Kernbankensystem: „Big Bang“, schrittweise Erneuerung oder Symbiose? – das Interview
Achim Thienel ist Product Director Universal Banking Europe bei Finastra, einem Anbieter einer Kernbank-Lösung. Im Interview erläutert er, warum sich die frühere Einschätzung “Entwicklung, Kauf oder Partnerschaft” bei einem Kernbankensystem weiterentwickelt hat und auch eine „Zusammenführung“ sich als gültiger Ansatz zeigt.
Herr Thienel, weswegen zögern Banken derzeit noch, sich mit dem Thema „Wechsel Kernbankensystem“ auseinanderzusetzen: Ist das schwierige Erkennen des Zeithorizonts? Oder das Feststellen der Voraussetzungen, unter denen die Banken einen Wechsel vollziehen möchten? Oder tun sich Banken schwer mit der Abschätzung möglicher Marktentwicklungen?
Zunächst einmal würde ich sagen, dass viele Banken nicht zögern – wir sehen eine große Anzahl von Banken, die wünschen, ihr Kernbankensystem zu ändern. Für andere gibt es jedoch eine ganze Reihe von Faktoren, die die Entscheidungsfindung beeinflussen können, wenn es darum geht, sich für einen zukünftigen technologischen Weg zu entscheiden.In der Vergangenheit basierten die meisten Transformationsprogramme ausschließlich auf komplexen, zeitaufwändigen und manchmal risikoreichen Kompletterneuerungen. Dieses „Rip and Replace“ hat enorme Vorteile und ist in vielen Situationen die richtige Option, aber es kann eine Herausforderung sein, mit diesem Ansatz erfolgreich zu sein. In der Tat gab es einige hochkarätige Projekte, die entweder das Budget überschritten haben oder sogar gescheitert sind. Kein Wunder daher, dass selbst die versiertesten Technologiearchitekten nervös werden und daher manchmal solche Transformationen hinausschieben. Doch die Anforderungen der Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren stark verändert, und der Zeitpunkt rückt näher.
Einfach ausgedrückt: Die Finanzinstitute müssen ihre Ängste überwinden und sich auf die nächste Generation des Bankings vorbereiten. Glücklicherweise sind sie nicht mehr gänzlich auf eine „Rip and Replace“-Strategie angewiesen.”
In der Praxis finden sich neben „Single Source“-Architekturen von einem Anbieter häufig „Best-of-Breed“-Architekturen, die eine Kombination im Kernbankensystem oder eine Ergänzung von Kernbankensystemen mit spezialisierten Produkten (z.B. im Portfolio-, Risiko- oder Kundenmanagement) vorsehen. Womit ist man Ihrer Auffassung nach für die Zukunft besser aufgestellt?
Achim Thienel ist alsProduct Director Universal Banking Europe bei Finastra (Website) für den deutschsprachigen Markt zuständig.
Vor seinem Wechsel ins Produktmanagement betreute er als Account Manager im Vertriebsteam RBI sowie weitere Kunden der Kernbankenlösungen von Finastra. Vor seiner Tätigkeit bei Finastra war er als Manager Customer Services bei einem deutschen Core-Banking-Anbieter tätig. Sein Studium hat er an der Technischen Hochschule Esslingen mit einem Master of Technical IT abgeschlossen.
Das traditionelle Dilemma der Produktmanager – Entwicklung, Kauf oder Partnerschaft – hat sich weiterentwickelt. Wir müssen jetzt auch die „Zusammenführung“ als gültigen Ansatz für die Bereitstellung der vom Unternehmen benötigten Funktionen in die Gleichung Kernbankensystem einbeziehen. Die Zukunft gehört nicht einem einzigen Anbieter mit den damit verbundenen Risiken der „Anbieterbindung“.
Für Banken ist erforderlich, dass sie bei der Umgestaltung ihres Kerngeschäfts offen agieren und in der Lage sind, sowohl von ihrem eigenen privaten als auch dem öffentlichen Ökosystem für Finanzdienstleistungen profitieren und gleichermaßen zu diesem beizutragen. Diese neue Finanzdienstleistungsökonomie wird den Banken die Möglichkeit geben, effektiver mit ihren traditionellen Konkurrenten und den neuen Marktteilnehmern zu konkurrieren, die möglicherweise ganz andere Vorstellungen davon haben, wie die Branche aussehen sollte.
Wenn man sich die Angebote auf dem Markt ansieht, muss man sich darüber im Klaren sein, dass das gewählte Kernbankensystem aufgrund der Komplexität des Bankwesens über umfassende und tiefgreifende Bankfunktionen verfügen muss und dass es aufgrund der permanenten Weiterentwicklung des Bankwesens auch über fortschrittliche Technologie verfügen muss.
Die ideale Lösung also ist ein Kernbankensystem, das in der Lage ist, die Anforderungen der Bank von heute zu erfüllen, einschließlich einer nahtlosen Integration in ein wachsendes Ökosystem von Anwendungen.”
Auch sollte die Technologie erlauben, sich schnell an die Anforderungen der Bank von morgen anzupassen. Wir beobachten zum Beispiel, dass einige Banken ein neues Kernbankensystem der nächsten Generation einsetzen, um neue Geschäftsinitiativen oder neue digitale Marken zu unterstützen, ohne das bestehende Kernsystem zu ersetzen.
Bei einer Migration eines Kernbankensystem kommen dann auch weitere IT-Themen wie die Migration der Daten aus dem Altsystem, Cut-Over-Management, Datenqualitätsmanagement und die Archivierung der Daten. Ihr Ratschlag hier an Banken?
Erstens: Erfahrung zählt. Sie brauchen einen Partner, der den Prozess schon unzählige Male durchlaufen hat. Sie brauchen jemanden, der weiß, welche Herausforderungen auftreten können, und der diese nachweislich lösen kann. Ein Beispiel hierfür ist die Frage, wie die Datenseite der Migration eines Kernbankensystem verwaltet wird – welche Datenelemente in das neue System übernommen werden müssen, welche Datenqualitätslevel angemessen sind und wie all dies zu bewerkstelligen ist.
Zweitens ist die Lösung wichtig. Die Migration ist eine große Herausforderung, daher müssen Sie eine Lösung wählen, die die Migration erleichtert. Eine Lösung, die sowohl umfassend genug ist, um Ihr Unternehmen zu unterstützen, als auch flexibel genug, um sich Ihren Bedürfnissen anzupassen.
Schließlich sollten Sie sich beraten lassen, welcher Ansatz für Sie der richtige ist. Ob Sie sich für eine „Big Bang“-Lösung, eine schrittweise Erneuerung oder eine Symbiose entscheiden, bei der ein neues Kernsystem der nächsten Generation neben dem bestehenden Kernbankensystem eingesetzt wird – alle Ansätze sind valide. Seien Sie skeptisch gegenüber jedem, der Ihnen diese Wahl nicht bietet oder nicht zumindest erklärt, warum der empfohlene Ansatz besser ist als die Alternativen.
Mit dem Wechsel des Kernbankensystem sind auch strategische Fragestellungen verbunden. Insbesondere geplante Änderungen in der zukünftigen Ausrichtung des Geschäftsmodells, wie zum Beispiel Marktpositionierung und Produktportfolio, sind in die Auswahlentscheidung mit einzubeziehen. Umgekehrt bietet es sich im Rahmen eines Kernbanksystemwechsels an, das bestehende Leistungs-/Produktportfolio in Bezug auf Kosten, Erträge und Mengengerüste kritisch zu hinterfragen. Wie ehrlich sind Banken hier in ihrer Selbsteinschätzung?
Wie sieht die Zukunft aus? Wir kennen die kurzfristige Perspektive, wir haben eine Vorstellung von der mittelfristigen, aber darüber hinaus…? Eine Bank muss ihre eigene strategische Ausrichtung festlegen und auf der Grundlage ihres Verständnisses des Marktes bzw. der Märkte entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreifen will. Eine Bank muss sowohl die Opportunitätskosten als auch die bestehenden Ertrags- und Kostenkennzahlen berücksichtigen, wenn sie ihre Argumente für eine Veränderung eines Kernbanksystems ausarbeitet.
Wir arbeiten eng mit den Banken zusammen, um die Kosten und den Nutzen des Wandels zu verstehen und sie in die Lage zu versetzen, den Wert zu erkennen, der durch die notwendigen Schritte erzielt werden kann.
Es ist auch wichtig, die Messgrößen zu definieren, die nach der Umsetzung überprüft werden – sechs Monate, 12 Monate, zwei Jahre später.”
Das hilft, zu verstehen, wo man erfolgreich war und wo man nachsteuern muss. Und es ist entscheidend, die Gewissheit, dass sich etwas ändern wird, mit der Ungewissheit zu verknüpfen, wie diese Veränderungen aussehen und wann sie eintreten werden. Die Agilität von Unternehmen, unterstützt durch technologische Flexibilität, wird immer wichtiger.
Was passiert eigentlich nach der Einführung eines neuen Kernbanksystems?
Achim Thienel: Anders als die zugrundeliegende Technologie, auf der sie basiert, ist Veränderung nicht binär. Man kann nicht am zweiten Tag sagen: „Unsere Arbeit hier ist getan“. Die Reise geht weiter. Wenn man es richtig anpackt, werden spätere, schrittweise Änderungen einfacher, weil die Grundlagen so angepasst wurden, dass sie die Flexibilität unterstützen, die die Märkte und das Unternehmen verlangen.
Entscheidend ist jedoch, den Blick nach vorne zu richten: Was kommt als Nächstes? Diese Überlegungen müssen ganzheitlich sein und nicht nur die technologischen Grundlagen berücksichtigen, sondern auch die Menschen und die organisatorische Effizienz, die man erreichen will. Ein neues Kernbankensystem muss gepflegt, entwickelt und angepasst werden und Zusammenarbeit bringt das Beste zum Vorschein. Das kann für die Bank und ihre Kunden nur von Vorteil sein. Während des gesamten Prozesses müssen die Kunden sorgfältig berücksichtigt werden. Im Idealfall ist die Veränderung für sie sowohl unsichtbar – hinsichtilich einer Störung der Services – als auch sehr sichtbar – hinsichtlich Service-Innovationen. In jedem Fall ist es wichtig, die Kundenperspektive in das Projekt einzubeziehen.
Herr Thienel, vielen Dank für das Interview.dk
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