Was das beginnende FinTech-Sterben für etablierte Banken und Versicherer bedeutet
Die vergangenen Jahre waren von einem regelrechten FinTech (bzw. InsurTech) Hype gekennzeichnet. Es gibt kaum eine Bank oder Versicherung, die sich nicht einem verstärkten Wettbewerb ausgesetzt sieht. Doch fast alle FinTechs schreiben rote Zahlen ohne erkennbare Tendenz zum Trendwechsel. Was bedeutet das für Banken und Versicherer?
von Dr. Dirk Oevermann, accredon consultants
Gemäß angelsächsischer Definition sind FinTechs “new entrants that use internet-based and mobile technologies to create new or superior financial services products or solutions. FinTech firms range from startups to the product offerings of large tech firms, such as Google or Apple.” Ihre Gemeinsamkeit besteht darin zu versuchen, Marktanteile von etablierten Finanzdienstleistern zu erobern, indem sie kostengünstigere, bequemere, effizientere und stärker personalisierte Lösungen anbieten, im Idealfall alles zusammen.Anders als in anderen Branchen hat sich im Bereich Financial Services allerdings bisher kein neuer Wettbewerber herauskristallisiert, der ernsthaft zu einer Bedrohung für die etablierten Marktteilnehmer aufgestiegen ist.”
Es erscheint daher sinnvoll, die bestehende FinTech-Entwicklung kritisch zu reflektieren und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Ein zentraler Aspekt ist dabei für Banken und Versicherungen die Frage, welche Schlussfolgerungen aus dem Aufkommen der vielfältigen FinTechs zu ziehen sind und wie sich die Markt- und Wettbewerbsdynamik weiter entwickeln wird.
Fehlende Kundenbasis als größte Herausforderung
Bereits in den 90er Jahren beschäftigten sich etliche Analysen mit der verstärkten Wechselbereitschaft von Bank- und Versicherungskunden. Heute, mehr als 20 Jahre später, ist die faktische Wechsel-Dynamik immer noch relativ schwach ausgeprägt, und dass, obwohl die Digitalisierung inzwischen unseren Alltag erobert hat und bestehende Wechselbarrieren damit signifikant geringer geworden sind. Zwar wurde im Bereich Financial Services gerade in den letzten Jahren einiges an Kundenvertrauen verspielt, aber nach wie vor ist das sogenannte One-Stop-Shopping weitverbreitet.
Im Unterschied zu Newcomern im Markt verfügen viele Banken und Versicherungen außerdem über ein starkes Branding, welches auf eine hohe Kundenbindung einzahlt.”
So kämpfen praktisch alle FinTechs mit der Herausforderung, möglichst schnell eine breite Kundenbasis aufzubauen. Die Gewinnung von nennenswerten Marktanteilen und der Aufbau einer starken Marke erweisen sich jedoch als langwierig und teuer. Im Ergebnis führt dies u.a. zu hohen Kundenakquisitionskosten und bewirkt, dass fast alle Anbieter rote Zahlen schreiben, ohne erkennbare Tendenz zum Trendwechsel.
Auch der immer wieder propagierte, sogenannte First-Mover-Effekt bei der Markteinführung innovativer Lösungen (…the early bird catches the worm) lässt sich inzwischen in Frage stellen. Gemäß “Economist“ erobern Innovatoren für ihr Produkt im Durchschnitt gerade 7 % des relevanten Marktes. Dagegen sind sogenannte „Fast Follower“ in der Regel wesentlich erfolgreicher.
Von 2010 bis 2016 war er COO/Vorstand der Euler Hermes Group in Paris, dem weltweit führenden Kreditversicherer, u.a. mit der Verantwortung für Operations, IT und digitale Veränderungsinitiativen. Davor arbeitete er mehrere Jahre als Vorstand von IDS Scheer, dem Marktführer im Bereich Business Process Management, und war dort verantwortlich für das weltweite Beratungsgeschäft.
Schließlich wirkt sich auch die ausgeprägte Regulierung im Financial-Services-Bereich negativ auf die Entwicklung und Markterschließung innovativer Lösungen aus. Waren viele FinTechs anfangs unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Regulierer, sind sie inzwischen fast ebenso im Fokus wie etablierte Wettbewerber. Daraus ergeben sich nicht nur zusätzliche Aufwände, sondern auch negative Time-to-Market Implikationen.
Was wird von der FinTech-Euphorie übrigbleiben?
Durch diese Einflussfaktoren erweisen sich die zugrundeliegenden Annahmen vieler FinTech-Business Cases als fundamental falsch; man kann hier durchaus einige Parallelen zur Dotcom-Blase erkennen. Entsprechend ist in den vergangenen Monaten der Druck der Kapitalgeber substantiell gestiegen, was auch erklärt, warum immer mehr Startups sich von ihrem ursprünglichen Stand-Alone-Ansatz verabschieden, untereinander fusionieren bzw. offen sind für weitreichende Kooperationsmodelle.
Zwar wird von vielen Protagonisten FinTechs in ihrer Gesamtheit immer noch ein hohes Disruptions-Potenzial für die Financial-Services-Branche zugeschrieben. Blickt man jedoch auf die einzelnen Marktteilnehmer, kann man ebenso zu der Auffassung gelangen, dass viele von ihnen letztlich „nur“ innovative Softwarehersteller mit fokussierten Marketingkonzepten sind, die extrem enge, häufig nicht profitable Kundensegmente und einen lediglich geringen Teil der Wertschöpfungskette abdecken. Ob eine solche Positionierung dauerhaft ausreicht, um sich erfolgreich und unabhängig im Markt zu behaupten, darf stark bezweifelt werden. Nicht wenige Anbieter agieren inzwischen zunehmend als „Third-Party-Technology-Provider“, die eine White-Label-Lösung für etablierte Banken und Versicherungen bereitstellen. Für viele andere dürfte es wie in der Dotcom-Blase schon bald heißen: „Rest in Peace“, so wie jüngst bereits für Avuba, Cashboard, Cookies und Outbank…
Dennoch spielten und spielen FinTechs eine wesentliche Rolle als Wettbewerbstreiber in punkto Kundenorientierung, Transaktionsgeschwindigkeit, Einfachheit der Prozesse, Up-to-date Technologie und innovatives Marketing: sie attackieren die klassischen Schwächen vieler etablierter Player.”
In den vergangenen Jahren wurde dadurch unzweifelhaft eine neue, digital getriebene Wettbewerbsdynamik ausgelöst. Die gute Nachricht für klassische Marktteilnehmer ist, dass sie über eine große Kundenbasis, umfangreiches Know-how, Beratungskompetenz, (relativ) hohes Kundenvertrauen/Brand Value sowie ein integriertes Geschäftsmodell verfügen.
Welche Implikationen ergeben sich für etablierte Player?
Eine nach wie vor gültige, alte Strategieweisheit besagt, dass man seine Stärken ausbauen, hingegen seine Schwächen konsequent reduzieren sollte. Aus der Vielzahl von Ansatzpunkten zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im digitalen Wandel lassen sich für etablierte Player folgende Herausforderungen besonders herausstellen: die notwendige Verbesserung der Kundenorientierung, die konsequente Nutzung von Kundeninformationen sowie eine stärkere Bereitschaft, innovative Kunden- und Technologielösungen von FinTechs in die eigene Wertschöpfungskette zu integrieren. Außerdem gilt es, die Agilität bzw. Umsetzungsgeschwindigkeit bei der digitalen Transformation zu erhöhen.
Im Hinblick auf die zukünftige Kundenbindung und -zufriedenheit können etablierte Banken und Versicherungen ihre relativ schwach ausgeprägte Kundenorientierung signifikant verbessern, gerade auch unter Berücksichtigung demographischer Veränderungen und daraus resultierender digitaler Implikationen. Hier gibt es unter den FinTechs eine Reihe von Vorbildern, die kompromisslos kundenorientiert sind.
Gleichzeitig, im Sinne eines Ausbaus bestehender Stärken, müssen etablierte Finanzdienstleister damit beginnen, ihr wertvollstes Kapital besser zu nutzen: die weitreichenden Informationen über ihre bestehende Kundenbasis. Banken und Versicherungen sitzen auf einem wahren Datenschatz, den sie bisher nicht oder nur sehr eingeschränkt gehoben haben. Die gute Nachricht: hierzu gibt es am Markt unter dem Stichwort „Big Data Analytics“ inzwischen eine Reihe von guten technologischen Vorbildern wie etwa Google oder Amazon, bei denen die exzellente Kundenanalytik ein elementarer Treiber ihres Geschäfts- und Profitmodells ist.
Betrachtet man die existierenden Markt- und Technologielösungen von FinTechs als Ideenpool zur innovativen Ergänzung des eigenen Leistungsangebotes, stellt sich unmittelbar die Frage nach der best- und schnellstmöglichen Umsetzung. Dies setzt zum einen eine sehr gute Marktkenntnis voraus. Zum anderen muss entweder die interne Fähigkeit aufgebaut werden, solche Lösungen nachzubilden oder aber man macht FinTechs durch ein Kooperations- bzw. Beteiligungsmodell vom Wettbewerber zum Partner.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass im Hinblick auf FinTechs die anfängliche Euphorie verflogen ist. Dies ist allerdings nur scheinbar eine positive Nachricht für etablierte Finanzdienstleister, denn es bedeutet nicht etwa, dass der Wettbewerbsdruck nachlassen wird: im Gegenteil.
In der neuen, digitalen Wettbewerbswelt müssen sich sämtliche Marktteilnehmer umfassend wandeln, um zu überleben.”
Diese Dynamik führt dazu, dass Banken und Versicherungen hohe Summen in eigene digitale Projekte investieren bzw. FinTech-Lösungen in ihre Wertschöpfungskette integrieren. Immer mehr etablierte Unternehmen beginnen damit, sich ganzheitlich zu transformieren – es geht aber um deutlich mehr als nur um neue Technologien. Neben einer überzeugenden Strategie gilt es, ein hohes Augenmerk auf eine konsequente und schnelle Umsetzung zu legen und gleichzeitig wichtige Rahmenbedingungen wie etwa Organisation und Führung dem digitalen Wandel anzupassen.
Letztlich ist nicht die zentrale Frage, wer als Erster gestartet ist, entscheidend ist die Ziellinie – niemand wird sich einmal daran erinnern, wer das Rennen zur Hälfte gewonnen hat. Am Ende wird in den meisten Fällen nicht der „First Mover“, sondern der „Fast Follower“ der Erfolgreichste sein: die Betonung liegt hier aber ausdrücklich auf „Fast“. Träge Marktteilnehmer werden immer stärker von denjenigen Wettbewerbern attackiert, die schneller und besser auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren. Für viele Banken und Versicherungen ist hier ein fundamentales Umdenken erforderlich.aj
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