FINTECH7. Dezember 2020

Die Wirecard-Story: Vom Aufstieg und Fall eines deutschen Finanzunternehmens

Finanzbuchverlag

Der Fall Wirecard hat in diesem Jahr die Wirtschaftswelt in Atem gehalten. Jetzt erscheint mit „Die Wirecard-Story – Die Geschichte einer Milliardenlüge“ eine Aufarbeitung der Geschehnisse um den Aschheimer Finanzdienstleister, die das Thema sehr detailreich und dennoch unterhaltsam abhandelt. Die beiden Autoren, zwei Investigativjournalisten der Wirtschaftswoche, haben hier ein faktenreiches, solide recherchiertes Werk vorgelegt und offenbar mit erstaunlich vielen Beteiligten und Zeugen aus dem Wirecard-Umfeld gesprochen.

Wohl kein Unternehmen der Finanzwirtschaft hat im auslaufenden Jahr für mehr Schlagzeilen gesorgt als Wirecard – und in keinem Fall haben sich immer wieder so skurrile Wendungen ergeben. Eigentlich, sollte man meinen, ist dazu schon alles gesagt worden – doch es gibt ein neues Buch zum Aufstieg und Fall des Payment-Dienstleisters aus Aschheim, das in bemerkenswerter Weise die gesamte Geschichte noch einmal beleuchtet und um bemerkenswerte Facetten bereichert. „Die Wirecard-Story – Die Geschichte einer Millionenlüge“ von Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg ist dabei angenehm sachlich und zelebriert dennoch genüsslich eine Vielzahl von Details, die jeder Drehbuchschreiber als „zu klischeehaft“ und „unrealistisch“ abgelehnt hätte.

Angefangen bei der Geburtsstunde von Paul Bauer-Schlichtegrolls EBS und der damals noch Wire-Card genannten Gesellschaft rund um die Jahrtausendwende, als man noch das Payment für die altbekannten 0190-Dialer übernahm über die Zeit, in der die dann konsolidierte Wirecard schon unter Braun und Marsalek im Payment rund um das Glücksspielgeschäft mehr als nur mitgemischt hat – bis hin zum Aufstieg zum TecDax- und später Dax-Unternehmen.

Die zentralen Köpfe – Markus Braun und Jan Marsalek – werden natürlich ausführlich portraitiert und der Leser erfährt auch vieles über die diversen Weggefährten in Vorstand, Aufsichtsrat, auch Kritiker und Berater. Hinzu kommen im Laufe der Zeit etliche mehr oder weniger dubiose Auslandsbeteiligungen und -geschäfte, deren Beschreibung viel über das System Wirecard aussagen. Doch dieses wäre nicht komplett ohne den geschilderten Korpsgeist, die Machtspiele und die strenge Hierarchie, in der beispielsweise ein Finanzvorstand vorkommt, der über wichtige Geschäfte des Unternehmens keine konkreten Informationen gehabt haben soll.

Wirecard: Aufstieg und Fall eines deutschen Finanzunternehmens

Wirecard

Wirecard, das war eine Firma, die aus einem öden Gewerbegebiet des Münchner Vororts Aschheim heraus die Welt eroberte – ein Milliardenkonzern, zwischenzeitlich wertvoller als die Deutsche Bank, eine Art Tesla der modernen Finanzindustrie. … Wirecard, das war das Versprechen, dass die Bundesrepublik nicht nur Achtzylinder und Maschinenbau kann, sondern auch digitale Technologie.“

Auszug aus „Die Wirecard-Story“

Am Schluss steht ein Unternehmen, das kurz vor seinem großen Absturz weltweit das große Rad dreht, aber dabei auch systematisch Consultinghäuser, Journalisten, Investoren und Geschäftspartner hinters Licht führt – von Letzteren aber wohl auch selbst das eine oder andere Mal über den Tisch gezogen wurde. Ein ums andere Mal ändert das Unternehmen sein Geschäftsmodell, wird im Laufe der Zeit durch die Banklizenz auch in Bereichen salonfähig, die ihm bislang verschlossen blieben, und baut das Geschäft mit Partnerschaften in Dubai, Singapur, Indien und den Philippinen zu einem schier undurchschaubaren weltweiten Finanznetz weiter aus. Am Ende stehen lustige Verhandlungen, etwa mit der Deutschen Bank, ein wachsendes Misstrauen der Aufsichtsbehörden und der Unternehmensprüfer und ein furioser Absturz mit Anlauf, der zum Totalschaden eines Unternehmens führt, das über viele Jahre zumindest laut der Bücher nur eine Richtung kannte – nach oben.

Hauptsitz von Wirecard in Aschheim bei MünchenWirecard

Man kann nur erahnen, wie umsichtig Autoren, Verlag und Lektorat mit der Thematik umgehen mussten. An vielen Stellen finden sich Hinweise nach dem Motto „der Anwalt von xxx bestreitet diese Darstellung“, die bereits deutlich machen, was für ein juristischer Spießrutenlauf hinter einem solchen Buch steckt. Die Autorin erklärte in einem Talk des Netzwerks Recherche, dass sie bereits seit vielen Jahren an der Thematik interessiert ist, vieles an Zweifeln aber durch das Unternehmen und Kollegen zerstreut worden sei.

Doch wenn eine im Lesen und Interpretieren von Bilanzen erfahrene Journalistin Zweifel hat, die sie über lange Zeit nur verhalten äußert, dann hat das – wie auch hier – oftmals Gründe. So zeigen die Autoren auch auf, mit welch perfiden Strategien es Wirecard jahrelang verstanden haben soll, Kritiker von Aktionärsvereinigen bis hin zu Journalisten und Aufsichtsbehörden einzuschüchtern und zu desavouieren – sie in einigen Einzelfällen sogar bedroht haben sollen. Und so zeigt die Geschichte auch auf, wie etwa Journalisten, die sich dem Thema näherten, nach immer demselben Muster bekämpft wurden.

Technologisch Mittelmaß, im Tricksen Spitzenklasse

Technologisch, das wird an vielen Stellen deutlich, hat Wirecard gerade in seiner Anfangszeit als Wire-Card vieles erstaunlich unsolide und blauäugig behandelt. Im Laufe der Zeit konnte man zwar technisch solider werden, war aber offenbar eher durch geschicktes Taktieren und viel Schein statt Sein in der Lage, an die Spitze zu gelangen als durch Technologie als Alleinstellungsmerkmal. Das Unternehmen arbeitete mit zahlreichen kleineren und größeren Bilanztricks und täuschte die Behörden schon in den frühen Jahren mit Workflows, die sich nur schwerlich als Taschenspielertricks euphemistisch umschreiben lassen. Man setzte sich so beispielsweise über die in den USA geltenden Glücksspielgesetze im Internet hinweg und versuchte, mit wenig lukrativen Geschäftspartnern das Verhältnis mit den Kreditkartengesellschaften sauber zu halten, das durch die schwierigen Kunden im Glücksspielumfeld zuweilen wohl mehr als angespannt war. Somit mag einem angesichts der zahlreichen fragwürdigen Geschäftspraktiken das bayerisch-anerkennende „Hund‘ san’s scho‘“ nicht mehr über die Lippen kommen.

Tatsächlich war Wirecard ein Unternehmen, in dem ein dubioser Deal auf den nächsten folgte. Ein Konzern, geschaffen von seinem Vorstandsvorsitzenden Markus Braun, der seinen Mitarbeitern Ziele diktierte, die sie kaum erreichen konnten. … Ein Konstrukt, das nur so lange hielt, wie viele wegschauten – Mitarbeiter, Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer, Behörden.“

Auszug aus „Die Wirecard-Story“

Finanzbuchverlag

Das Buch glänzt aber auch mit zahlreichen Details aus der Unternehmenszentrale, die tief blicken lassen und einiges über den Alltag der Mitarbeiter und das Arbeitsklima aussagen, ohne dabei ganz ins Boulevardeske abzugleiten. Letzten Endes arbeitet die Wirecard-Story den Fall faktenreich mit viel Sinn für Details sehr solide auf, weil die Autoren – beide als Investigativreporter der Wirtschaftswoche tätig – nicht nur deskriptiv unterwegs sind, sondern auch eine beeindruckende Zahl an Gesprächen geführt haben müssen. Eindeutige Leseempfehlung für alle in der Finanz- und Bankenszene, die den Fall um den Aschheimer Finanzdienstleister detailliert verstehen wollen. tw

Bergermann, Melanie / Haseborg, Volker ter (2020): Die Wirecard-Story: Die Geschichte einer Milliarden-Lüge, 272 Seiten, Finanzbuch-Verlag München, 19,99 Euro (E-Book: 15,99 Euro)
Bezugsquellen: Direkt beim Verlagüber Thalia.de – oder bei einem Buchhändler in Ihrer Nähe.

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