Innovation ist kein „Musenkuss“: Ideenmanagement beim Innovation Hub der Atruvia
Wie gehen Banken und Finanzdienstleister mit dem Thema Innovation um? Wie kann man strukturiert weiterentwickeln? Wie trennt man die Spreu vom Weizen? Das Thema treibt viele Unternehmen seit Jahren um: Viele Banken haben deswegen eigene Innovation Labs gegründet und Branchenkonferenzen wie CIBI widmen dem Inspirationsmanagement diverse Vorträge. Dunja Koelwel hat dazu mit Gerd Müller, Leiter des Innovation Hubs von Atruvia, gesprochen.
Herr Müller, seit wann gibt es bei Atruvia einen institutionalisierten Innovation Hub?
Bereits während des Zusammenschlusses von Fiducia und GAD im Jahr 2015 wurde der Innovation Hub bei Atruvia direkt institutionalisiert. Dabei wurde die Förderung von Innovation in der Startorganisation fest auf der ersten Führungsebene verankert.Was waren hier die wichtigsten Milestones und welche Ergebnisse wurden erzielt?
In unserer Innovationsentwicklung bei Atruvia gab es bedeutende Meilensteine, die in zwei Phasen unterteilt werden können:
Phase 1 (2015-2020): In dieser Zeit etablierten wir das Konzept der “parallelen, aber getrennten” Organisation von Innovationen. Dabei liefen Innovationsprojekte unabhängig von den operativen Einheiten und erhielten eine spezielle Unterstützung und Finanzierung.
Die Innovationseinheit blieb bewusst in der Organisation integriert, ohne sich als eigenständiges Unternehmen abzuspalten oder ein Lab zu gründen.”
Wir setzten auf physische Innovationslabore an den drei Standorten Karlsruhe, München und Münster und förderten Intrapreneure durch gezielte Programme. Auf diese Weise wurden vielversprechende Ideen in Form von agilen Schnellbootprojekten realisiert. Zudem etablierten wir eine Innovationscommunity im Zusammenschluss mit unseren Banken, die aktiv nach neuen Ideen suchte.
Phase 2 (2020-heute): Basierend auf unseren Erfahrungen, der Weiterentwicklung der Organisation und der agilen Transformation des gesamten Unternehmens haben wir unseren Innovationsansatz in eine zweite Phase überführt.
Der Fokus liegt seitdem darauf, Innovationen gleichzeitig und integriert in den Geschäftseinheiten zu verankern.
Der Innovation Hub fungiert als Innovationsberatung und unterstützt die Geschäftseinheiten bei der Schaffung und Verbreitung von Neuem.”
Gerd Müller ist Leiter des Innovation Hubs von Atruvia. Er sammelte in Anwenderunternehmen und in einem großen deutschen Softwarehaus in verschiedenen Branchen Erfahrungen als Entwickler, Projektleiter und Manager. 1997 wechselte er dann in die genossenschaftliche Organisation und wurde Leiter einer Abteilung für die Entwicklung von Standard-Komponenten beim Rechenzentrum Bayerischer Genossenschaftsbanken, das 2003 mit der Fiducia fusionierte. Zuletzt war er Hauptabteilungsleiter in der Architekturentwicklung. Er ist studierter Betriebswirt mit Fachrichtung Datenverarbeitung.
Unsere Kernleistungen umfassen Trendforschung und Foresight, die Suche nach geeigneten Partnern und Startups, die Erforschung von Chancenfeldern sowie die Durchführung von Business Design Projekten, um Ideen ganzheitlich zu betrachten und frühzeitig Potenziale zu heben. Die Experten des Innovation Hubs fungieren gleichzeitig als Enabler und Coaches für die Teams der Geschäftseinheiten.
Können Sie uns Beispiele für Wirkung Ihrer Innovationsarbeit nennen?
Die Innovationsarbeit bei Atruvia hat zahlreiche erfolgreiche Ergebnisse hervorgebracht, wobei wir den Erfolg als kollektive Teamarbeit verstehen. In Phase 1 haben wir mutig experimentiert und dabei viel gelernt, wovon die wesentlichen Erkenntnisse in die Weiterentwicklung von Atruvia eingeflossen sind. Hier sind einige Beispiele, wobei wir betonen, dass dies ein gemeinschaftlicher Erfolg unterschiedlichster Akteure und keinesfalls der alleinige Verdienst der Innovationseinheit des Unternehmens ist.
- Agiles Arbeiten in eigenverantwortlichen Teams: Positive Erfahrungen mit unseren Schnellbooten und Intrapreneuren haben wichtige Impulse für eine radikale Umgestaltung des Unternehmens zum agilen Unternehmen im Jahr 2020 beigetragen.
- Raumkonzepte: Die Labore mit innovativen Arbeitsumgebungen inspirierten die Neugestaltung unseres Campus an allen Standorten unter dem Namen Deutschland Campus 2020+. Die Raumkonzepte fördern New Work und führen zu positiven Veränderungen in der Arbeitsweise.
- Omnikanalplattform: Die Schaffung unserer technologisch führenden Omnikanalplattform für die Zukunft des Bankings, verbunden mit neuen Zusammenarbeitsmodellen mit Banken und Partnern der Finanzgruppe, zeigt sich als wegweisendes Ergebnis. Damit haben wir bereits 2018 begonnen und sind ab 2020 in den Rollout gegangen. Auf dieser Basis entwickeln wir kontinuierlich, agil und mit rasant steigendem Tempo digitale Lösungen für Endkunden und unsere Banken.
- Künstliche Intelligenz (KI): Bereits 2016 erkannten wir die Bedeutung von KI. In den Folgejahren führten wir mehrere Projekte zur Erprobung und zum kontinuierlichen Lernen durch, beispielsweise im Bereich der Betrugserkennung (Fraud Detection). Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir konsequent in die Skalierung dieses zukunftsträchtigen Bereichs investiert. Der mit der Neuausrichtung des Unternehmens 2020 aufgebaute Bereich Advanced Intelligence hat eine große Expertise in KI und erschließt erfolgreich Potenziale für Banken.
Was waren die größten Schwierigkeiten?
Obwohl wir bei Atruvia stolz auf unsere Errungenschaften sind, stehen auch wir vor den Herausforderungen eines etablierten Unternehmens. Einige der zentralen Fragen und Schwierigkeiten, die uns regelmäßig begegnen, umfassen:
- Herausforderung der Ambidextrie (Beidhändigkeit): Die Balance zwischen dem operativen Tagesgeschäft (Exploit) und innovativen Explore-Aktivitäten (aktiv Neuerungen und Innovationen im eigenen Produktangebot hervorbringen) aufrechtzuerhalten, stellt eine ständige Herausforderung dar. Die Ambidextrie erfordert eine geschickte Integration beider Aspekte, um langfristige Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
- Schaffung von Freiräumen für Explore-Aktivitäten: Die Schaffung der notwendigen Freiräume für Explore-Aktivitäten in einem regulierten Umfeld erfordert eine strategische Herangehensweise. Hierbei gilt es, Prozesse und Strukturen flexibel zu gestalten, um Innovationen zu ermöglichen, ohne die Stabilität des Tagesgeschäfts zu gefährden.
- Öffnung für kollaborative Innovationen und Partnerschaften: Die Herausforderung besteht darin, die Organisation für kollaborative Innovation zu öffnen und erfolgreiche Partnerschaften aufzubauen. Dies erfordert Offenheit, Vertrauen und die Bereitschaft, gemeinsam mit externen Partnern innovative Lösungen zu entwickeln.
- Radikalität im Denken: Die Frage nach der erforderlichen Radikalität im Denken ist essenziell. Es gilt, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der innovative Ideen fördert, ohne die Realitäten des Unternehmens und der Branche aus den Augen zu verlieren. Eine kulturelle Offenheit für neue Denkweisen und das permanente Lernen ist hierbei entscheidend.
- Bewusstes Eingehen von Risiken: In einem regulierten Umfeld bewusst Risiken einzugehen, erfordert eine präzise Risikobewertung und -steuerung und auch Mut und Entschlossenheit. Hierbei ist es wichtig, die regulatorischen Anforderungen zu respektieren und gleichzeitig Raum für kreative Lösungen zu schaffen, die die Bedürfnisse der Kunden und die strategischen Ziele erfüllen.
Was unterscheidet Sie/was machen Sie besser als die Innovationhubs der Sparkassen?
Wir verstehen, dass erfolgreiche Innovationsarbeit vielfältige Wege gehen kann, die stark von der Organisation, der Kultur und dem Gesamtkontext abhängen. Es wäre nicht angemessen, einen direkten Vergleich anzustellen, da jeder Innovation Hub einzigartig ist und individuelle Stärken sowie Herausforderungen hat.
Wir glauben fest daran, dass der Erfolg von Innovationsinitiativen maßgeblich von den Menschen abhängt, die sie vorantreiben.”
Daher legen wir großen Wert auf kontinuierliches Lernen, stetige Weiterentwicklung und die Anpassung unserer Strategien, um die bestmöglichen Ergebnisse für unsere Organisation und unsere Partner zu erzielen.
Unser Ziel ist es, als Innovation Hub dazu beizutragen, dass Atruvia zu den führenden Innovatoren in Deutschland zählt. Wir schätzen die Vielfalt der Ansätze in der Innovationslandschaft und sind bestrebt, auf unserem eigenen Weg exzellente Ergebnisse zu erzielen.
Ein großer Fokus der letzten Jahre lag auf der Customer Journey. Ist das immer noch so oder rücken andere Themen in den Vordergrund?
Der Fokus auf die Kunden und deren Customer Journey bleibt für uns von zentraler Bedeutung. Wir sind überzeugt, dass das Denken vom Kunden her der Schlüssel zum Erfolg ist und weit über die Customer Journey hinausgeht. Unser Blick richtet sich verstärkt auf die Customer Experience als umfassendes Konzept, das sämtliche Interaktionen und Berührungspunkte des Kunden mit unserer Organisation einbezieht.
Themen wie z. B. Künstliche Intelligenz oder Smart Data werden intensiv bearbeitet und sind in der Lage die Customer Experience weiter zu optimieren.”
Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung der stetigen Beschleunigung und der wachsenden Komplexität in einer Welt, die sich rasant verändert und gefühlt im Modus von Dauerkrisen ist. Dies erfordert von uns eine kontinuierliche Anpassung und Flexibilität, um den sich wandelnden Bedürfnissen und Erwartungen unserer Kunden gerecht zu werden.
Was sind Ihre Pläne für 2024?
Wir sind überzeugt: Technologie wird als Wettbewerbsfaktor im Banking weiter an Bedeutung gewinnen. Dies schließt sowohl den Ausbau unserer bestehenden Lösungen als auch die kreative Schaffung von Neuem ein.
Die wichtigsten Schwerpunkte unserer Handlungsstrategie für das kommende Jahr im Hinblick auf das Banking der Zukunft umfassen:
- Kundenfokussierung intensivieren: Die Kundenfokussierung steht im Mittelpunkt unserer Pläne, um die Bedürfnisse der Bankkunden und der Banken noch besser zu verstehen und für deren Herausforderungen exzellente Lösungen anzubieten.
- Weiterer Ausbau als Digitalisierungspartner: Wir werden unsere Position und Fähigkeiten als Digitalisierungspartner weiter ausbauen, um unseren Banken innovative Lösungen für die sich rasch verändernde Finanzlandschaft bieten zu können.
- Ausbau des digitalen Bankings: Die Weiterentwicklung des digitalen Bankings wird ein zentraler Schwerpunkt sein, um unseren Kunden zeitgemäße und benutzerfreundliche Lösungen zu bieten.
- Gewinnung jüngerer Kunden und Mitglieder: Als Digitalisierungspartner der genossenschaftlichen FinanzGruppe übernehmen wir die Verantwortung, attraktive und moderne Produkte für das Banking der Zukunft zu entwickeln. Damit wollen wir vermehrt auch jüngere Zielgruppen und potenzielle Neukunden ansprechen.
- Effizienzen und Potenziale heben: Der gezielte Ausbau von Effizienzen und das Heben von Potenzialen stehen im Fokus, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Leistungsfähigkeit der Banken zu steigern.
- Verankerung von Nachhaltigkeit: Die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Strategie, Organisation und Kultur von Atruvia ist ein weiterer wichtiger Schwerpunkt, um eine langfristige und verantwortungsbewusste Ausrichtung sicherzustellen.
Diese Pläne reflektieren unser Engagement für Innovation, Kundenorientierung und eine zukunftsweisende Ausrichtung im sich wandelnden Finanzsektor.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch!dk
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