STUDIEN & UMFRAGEN26. Juni 2019

Branchenkompass Insurance: Versicherungswirtschaft verharrt in Stimmungstief

Das Gros der deutschen Unternehmen plant Maßnahmen zur digitalen Transformation.
Bigstock / Alfa Photo

Nur rund jeder vierte Entscheider in der deutschen Versicherungswirtschaft geht davon aus, dass sich die Branche in den kommenden drei Jahren signifikant besser als die Gesamtwirtschaft entwickeln wird. Damit hat sich die Gemütsverfassung seit 2017 kaum verändert, trotz ordentlicher Wachstumszahlen 2018. Das ist das zentrale Ergebnis der Studie „Branchenkompass Insurance 2019“ von Sopra Steria Consulting. Die Abkühlung der Konjunktur kommt somit zur Unzeit, Regulierung und die anhaltend niedrigen Zinsen erschweren weiterhin das Geschäft. In sieben von zehn Unternehmen binden zudem Maßnahmen für mehr Datensicherheit und Datenschutz viele Ressourcen. Impulse für neues Wachstum versprechen sich die Versicherer und Vermittler dagegen laut dem Branchenkompass Insurance durch mehr Automatisierung und Digitalisierung.

Für das laufende Geschäftsjahr rechnet das Gros der Entscheider der Versicherer und Makler im Durchschnitt immerhin erneut mit Beitragssteigerungen, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Mittel- bis langfristig stellt sich die Branche jedoch auf Wachstumsdämpfer ein. Die Stimmung ist allenfalls als verhalten optimistisch einzustufen. Entscheider kleinerer Versicherer mit bis zu 500 Mitarbeitern blicken dabei um einiges pessimistischer in die Zukunft als die Konzerne. Das liegt vor allem an den hohen Bürokratiekosten für die Umsetzung von EU-Regularien. Die großen Unternehmen können die fixen Kosten, die Solvency II, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der Bilanzierungsstandard IFRS 17 auslösen, besser über die Masse an Verträgen und Mitarbeiter verteilen als Versicherer mit weniger Bestand und Personal.

Regulatorische Anpassungen gefordert

Leichte Entlastung winkt den Versicherern mittelfristig beim Solvency-II-Regelwerk. Die EU-Kommission will das Thema 2020 neu bewerten. Der GDV hatte nach einer Zwischenbilanz darauf hingewiesen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Solvenzberichte kaum gelesen werden, und eine Verschlankung gefordert. Für zusätzliche Vereinfachungen könnten die Versicherer in den kommenden Jahren aus eigener Kraft sorgen. Der Plan dabei ist, Kosten für künftige regulatorische Anpassungen durch Investitionen in Cloud-Lösungen an die Anbieter auszulagern. Fast jede dritte Führungskraft (31 Prozent) verspricht sich mit der Maßnahme automatische Anpassungen an Regulierungen, so die Studie.

Christian Diemaier / Sopra Steria Consulting

Beim Vergleich mit anderen Anbietern von Versicherungen gibt sich die Branche selbstbewusst. 43 Prozent der Unternehmen halten sich für technologisch und organisatorisch besser gewappnet als ihre direkten Wettbewerber. Zwölf Prozent sehen sich in einer schwächeren Position. Vermittler sind hier etwas zurückhaltender als ihre Produktgeber. Von ihnen sagen nur 32 Prozent, besser als ihre Wettbewerber zu sein, 18 Prozent schätzen sich als schwächer ein. Sie befürchten vor allem, dass sie sukzessive durch Online-Plattformen und InsurTechs ersetzt werden. Insgesamt betrachten 59 Prozent der Versicherer und Vermittler InsurTechs als ernste Bedrohung im Kampf um Marktanteile.

Doch auf der Suche nach neuen Wachstumsimpulsen wirkt die Branche strategisch ein Stück weit ideenlos, wie die Studie von Sopra Steria zeigt: Auf der Einnahmeseite bleiben viele Versicherer ihren etablierten Strategien treu. Für 76 Prozent ist das Gewinnen neuer Kunden immer noch das Hauptstandbein für Wachstum. Immerhin: 67 Prozent der befragten Versicherer fokussieren sich parallel verstärkt auf Cross-Selling-Strategien mit Stammkunden.

Die Differenzierung gegenüber Wettbewerbern findet in der Versicherungsbranche noch stark über den Preis statt, besonders bei Sachversicherungen. Damit ist praktisch jeder Versicherer gezwungen, Organisation und Prozesse akribisch nach Einsparpotenzialen abzusuchen. Kunden honorieren allerdings auch schnelle und fundierte Beratung über diverse Kanäle sowie Produkte, die sich ihrer Lebenssituation ständig anpassen. Diesen Wachstumspfad mit loyalen Kunden sollten mehr Assekuranzen stärker verfolgen.“

Christian Diemaier, Leiter des Geschäftsbereichs Insurance von Sopra Steria Consulting

Automatisierung und Digitalisierung als Hoffnungsträger

Um sich sowohl Vorteile bei den Kosten als auch bei der Kundenzufriedenheit zu verschaffen, stehen branchenweit Investitionen in Automatisierung, Digitalisierung und Kooperationen auf der Agenda. Aus Sicht von 61 Prozent der befragten Entscheider in den Versicherungen sollte das eigene Unternehmen eine technologische Vorreiterrolle anstreben. Zentrale Hebel sind laut Sopra Steria und dem Branchenkompass Robotic Process Automation, Beratung mit Unterstützung von Chatbots, Bekämpfung von Versicherungsbetrug mithilfe Künstlicher Intelligenz sowie Cloud Computing.

Christian Diemaier / Sopra Steria Consulting

Mehr als jedes zweite Unternehmen will zudem mit durchgehend digitalen Prozessen mehr direkte Online-Abschlüsse ermöglichen und gleichzeitig die Schaden-Kosten-Quoten massiv senken. Maßstab im Schadensmanagement sind digitale Versicherer wie One, die bis zu 60 Prozent aller Schäden in Echtzeit und vollautomatisch regulieren. 63 Prozent der Versicherungsmanager sehen große Chancen, mit dem Umstieg auf eine IT-Landschaft aus der Cloud Wachstumsimpulse im Vertrieb zu setzen. Immerhin jeder vierte Versicherer möchte mit dieser Maßnahme künftig schneller und einfacher modulare Baukastenprodukte für Kunden anbieten und gewachsene Spartenstrukturen überwinden. Beim Thema Kooperationen mit InsurTechs zögern dagegen viele Entscheider noch. Nur vier von zehn Versicherungsunternehmen halten die Zusammenarbeit für nützlich, bei den Vermittlern spricht sich jeder vierte für Partnerschaften aus.

Trends im Vertrieb: weniger Vermittler, aber keine Komplettdigitalisierung

Als Wachstumsgaranten gelten in der Versicherungswirtschaft die Vermittler und Makler mit ihrer Nähe zu den Kunden. Mit Blick auf die kommenden drei Geschäftsjahre sehen die befragten Versicherungsführungskräfte laut dem Branchenkompass einen Rückgang der Vermittlerzahlen zugunsten des Direktgeschäfts über Online-Kanäle. Als Vertriebsmodell der Zukunft erwarten drei Viertel der Befragten allerdings kein Ende der persönlichen Beratung, sondern einen Hybridansatz.

Christian Diemaier / Sopra Steria Consulting

Für viele Versicherungsprodukte bleiben die Berater unverzichtbar, werden allerdings bei der Anbahnung von Geschäft deutlich stärker als bislang durch Technologien wie Künstliche Intelligenz unterstützt. Selbst rein digitale Versicherer setzen auf die Nähe zu erfahrenen Vertriebsexperten. Neodigital und Wefox bieten beispielsweise digitale Sachversicherungen über Makler an. Wefox unterstützt Makler darüber hinaus mit einem digitalen Backoffice.

Wir werden erleben, wie die Versicherer mit ihrer Markenbekanntheit, Makler und Vermittler mit ihrem Vertriebs-Know-how sowie InsurTechs mit ihrer technischen Innovationsstärke deutlich enger zusammenrücken.“

Christian Diemaier, Leiter des Geschäftsbereichs Insurance von Sopra Steria Consulting

Die Studie „Branchenkompass Insurance 2019“ wurde in zwei Schritten durchgeführt. Sopra Steria Consulting und das F.A.Z.-Institut haben Versicherungsführungskräfte in einem Think Tank zusammengebracht und mit ihnen über die Themen diskutiert, die die Branche bewegen. Im März und April 2019 wurden darüber hinaus 100 Führungskräfte aus Versicherungen zu den Branchentrends, Herausforderungen und Strategien befragt. Die Online-Befragung wurde mit Führungskräften von Versicherern unterschiedlicher Sparten und Größe durchgeführt. Die vollständige Studie können Sie für 75 Euro zuzüglich MwSt. bei Sopra Steria bestellen.tw

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