Filialnetz … Rotstift; Geldautomaten … abgebaut – der Kundenkontakt muss jetzt neu gedacht werden!
Deutsche Banken setzen bei ihrem Filialnetz den Rotstift an, Geldautomaten werden in Folge der weiterhin dramatischen Sprengungen abgebaut. Für Institute stellt dies eine Zäsur dar: Wie sollen sie zukünftig überhaupt in Kontakt mit Kunden kommen? Die Kundenschnittstelle gilt nicht umsonst als maßgeblich für den Geschäftserfolg. Sind Online bzw. Mobile Banking, Call Center und Videoberatung der Weisheit letzter Schluss? Kann Digitalisierung den Wegfall des persönlichen Kontakts vollständig kompensieren?
von Oliver Geiseler, Capco
Natürlich erlebt das Banking einen massiven Wandel im Verhalten ihrer Klientel:Die meisten Kunden besuchen in der heutigen Zeit kaum noch eine Filiale.”
Überweisungen werden online getätigt, das Bargeld an der Supermarktkasse abgehoben, die Wertpapieranlage wird über einen Roboadvisor oder Neobroker getätigt und die neue Küche direkt im Möbelhaus finanziert. Und wenn dann doch einmal ein weiteres Finanzprodukt benötigt wird, holt man sich online mehrere Angebote ein oder nutzt gleich eines der zahlreichen Vergleichsportale. Die Folgen sind ein zunehmender Wettbewerbsdruck und sinkende Margen – nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Transparenz der jeweiligen Produktkonditionen.
Berüchtigter Datenschatz – fehlende Schatzkarte
Mehr noch als jeder Tech-Gigant verfügen Banken über eine Vielzahl an Finanzdaten, mit denen sie noch vor ihren Kunden selbst einen gewissen Produktbedarf identifizieren und für gezieltes Marketing nutzen können. So lassen sich zum Beispiel kundenindividuelle Produktangebote im Online-Banking schalten. Auch Mailing-Aktionen erfreuen sich weiterhin einer regen Nutzung. Allerdings schränken der Daten- und Verbraucherschutz die Nutzung dieser Daten stark ein. Bei Missbrauch drohen hohe Strafen und Imageschäden. Bislang kämpfen Institute massiv mit der Herausforderung, die Potenziale der zweifelsohne vorhandenen Daten für sich zu nutzen, hier fehlt es allenthalben an einer griffigen Strategie für die kommenden Jahre. Hinzu kommt bis dato eine Skepsis gegenüber neuen technischen Möglichkeiten – von Seiten der Institute aber auch der Kunden.
Die Gratwanderung der Bankhäuser muss sich streng an den Vorgaben der DSGVO orientieren. Verstöße im Umgang mit Kundendaten gehen einher mit starkem Reputationsverlust wie auch der Gefahr, mit massiven Bußgeldzahlungen konfrontiert zu werden. Präzedenzfälle zeigen bereits, dass Geldhäuser mit einem strikten Durchgreifen rechnen müssen. Insofern ist es für Banken essentiell, Kunden davon zu überzeugen, ihr Einverständnis zur Auswertung ihrer Daten zu geben. Die Vergangenheit zeigt, dass diese Hürde nicht unkritisch ist:
Banken sind angehalten, dafür attraktive Incentivierungen anzubieten. Nur über die Ausgestaltung von außergewöhnlichen Mehrwerten für Kunden kann es gelingen, die aktive Nutzungserlaubnis ihrer Daten zu erlangen.”
Möglichkeiten bestehen etwa durch das Angebot von klassischen Gratisleistungen (Kontoführung, Kreditkarten etc.) oder durch die Bereitstellung gänzlich neuer digitaler Features (Vermögensanalyse, automatisierte Steuererklärung etc.). Mithilfe der erlaubten Datenauswertung wird es Banken gelingen, mit ihren maßgeschneiderten Angeboten und Services viel stärker an die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden heranzurücken.
Immer mehr Produkte können digital abgeschlossen werden. Lange waren es vor allem einfache, standardisierte Angebote, die vollständig digital abgewickelt werden konnten. Inzwischen wird die Offerte zunehmend auf komplexere Produkte wie zum Beispiel eine Baufinanzierung oder einen Betriebsmittelkredit ausgeweitet. Der intelligente Einsatz von Daten wird deren Erfolgsquoten maßgeblich verbessern.
Bedarfsgerechte Lösungen statt reinem Produktabsatz
Autor Oliver Geiseler, CapcoOliver Geiseler ist Senior Partner bei Capco (Website) und leitet den Bereich Digital Financial Services in Deutschland, Österreich und der Slowakei. Herr Geiseler ist seit über 25 Jahren im Banking-Bereich tätig und bringt Erfahrung sowohl aus der Linienfunktion als auch als Berater mit. Aus seinen bisherigen beruflichen Stationen bei der Deutschen Bank, der Volkswagen Bank, Roland Berger und KPMG kombiniert Herr Geiseler vielfache Erfahrungen aus den Bereichen Bankfachlichkeit, IT, Projekt Management, Strategie und Regulatorik. Seine aktuellen Tätigkeitsschwerpunkte konzentrieren sich hauptsächlich auf die Weiterentwicklung der Bank-Geschäftsmodelle und -Prozesse sowie die Umsetzung komplexer Transformationsprojekte.
Um ihren Mehrwert für den Kunden zu erhöhen, müssen sich Geldhäuser außerdem von ihrem Fokus auf die eigene Produktwelt verabschieden. Vielmehr gilt es, sich stärker als Lösungsanbieter für die Kunden zu platzieren, um diesen zu helfen, sich unkompliziert Lebens- oder Konsumträume zu erfüllen: Automobilhersteller bewerben ihre Produkte schon seit Jahren mit einer möglichst attraktiven monatlichen Rate, die sich dank einer (subventionierten) günstigen Finanzierung ermöglichen lässt. Häufig werden eine Versicherung und besondere Serviceleistungen im Produktangebot integriert, mithilfe der PSD2 lassen sich individualisierte Kalkulationen ohne User-Aufwand unkompliziert durchführen. Dem Kunden wird sofort und unkompliziert eine monatliche Belastung angegeben. Durch die schnelle und komfortable Aggregation verschiedener Services entsteht für den Nutzer ein Mehrwert, der Banken helfen kann, aus der digitalen Transparenz- und Preisfalle zu entkommen. Dieses Konzept ist grundsätzlich auch in anderen Produktgruppen vorstellbar. Genannt seien hier zum Beispiel die Baufinanzierung oder verschiedene Bereiche des Konsumentenkredits.
Mit Gamification Anlässe kreieren
Ein weiterer Ansatz, den Kundenkontakt neu zu denken, ist das Kreieren von Anlässen, um mit Kunden in Kontakt zu treten. Hier können Gamification-Ansätze helfen. So können beispielsweise Gewinnspiele gestartet werden, die für eine bestimmte Nutzung von Service-Funktionen oder Produkten Punkte vergeben. Wenn der Kunde eine bestimmte Punktzahl erreicht hat, bekommt er einen Preis, den er sich in einer Filiale abholen kann oder bekommt für ein bestimmtes Produkt eine Sonderkondition.
Für Banken erlaubt Gamification somit die Möglichkeit, digitale Angebote mit den Potenzialen der persönlichen Beratung vor Ort in der Filiale zu kombinieren und die Interaktion mit dem Kunden auszubauen.”
Fazit
Die Reduktion von Filialen ist vor dem Hintergrund steigender Betriebskosten bei einem weiterhin hohen Profitabilitätsdruck unumgänglich. Um hier aber nicht in eine Abwärtsspirale mit niedrigeren Umsätzen und daraus resultierend weiteren Kostendruck zu geraten, benötigen Banken und Sparkassen umfassende Lösungskonzepte, die über die Erweiterung digital abschließbarer Produkte, den Ausbau von Call Centern und dem Angebot der Videoberatung hinausgehen. Es gilt, den Kundenkontakt zu halten, Daten intelligent zu nutzen, Kontaktanlässe zu kreieren und vor allem das Angebot an Kundenbedürfnissen auszurichten und Produktbedarf schon frühzeitig zu antizipieren.Oliver Geiseler, Capco
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