung, Geburtsdatum oder Zahlen.
Bei Intents, die nicht einem Standard entsprechen oder wenn wir mit der Qualität nicht zufrieden sind, müssen wir die Bots selbst eintrainieren oder Standardintents erst weiterentwickeln.”
Im ersten Schritt trainiert unser Voice Team den Bot so, wie es später am wahrscheinlichsten in einem Kundengespräch vorkommen wird. Dies dient ausschließlich dazu, einen funktionsfähigen Telefonassistenten zu entwickeln. Erst danach testen wir den Bot im zuständigen Kundenservicebereich und bitten darum, so viele Varianten wie möglich auszuprobieren – hier häufen sich schnell einige hundert Testfälle. In der finalen Phase ist die Lernkurve besonders steil: Innerhalb der ersten Tage im produktiven Einsatz können wir anhand der Nutzungen bereits feststellen, wo der digitale Telefonassistent nachtrainiert werden muss. Direkt nach dem Launch werfen wir weiterhin einen genauen Blick auf alles und erreichen so bereits nach wenigen Tagen eine besondere technische Reife beziehungsweise Robustheit.
Heißt das, dass Trainingsdaten von anderen Anbietern in Ihren Bot mit einließen? Wie funktioniert dann die Qualitätssicherung?
Wir können ganz individuelle Performancekennzahlen festlegen und beobachten in der täglichen Nutzung, wo sich potenzielle Schwachstellen auftun, um diese sofort zu schließen. Unsere Bots werden stark datenbasiert entwickelt und weiterentwickelt.”
Wie werden die Bots angebunden?
Grundsätzlich werden alle Bots über eine telefonische Weiterleitung angebunden. Dies kann man sich wie einen digitalen Outsourcing-Partner für Kundenservicetelefonie vorstellen. Der zuständige Kundenservice leitet also einfach seine Anrufe auf eine Servicenummer weiter, die ihm vorab zur Verfügung gestellt wird, und schon antwortet am anderen Ende der Leitung ein Roboterkollege. Alleine über derartige telefonische Weiterleitungen können wir heute einige Anwendungsfälle wie zum Beispiel Anliegenerkennung & Routing oder die Beantwortung von generischen Kundenfragen abdecken.
Darüber hinaus benötigen viele Bots eine Backendanbindung, um ein Kundenanliegen Ende-zu-Ende abwickeln zu können. Dies betrifft unter anderem die Bearbeitung eines Schadens, die Rückmeldung eines Leistungsstatus sowie Vertragsänderungen.”
Hierfür können wir in unserem System einen Microservice entwickeln, der dann mit jedem beliebigen Backendsystem kommuniziert.
Sollte keine Schnittstelle vorhanden sein, können unsere Bots natürlich immer noch auf andere Kommunikationswege zurückgreifen und beispielsweise E-Mails versenden. Wenn diese E-Mails dann über einen RPA Roboter (Robotic Process Automation) im Eingangsmanagement aufgegriffen werden, gibt es auch eine Ende-zu-Ende Automatisierung.”
Werden schon Bots bei Ihnen eingesetzt? In welchem Umfang und wie viele Gespräche wickeln diese pro Tag ab?
Wir beschäftigen uns bereits seit fünf Jahren auf verschiedenste Art mit Bots. Dazu gehörten in den Anfängen beispielsweise Chatbots, aber auch später die „neuen“ digitalen Sprachassistenten Amazon Alexa und Google Assistant. Inzwischen sind wir sehr stark in der Telefonie unterwegs, da wir dort die zunehmende Reife der Technologie sinnstiftend einbringen können.
Aktuell beantworten unsere Bots rund 3.000 Anrufe pro Tag – Tendenz steigend, da regelmäßig neue Bots hinzukommen.”
Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Die COVID-19 Pandemie ist bekanntlich zum Treiber der Digitalisierung geworden und hat auch Bedarf für neue PhoneBots hervorgerufen. Zum Tagesgeschäft im Versicherungskundenservice kam bedingt durch die Pandemie plötzlich ein neuartiger, dynamischer Informationsbedarf unserer Kunden hinzu.
Als beispielsweise die Bundesregierung verkündete, FFP2-Masken für Risikopatienten zu verteilen, übernahmen die Krankenversicherungen eine zentrale logistische Rolle. Dies führte neben dem regulären Telefonservice zu einem erhöhten Anrufaufkommen – teilweise bis zu 1.600 mehr Anfragen an einem einzigen Tag.”
Deshalb entwickelten wir in enger Zusammenarbeit mit dem Fachbereich innerhalb weniger Tage einen PhoneBot, der den Großteil der Kundenanfragen zufriedenstellend abwickeln konnte.
Inzwischen verfügen wir über die Technologie, die Trainingsdaten, das Team und die Erfahrung innerhalb unserer Unternehmensgruppe und wissen genau, worauf es beim erfolgreichen Einsatz von digitalen Telefonassistenten im Kundenservice ankommt: Den Schritt zu wagen, erfordert ein starkes Commitment, neuartige Fähigkeiten und viele neue Erkenntnisse. Es kann aber auch eine Hürde sein, Sprachassistenten über den reinen Piloten hinaus einzusetzen.”
Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, anderen Unternehmen diese Hürde zu nehmen und bieten unsere bereits trainierten Bots auch konzernfremden Gesellschaften an. So können diese auf unseren Erfahrungen und Fähigkeiten aufsetzen, ohne dass dafür ein größeres IT Projekt notwendig ist – PhoneBot-as-a-Service, wenn man das so ausdrücken möchte.”
Ist das ein hybrides System, bei dem zwischen Menschen und Phone-Bot gewechselt werden kann?
Wir möchten unsere Kunden von der Nutzung der digitalen Sprachassistenten überzeugen. Dementsprechend können sich die Nutzer in der Regel dafür entscheiden, aber auch im Gespräch jederzeit zu einem Mitarbeiter wechseln. Das ERGO-Modell des „hybriden Kunden“, der sich seinen Kontaktweg frei aussuchen kann – sei es in der analogen oder digitalen Welt –, funktioniert also auch hier.
Herr Konnerth, vielen herzlichen Dank für das Interview!aj
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