KOLUMNE: BEZAHLSYSTEME IN DEUTSCHLAND10. November 2019

Anno Lederer: “Bargeld, Karte oder Smartphone – Lasst doch den Kunden entscheiden!”

Anno LedererAnno Lederer

Mitte der 60er Jahre, war Anno Lederer noch Schüler und weit entfernt von Themen, die sich mit der Finanzwelt und  sogenannten Zahlungs­instrumenten befassten. Damals konnte er das erste Mal in seiner Heimatstadt Düsseldorf einen Bezahlvorgang mit einer Plastikkarte erleben. Über 35 Jahre war Anno Lederer in der Informations­technologie für Banken tätig – nun kommentiert er für IT Finanzmagazin die aktuellen Entwicklungen.

von Anno Lederer

Ein Angestellter meines Vaters bezahlte in einem Tabakwarenladen in Düsseldorf eine Stange Zigaretten der Marke Benson & Hedges mit einer Diners Club Karte. So etwas hatte ich bis dahin nicht gesehen. Ich war irritiert, aber vor allem auch fasziniert.

Dass mich dieses Thema später während meines gesamten Berufsleben begleitet hat und ich – vielleicht aufgrund meines sehr persönlichen Erlebnisses – schon sehr früh eine Position pro Karte bezogen habe, habe ich damals nicht ahnen können.”

Und ich wusste natürlich nicht, welche enormen technischen, vertraglichen und vertrieblichen Anstrengungen erforderlich sind, um solche oder ähnliche Lösungen sicher, schnell und für alle Beteiligten auch komfortabel umzusetzen.

Ebensowenig habe ich damals auch nur ansatzweise absehen können, wie langwierig, intensiv und kontrovers vor allem in Deutschland die Diskussion anhalten würde, ob und wann und vor allem auch in welchem Umfang die Karte oder andere Instrumente als Zahlungsmittel dem Bargeld den Rang ablaufen sollte.

Das Spannungsfeld zwischen der Karte einerseits und dem guten und vertrauten Bargeld andererseits beschäftigt seither und bis heute die gesamte Finanzindustrie in allen möglichen Diskussionsvariationen.”

Auf vielen Bankenkongressen sind seitdem und bis heute die Protagonisten beider Seiten gern gebuchte Redner oder Diskutanten.

Die Kolumne von Anno Lederer
Anno Lederer war über 35 Jahre in der Informationstechnologie für Banken tätig und von 1997 bis 2014 Vorstandsmitglied und Vorstandsvorsitzender der GADeG mit Sitz in Münster – dem IT-Dienstleister für über 400 Volks- und Raiffeisenbanken vornehmlich im Nordwesten Deutschlands.

Er trieb fe­der­füh­rend die Ent­wick­lung in­no­va­ti­ver Lö­sun­gen für Kre­dit­in­sti­tu­te vor­an und hat ge­mein­sam mit sei­nem Team ei­ne Viel­zahl von IT-Pro­duk­ten für Ban­ken er­folg­reich zum Ein­satz ge­bracht. Auch nach sei­nem Ein­tritt in den Ru­he­stand ist er wei­ter­hin auf­merk­sa­mer Be­ob­ach­ter ak­tu­el­ler Ent­wick­lun­gen in der Ban­ken­land­schaft und ver­folgt in­ten­siv Ver­öf­fent­li­chun­gen und Dis­kus­sio­nen rund um das The­ma Di­gi­ta­li­sie­rung in der ge­sam­ten Fi­nanz­bran­che.

Die eine Seite beschwört vor allem die Vorteile der Bargeldzahlung als da z. B. wären vertraut, schnell, anonym etc., die andere Seite stellt ihre Argumente wie z. B. Reduzierung der Kosten des Bargeld-Handlings, die Bequemlichkeit oder auch die höhere Sicherheit für den Verbraucher dagegen. Und natürlich gab und gibt es auch immer wieder technische und kaufmännische Argumente, warum manche Lösungen nicht oder noch nicht funktionieren konnten.

Die Sicht des Verbrauchers, der sich ja am Point of Sale – und mittlerweile natürlich auch vermehrt im Internet – zwischen den einzelnen Bezahlalternativen zu entscheiden hatte und hat, spielte oft nur am Rande eine Rolle. Im Grundsatz wurde ihm aber eher die Liebe zum Bargeld unterstellt, von dem er sich niemals oder nicht so schnell trennen wolle.

Auch der Händler sei eher pro Bargeld eingestellt, da eine Beteiligung an den Hardwareinstallationskosten z. B. für POS-Terminals oder an den Autorisierungs- und Transaktionsgebühren seine eh schon engen Margen weiter schmälerte. Diese Argumentation vor allem aus den Anfangszeiten der alternativen Bezahlformen am Point of Sale findet sich in jüngster Zeit allerdings nur noch selten. Zu offenkundig sind inzwischen wohl die Vorteile des bargeldlosen Bezahlens vor allem im Einzelhandel.

Eine neue Dimension der gesamten Thematik wurde erreicht, als das inzwischen allseits beliebte und verbreitete Smartphone die Funktion der Plastikkarte für den Bezahlvorgang ersetzen bzw. ergänzen konnte – besonders auch dadurch, dass ja die gesamte Abwicklung und Autorisierung im Rahmen des technologischen Fortschritts – inzwischen sogar kontaktlos und zusätzlich über Smartwatches darstellbar – enorm beschleunigt werden konnte.

Und jetzt las ich am 7. Mai 2019 folgende Zeilen in der Zeit Online:

Einer Studie zufolge wurden 2018 Produkte im Wert von 209 Milliarden Euro mit der Karte gekauft. Damit war die Zahlungsart erstmals wichtiger als das Bargeld.

Die Verbraucher in Deutschland haben ihre Einkäufe 2018 erstmals häufiger mit Giro- und Kreditkarten als mit Bargeld bezahlt. Das geht aus einer Erhebung des Handelsforschungsinstitut EHI hervor.

Insgesamt zahlten die Kundinnen und Kunden demnach im stationären Einzelhandel rund 209 Milliarden Euro per Karte. Das sind 12,4 Millia@rden Euro mehr als im Vorjahr. Dadurch stieg der Umsatzanteil dieser Zahlungsart auf 48,6 Prozent. Mit Bargeld wurden Einkäufe im Wert von etwa 208 Milliarden Euro bezahlt, was einem Umsatzanteil von 48,3 entspricht. Die übrigen 3,1 Prozent verteilten sich den Angaben zufolge auf Rechnungen, Finanzkäufe und Gutscheine.”

7. Mai 2019, 8:17 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, akm

Ist mit der oben zitierten Meldung  aus der ZEIT ONLINE jetzt auch für Deutschland der Wendepunkt erreicht.

Ich meine ja und es ist auch Zeit, und zwar vor allem Zeit, den Kunden selbst entscheiden zu lassen, wie und womit er zahlt. Keine Bezahlmethode  wird kurzfristig komplett verschwinden. Aber es ist allein unter Marketing- und Kundenbindungsaspekten längst überfällig, dem Verbraucher die Freiheit zu geben, diese Frage für sich und nach seinen ganz individuellen und punktuell sogar variierenden Interessen zu beantworten.

Kein Finanzdienstleister darf meines Erachtens heute noch den Fehler machen, seine Klientel zu bevormunden. Der Wettbewerber ist bekanntermaßen „nur einen Klick entfernt“.”

Und wenn man als klassisches Finanzinstitut all denen, die als sogenannte non-, nearbanks oder FinTechs agieren, dauerhaft erfolgreich Paroli bieten will, dann sollte man alles daransetzen, den Kunden in den Mittelpunkt aller diesbezüglichen Strategien stellen und das eigene Produktportfolio rund um die Bezahlsysteme auf dem neuesten und vom Kunden geforderten Stand zu halten. Und dazu zählen nach meiner Überzeugung schnellere Umsetzungszyklen und damit einhergehend entsprechend zeitnahe technische, vertriebliche und vertragliche Lösungen – wohlwissend, dass unter Umständen Globalplayer und andere omnipotente Marktteilnehmer einbezogen werden müssen und man sich in schwierige Vertragsverhandlungen begeben muss, bei denen man sich „oft über den Tisch gezogen“ fühlen könnte.

Dabei muss man im Auge behalten, wieviele Kunden abwandern oder gar nicht erst gewonnen werden können, weil man eine am Markt bereits erfolgreich im Einsatz befindliche Lösung gar nicht oder erst mit einem Zeitverzug von ein oder sogar zwei Jahren in die eigene Produktpalette mitaufnehmen kann. Diese Gefahr ist zweifelsohne vorhanden und sollte nicht unterschätzt werden.

Die Welt aus der Sicht des Kunden sehen, müsste vor diesem Hintergrund mehr und mehr zum Leitmotiv der klassischen Unternehmen der Finanzindustrie werden.”

Und wer noch Zweifel hat, dass das Bezahlen mit dem Smartphone, der Watch oder der Karte heute in vielen Belangen dem Bargeld überlegen ist, der sollte sich mal häufiger z.B. beim Bäcker oder Supermarkt in die Schlange stellen. Nichts ist nerviger und zeitraubender, als wenn ein Kunde mit dem Satz „Ich hab´s passend“ langwierig versucht, den Betrag von z.B. 14,83 € aus seinem Portemonnaie hervorzuzaubern und dann am Ende möglicherweise doch verzweifelt auf die Karte zurückgreift.

Nach meiner persönlichen Einschätzung gehört den alternativen Bezahlsystemen wie Karte, Smartphone und anderen Devices klar die Zukunft.”

Die Finanzdienstleister sollten auch im eigenen Interesse ihren Kunden – und zwar sowohl den Verbrauchern als auch den Händlern – zeitnah adäquate und innovative Lösungen zur Verfügung stellen und vor allem deren Vorteile gegenüber dem Bargeldeinsatz eindeutiger herausstellen.

Eine Betrachtung und Analyse der diesbezüglichen Entwicklungen und Aktivitäten bei unseren Nachbarn in Skandinavien könnte dabei helfen.Anno Lederer

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