Beim iPhone Wallet sehen die Geno-Banken die Kreditkarten im Vordergrund; Dr. Andreas Martin im Interview
Keine Girocard fürs iPhone; mehr #DK; Paydirekt auf der Überholspur: Dr. Andreas Martin, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) im Interview mit Rudolf Linsenbarth.
Herr Dr. Martin, welche Bedeutung hat die girocard für die im BVR organisierten Genossenschaftsbanken?
Eine hohe strategische Bedeutung. Die girocard ist im besten Sinne die Kundenkarte der Bank. Angefangen von den klassischen Funktionen an Geldautomaten und Terminals über den Zugang zum Onlinebanking bis zu innovativen kontaktlosen Anwendungen. Wir waren deshalb auch aus voller Überzeugung Vorreiter bei der Einführung der Kontaktlosfunktion auf der girocard.Warum folgt man hier eigentlich nicht den Sparkassen und ertüchtigt die girocard für das iPhone Wallet?
Sie wissen, dass wir die Nutzung der girocard im Smartphone frühzeitig in Angriff genommen haben. Zunächst durch einen hardware-basierten Piloten mit Vodafone Deutschland im Dezember 2016, der seitens der Telekommunikationsanbieter leider nicht weitergeführt wurde. Sodann durch die HCE-Variante für android-basierte Smartphones. Seit August 2018 können unsere Kunden sowohl ihre Kreditkarte als auch ihre girocard dort aufschalten.
Für die iPhone Wallet haben uns unsere Mitgliedsbanken signalisiert, dass sie hier die Kreditkarten im Vordergrund sehen. So sind wir im April 2020 jetzt auch erfolgreich gestartet. Zur Komplettierung des Portfolios kommt die virtuelle Mastercard Debit hinzu. Hierin ist definitiv kein Strategiewandel zu sehen.”
Liegt die Zurückhaltung gegenüber Apple nicht eher in den begrenzten Ressourcen ihrer IT Partner begründet?
Nein.”
Kann es sein, dass die Privatbanken auch deshalb teilweise der girocard den Rücken kehren, weil der Handel trotz verhandelter girocard-Entgelte immer noch zu stark auf die Lastschrift setzt?
Zu anderen Instituten möchte ich mich nicht äußern. Zu Ihrer Vermutung hinsichtlich Handel, Entgelten und Lastschrift:
Hier sprechen die Fakten eine andere Sprache. Dem EHI zufolge wurden 2019 rund 225 Milliarden Euro im deutschen Einzelhandel mit Kartenzahlung umgesetzt, somit 15,5 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Mehr als jeder zweite Euro wird an der Kasse per Karte bezahlt.”
Haupttreiber dieses Wachstums war einmal mehr das girocard-System der Deutschen Kreditwirtschaft (DK). Es legte an den Kassen des Einzelhandels 2019 um 3,5 Prozentpunkte auf 149,5 Milliarden Euro zu. Das unterschriftbasierte SEPA-Lastschriftverfahren verliert dem EHI zufolge dagegen weiter Anteile.
Auch die Zahlungsdienstleister geben offen zu, dass sie mehr Spaß an den Scheme-basierten Karten haben. Das gilt auch für das Verbund-Unternehmen VR-Payment. Wie lange hält unter diesen Umständen das Kommittment zum Produkt girocard?
Dieser Eindruck täuscht aus meiner Sicht und nach unseren Gesprächen mit Zahlungsdienstleistern. Die girocard verschafft dem gesamten Zahlungssystemangebot mehr Diversität und ist damit für die Zahlungsdienstleister auch ein Instrument zur Wettbewerbsdifferenzierung.
Mit der girocard im iPhone hätte die DK den ersten Schritt getan, der die Reihe der gescheiterten Versuche, im Online Payment Fuß zu fassen, beendet. Wie erklären Sie die Ambivalenz, mit der die DK an dem Produkt festhält, sich aber gleichzeitig nicht zu einer Weiterentwicklung durchringen kann?
Wir entwickeln die Technologie der girocard stetig weiter, die NFC-Technologie haben wir bereits früh auf den Karten ermöglicht. Sie ist auch die Basis, auf der die virtuellen Karten auf dem Smartphone funktionieren. Wir gehen in der Weiterentwicklung unserer stets für den Massenmarkt konzipierten Produkte sorgfältig vor mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürger in das hohe Sicherheitsniveau der Bezahlsysteme der Deutschen Kreditwirtschaft zu wahren.
Das braucht mitunter etwas mehr Zeit, sorgt aber am Ende für stabile und sichere Angebote und Verfahren.”
Ob und wie eine Bank oder Bankengruppe die girocard konkret ihren Kunden anbietet, ist Teil des Wettbewerbs und Entscheidung jedes einzelnen Marktakteurs.
Paydirekt kommt nicht vom Fleck, die deutschen Banken haben diesem Online-Payment-Verfahren zum Start eine Mitgift von 100 Mio € spendiert. Überlegen Sie manchmal, wo giropay heute stehen würde, wenn dem System dieselbe Summe zur Verfügung gestanden hätte?
Der Eindruck, den Sie hier darstellen, ist falsch. Paydirekt hat sich positiv entwickelt, sowohl in der Nutzung seitens der Bankkunden als auch über eine stetig zunehmende Händleranbindung.”
Macht #DK eigentlich Sinn, wenn gleichzeitig auf europäischer Ebene EPI (European Payment Initiative) an den Start geht?
Die Grundidee von #DK einer maximalen Convenience in der Kombination der kontobasierten Zahlverfahren ergibt doch genauso viel Sinn wie die Grundidee von EPI mit dem Ziel einer europäischen Interoperabilität auf Basis europäischer Systemlösungen.
Dies darf man nicht gegeneinander setzen, sondern man muss versuchen, hier einen Königsweg zu finden, der vor allem den Nutzen für Verbraucher und Akzeptanten in den Vordergrund stellt. Deshalb beteiligen sich auch namhafte deutsche Adressen aus allen Bereichen der Kreditwirtschaft an diesem Projekt.”
Das Bundesbank Vorstandsmitglied Burkhard Balz fordert die Banken beständig auf, im Zahlungsverkehr mehr Europa zu wagen. Haben Sie sich mit ihm schon einmal darüber ausgetauscht, was er darunter versteht. #DK kann er damit zumindest nicht gemeint haben, oder?
Wir stehen zur Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrs in Deutschland beziehungsweise Europa im guten und kontinuierlichen Dialog mit der Deutschen Bundesbank. Die Projekte #DK und EPI werden von der Bundesbank ausdrücklich unterstützt.
Ist der NEXO-Standard vielleicht ein erster Schritt dabei, die nationalen Debit-Systeme in Europa zu harmonisieren?
Hier muss ich etwas weiter ausholen. Verschiedene Ansätze zu Standardisierungen der technischen Schnittstellen von Bezahlterminals und zur Harmonisierung der Zahlungsverkehrsanwendungen mündeten unter anderem in die NEXO-Organisation und die NEXO-Standards. Die NEXO-Organisation vereint die verschiedenen und relevanten Stakeholder aus dem Zahlungsverkehrsbereich einschließlich der Deutschen Kreditwirtschaft. Harmonisierungen sparen Kosten und reduzieren Aufwände bei allen Partnern. Die NEXO-Standards sind ein wichtiger Baustein bei der Harmonisierung der kartengestützten Zahlungsverkehrssysteme. Die Vereinheitlichung von Sicherheitsanforderungen und -zertifizierungen, die Harmonisierung von Kartenanforderungen und die Produktzertifizierung sind weitere wichtige Bausteine.
Die Harmonisierung von Kartenanforderungen ist weitestgehend durch den EMV-Standard abgedeckt. In Zeiten der Coronapandemie nimmt die Bedeutung von kontaktlosen Zahlungen weiter zu: CPACE strebt hier eine europäische Vereinheitlichung der Kontaktlos-Kernel an, wobei die Einigkeit Europas gegeben ist.”
Beispielhaft möchte ich hier die Zusammenarbeit der Länder Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal und Serbien mit Deutschland hervorheben.
Wir können festhalten, dass die NEXO-Standardisierung ein wichtiger Schritt ist, aber es noch weiterer Schritte bedarf. Diese sehen wir auch bei der Implementierung.
Die girocard als Produkt der Deutschen Kreditwirtschaft erkennt die NEXO-Standards an. Wir bringen uns hier aktiv ein.”
Wie sehen Sie Bluecode? Entstehen hier vielleicht die Rails für ein neues europäisches Scheme?
Dieses Verfahren ist eine mobile Idee auf Basis des QR-Code. In den aktuellen Projektüberlegungen von EPI und #DK spielt dieses Verfahren keine Rolle.”
In welcher Technologie sehen Sie mehr Potenzial für die Zukunft des europäischen Zahlungsverkehrs, Instant Payment oder die Blockchain?
Für die nächste Zeit würde ich die Aktivitäten auf Instant Payments konzentrieren. Die Entscheidung des European Payments Council, zum 1. Juli 2020 den maximalen Transaktionsbetrag von 15.000 Euro auf 100.000 Euro zu erhöhen, wirkt hier als Beschleuniger, insbesondere im Firmenkundengeschäft. Langfristig wird die Blockchain-Technologie interessanter werden, aber man muss immer im Hinterkopf haben, dass die meisten Funktionen im Zahlungsverkehr ein Massengeschäft bleiben, bei dem es in erster Linie um Stabilität, Performance und Sicherheit geht.
Wer sollte ihrer Meinung nach der Emittent eines „Krypto-EURO“ sein, die Zentralbanken oder ein Verbund privater europäischer Banken?
Schon bei der Definition eines „Krypto-EURO“ gehen die Sichtweisen heute noch deutlich auseinander.”
Auch hier stellt sich die grundlegende Frage nach der Tauglichkeit im Massengeschäft. Zudem wird das Thema der Finanzmarktstabilität sorgsam abzuwägen sein, hier hat man keinen Schuss frei.
Ausschlaggebend wird letztlich die Frage nach den Mehrwerten für die Realwirtschaft sein. Ich sehe hier ganz klar die Zentralbanken im Lead, im Euroraum hat sich die EZB zurecht dieses Themas angenommen.”
Wir haben den Eindruck, dass dabei die notwendige Rolle der Geschäftsbanken im Zahlungsverkehr und bei der Kreditversorgung von Anfang an mit bedacht wird.
Herr Dr. Martin, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.Rudolf Linsenbarth
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