Interview: Quantencomputing-Effekte per Digital Annealing heute nutzen – main incubator ist schon dabei
Quantencomputer kommen. Und nein – es ist kein Aprilscherz: Mit Digital Annealing Technologie (Website) kann man schon jetzt die ersten Schritte in die Technologie wagen und einige Geschwindigkeitsvorteile nutzen. Wie das geht und was dabei für Banken und Versicherer interessant ist, haben wir mit Wilhelm Petersmann von Fujitsu besprochen.
Herr Petersmann, laut der Fujitsu/PAC-Studie „Is Business Ready to Make the Quantum Leap?” erwarten sich Unternehmen vor allem im Finanzwesen große Vorteile vom Quantencomputing. Was macht den Einsatz von Quantencomputing in diesem Bereich besonders attraktiv?
Speziell im Finanzwesen drehen sich viele Aufgaben um das Thema Optimierung.Mithilfe von Quantencomputing und davon inspirierten Technologien können beispielsweise selbst komplexeste Monte-Carlo-Simulationen, sprich computergestützte Risikoanalysen, um ein Vielfaches beschleunigt werden.”
Anwendungsfälle dafür sind beispielsweise die Optimierung von Finanzportfolios im Hinblick auf Faktoren wie Rendite oder Risikominimierung.
Ist es jetzt nicht noch viel zu früh, um über den Einsatz von Quantencomputing außerhalb hoch-spezialisierter Einzelaufgaben zu sprechen?
Bislang sind Quantenrechner aufgrund ihrer komplexen Technologie meist nur in Forschungslaboren anzutreffen. Hinzu kommen aufwändige Vorkehrungen, die beim Einsatz eines Quantenrechners getroffen werden müssen, zum Beispiel die Kühlung des Rechners fast bis auf den absoluten Nullpunkt oder der Schutz vor elektromagnetischer Strahlung und Erschütterungen. Das macht es zurzeit noch nicht möglich, Quantenrechner praktikabel in Unternehmen einzusetzen. Außerdem liegen ihre tatsächliche Rechenleistung und die Genauigkeit von Berechnungen bisher noch weit unter dem, was potenziell möglich und für einen sinnvollen Einsatz nötig wäre.
Also gehen wir mal davon aus, dass Quantencomputing in absehbarer Zeit (sagen wir in 10 Jahren) für flexible Berechnungen nutzbar wird. Warum soll der „Digital Annealer” eine geeignete Brückentechnologie sein? Und warum sollte man sich damit schon heute beschäftigen?
Auch wenn Quantencomputing zurzeit noch nicht praktikabel operativ eingesetzt werden kann, sind sich Unternehmen der enormen Disruptionspotenziale der dahintersteckenden Technologie bewusst. Eine Studie von PAC zeigt, dass die große Mehrheit der Unternehmen der Ansicht ist, dass aktuelle Lösungen kaum noch ausreichen, um eine ernsthafte kombinatorische Optimierung zu realisieren. Rund zwei Drittel suchen daher schon jetzt intensiv nach brauchbaren Optimierungslösungen, um sich den entscheidenden Vorsprung im Wettbewerb sichern zu können.
Durch die Digital Annealing-Technologie können sie bereits heute vom Quantencomputing inspirierte Effekte nutzen und komplexe kombinatorische Optimierungsprobleme schnell lösen und dadurch enorme Vorteile erzielen. Das Digital Annealing gilt damit als gangbare Brücke in die quantendefinierte Zukunft.”
Wie genau funktioniert die Digital Annealing-Technologie und welche Vorteile bringt sie?
Quantum-Annealer sind eine Spezialform von Quantenrechnern, mit denen sich in Zukunft viele komplexe Berechnungen lösen lassen.
Fujitsu hat beim Digital Annealing Prinzipien, die Quantum Annealer verwenden, in konventionelle Halbleiter-Technologie auf Silizium-Basis überführt. Praktisch bedeutet dies, dass ein Problem durch massive Parallelisierung näherungsweise gelöst wird.”
Dabei wird das vorher nicht bekannte Optimum eines Wertefelds gesucht. Vereinfacht formuliert: Der Digital Annealer von Fujitsu rechnet nicht in einem Durchgang das exakte Ergebnis aus, sondern kommt dem idealen Wert durch viele parallelen Berechnungen nahe. So lassen sich komplizierte kombinatorische Probleme um ein Vielfaches schneller und unkomplizierter lösen als mit herkömmlichen Rechnern – in der Regel sogar unter Echtzeitbedingungen.
Die Stärke des Quantencomputing liegt in unscharfen Zuständen (gleichzeitiges Einnehmen aller unterschiedlichen Zustände). Wie bildet das Digital Annealing nach?
Die hohe Rechenleistung von Quantencomputern lässt sich auf folgenden Faktor zurückzuführen: Klassische Rechner arbeiten mit Bits, “kennen” also nur die Zustände 0 oder 1. Ein Quantenrechner hingegen nutzt Qubits. Sie können drei Zustände einnehmen: 0 und 1 – sowie einen beliebigen dazwischen. Außerdem können sie die Zustände gleichzeitig einnehmen, also zur selben Zeit 0 und 1 darstellen.
Damit ist ein Quantenrechner in der Lage, wesentlich mehr Rechenoperationen simultan durchzuführen. Dieses Prinzip simuliert die Digital Annealing-Technologie, weshalb Experten hierbei von „Quantum-Inspired Computing“ sprechen.”
Digital Annealing-Technologie muss im Vergleich zu echtem Quantencomputing langsamer sein – aber wie viel schneller ist die Lösung im Vergleich zu herkömmlichen Computing?
Die zweite Generation des Digital Annealers von Fujitsu unterstützt Quantencomputing-inspirierte Modelle bis zu einer Größe von 8.192 Bit, achtmal mehr als die erste Generation. Die Genauigkeit steigt von 16 Bit auf 64 Bit.
In Vergleichstests war der Digital Annealer der zweiten Generation rund 10.000 Mal schneller als klassische IT-Infrastrukturen.”
Ein Beispiel: Braucht ein herkömmlicher Rechner mehrere Stunden, um Optimierungsprobleme zu lösen, berechnet der Digital Annealer die Lösung in Sekunden oder gar Sekundenbruchteilen.
Wie können Unternehmen Digital Annealing konkret wofür nutzen?
Die Einsatzbereiche sind vielfältig: Neben dem Finanzsektor eignet sich die Technologie auch zum Einsatz in der Fertigungsteuerung, der Medizintechnik oder Optimierung von Logistikprozessen. Im Bereich der Lagerlogistik in Fertigungsunternehmen lassen sich beispielsweise Ladekapazitäten und -verteilungen besser berechnen oder die effizienteste Route für Fahrzeuge unter Beachtung der jeweiligen Echtzeit-Verkehrssituation und damit der Benzinbedarf von Lastfahrzeugen genauer kalkulieren. Und in der Chemie und Pharmazie können Forscher Moleküle, die zueinander passen, schneller finden. Dadurch ist es möglich, neue Medikamente und Kunststoffe wesentlich schneller und kostengünstiger als bisher zu entwickeln.
Mit welcher Art von Services ist es verfügbar – On-Premise, Hybrid, aus der Cloud?
Das prädestinierte Modell für die meisten Unternehmen ist der Bezug als Service. Dabei wird der Digital Annealing Cloud Service über Application Programming Interfaces (APIs) an die Unternehmens-IT angebunden.
Unterstützt wird dies durch begleitende Services von Fujitsu. Denn Quantencomputing-inspirierte Rechner erfordern ein spezielles Know-how, um Aufgabenstellungen für das System passend aufzubereiten.”
Angeblich nutzt der main incubator, die F&E-Einheit der Commerzbank, bereits Digital Annealing. Wozu? Und was sind die bisherigen Ergebnisse?
Fujitsu hat gemeinsam mit dem main incubator ein Proof-of-Concept-Projekt im Bereich Kreditportfolio-Management erfolgreich abgeschlossen.”
Der Fokus lag hier auf dem Einsatz des Digital Annealings. Konkret ging es um eine verbesserte Auswahl und Bündelung von Forderungen aus Leasing-Verträgen für Kraftfahrzeuge. Der PoC ist auf die Optimierung des Auswahlprozesses von einigen tausend Einzelforderungen zu einem Verbriefungsportfolio ausgerichtet. Beim Auswahlprozess sind mehrere kritische Faktoren gleichzeitig zu berücksichtigen. Dazu gehören neben regulatorischen Vorgaben auch absolute Volumen-Begrenzungen sowie prozentuale Limitierungen für bestimmte Forderungsmerkmale, um eine größere Risikostreuung zu erreichen. Dies führt zu einem kombinatorischen Optimierungsproblem, für das klassische Prozessoren sehr lange Rechenzeiten benötigen. Dank des Digital Annealings kann main incubator solche Berechnungen genauer und schneller durchführen.
Nutzen bereits Banken, Sparkassen oder Versicherer Ihre Digital Annealing-Lösung?
Neben dem main incubator nutz beispielsweise auch das britische Kreditinstitut NatWest die Lösung. Sie unterstützt NatWest dabei, einige ihrer komplexesten und zeitaufwendigsten Finanzanlageprobleme zu lösen.”
Haben Sie eine Vorstellung, in wie vielen Jahren der Übergang von Digital Annealing zu Quantencomputing stattfinden könnte?
Eine genaue Prognose abzugeben, halte ich für gewagt. Denn manch optimistischen Verlautbarungen zum Trotz sind die Hürden für einen praktikablen Einsatz des „richtigen“ Quantencomputings für Unternehmen noch sehr hoch.
Herr Petersmann, vielen herzlichen Dank für das Gespräch – und halten Sie uns bitte auf dem Laufenden!aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/103682
Schreiben Sie einen Kommentar