Aus der Praxis gelernt: Finanz-Tech-Ideen können auch zu früh kommen, Kooperationen müssen passen
Neue Ideen im Finanzbereich können gut sein, aber trotzdem grandios scheitern. Ein Problem mit dem derzeit vor allem FinTechs und Banken mit innovativen Ideen zu kämpfen haben. Professor Dr. Penzel von ibi Research weiß, warum das so ist – aus eigener Erfahrung! Ein anschauliches Lehrstück über Innovation und Weisheit.
von Professor Hans-Gert Penzel, ibi Research
Zu Ende der ersten E-Business-Welle im Jahr 2002 trug ich den Startup memIQ zu Grabe. Ich war dort Aufsichtsrat und tat dies im Namen der Mutter HypoVereinsbank.memIQ basierte auf der tollen Idee eines elektronischen Tresors im Netz, war technisch gut umgesetzt, verschlang aber in der Kundenakquise immer mehr Geld und erreichte letztlich die Akzeptanz des Massenmarktes nicht.
Das Vorhaben scheiterte, obwohl es technisch wirklich gut realisiert war.”
memIQ kann man als hochsichere Dropbox mit attraktiven Zusatzfunktionen beschreiben. Im Kern stand die Speicherung von Dokumenten mit „Security made in Germany“, nämlich im Münchner Rechenzentren der Hypovereinsbank. Darüber hinaus bot die Lösung eine Vielzahl intelligenter Umfeld-Services. Die Nutzer konnten die automatische Belieferung mit Dokumenten bei ihren Geschäftspartnern abonnieren: bei ihrer Bank, ihren Versicherungen, dem Energieversorger, dem Zeitungsanbieter, der Tankstelle, der Autofirma (für Inspektionsrechnungen) und vielen anderen. Für all diese Informationen bot memIQ eine automatische Zuordnung zu Kategorien und phantastische Auswertemöglichkeiten. Personal Finance Management lässt grüßen, bereits im Jahr 2002.
Doch wie erwähnt: Das Vorhaben scheiterte, obwohl es technisch wirklich gut realisiert war. Und damit generierte es den größten Abschreibungsbetrag, für den ich je die Mitverantwortung trug. Zu wenige Kunden hatten das nötige Vertrauen in die Lösung, obwohl sie bei der HypoVereinsbank lief. Zu wenige Dokument-Lieferanten konnten gewonnen werden, obwohl die Ersparnis von Druck- und Portokosten beachtlich gewesen wäre.
Das gegenseitige Hochschaukeln von Nachfrage und Angebot – der Innovationsexperte spricht vom Erreichen des doppelten Tipping Point – gelang nicht.”
Zwei Lehren ziehe ich noch immer aus dieser Erfahrung: Erstens können Ideen rund um die Finanzdienstleistung auch zu früh kommen. Und zweitens müssen die Kooperationspartner perfekt zueinander passen. Beide haben nach wie vor Gültigkeit.
Erste Lernerfahrung: Man kann mit Ideen auch zu früh am Markt sein.
Einzelne Kunden, die Early Adopters, hatten den Wert der Lösung schnell erkannt und sprangen fasziniert darauf. Aber zwei oder drei Prozent der Kunden reichen am Ende nicht aus. Und für die Mehrzahl der Kunden kam hier zu viel Neues zusammen. Man war noch nicht gewöhnt an tägliche Prozesse im Netz, schon gar nicht an das Einstellen kritischer Dokumente, hatte nicht die Erfahrung und das Vertrauen, fürchtete selbst im sicheren Hort der Bank das Verschwinden von Unterlagen.
Das hat mich vorsichtiger gemacht, wenn es um Geschäftsmodelle rund um wirklich sensible Informationen im Netz geht, also insbesondere um Finanzdaten oder Gesundheitsdaten. Ganz aktuell bereitet dies vielen FinTechs Probleme, die sie zunächst nicht erwartet hatten.
Trotz aller Gewöhnung der Kunden an digitale Finanzlösungen ist es nach wie vor eine Herausforderung, als ‘no name’ Vertrauen aufzubauen.”
So ist es kein Wunder, dass sich FinTechs als eigenständige Anbieter so schwer tun. Stattdessen sehen wir einen klaren Trend zu Kooperationen mit etablierten Banken, bei denen der Bankname in den Vordergrund rückt. Das gilt gleichermaßen für Mobile Payments, für Robo Advice – und zunehmend sogar für Kredite. Die großen, etablierten Akteure haben mit ihrem bekannten Markennamen nach wie vor einen Riesenvorteil. Eines allerdings schaffen die FinTechs, auch wenn sie nur zwei oder drei Prozent Marktanteil gewinnen: Sie drücken die Preise und damit die Ertragsmargen am Markt nachhaltig, und zwar für alle!
Zweite Lernerfahrung: Die Kooperationspartner müssen perfekt zueinander passen
Bei memIQ gab es drei Anteilseigner: die HypoVereinsbank, den Telekommunikationsanbieter Mannesmann mit dem D2-Netz und den Dokumentenspezialisten IXOS. Zwischen HVB und Mannesmann zeigten sich von Anfang an typische Unterschiede in den Interessenlagen, die bald zu Spannungen führten: Telekommunikationsanbieter (kurz „Telcos“) stehen für Vorpreschen und Innovation, Banken für Bewahren und Sicherheit.
Über einen Telco ärgern wir uns wegen falsch berechneter Gebühren oder der Probleme bei Vertragsanpassung oder Vertragswechsel, über eine Bank wegen ihrer Unwilligkeit zur Innovation.”
Mannesmann hatte das klare Ziel jedes Telcos, aggressiv neue Kunden zu gewinnen und die „air time“, also die Präsenz der Kunden in ihrem Netz und auf ihren Portalen zu maximieren. Notfalls würde man das auch subventionieren. Die HVB dagegen hatte einen konservativen Antritt mit einem Produkt, bei dem der Schutz durch die sichere Bank im Vordergrund stand, bei dem es nicht primär um neue Kunden und schon gar nicht um permanente Kundenpräsenz ging. Wichtig war dagegen die eigenständige Profitabilität des neuen Angebots. Konflikte bei Produkt-
features, Positionierung und Preissetzung waren deshalb vorprogrammiert.
Konsequenzen für den elektronischen Tresor
Nach den geschilderten beiden Lernerfahrungen bleibt die Frage zu beantworten, wie es heute um den elektronischen Tresor steht. Inzwischen hat die Mehrzahl der Kunden die Speicherung in der Cloud akzeptiert – oft mit schlechtem Gewissen, weil man sich des Datenhungers und potenzieller Unsicherheiten „normaler“ Anbieter bewusst ist.
Die Zeit ist reif für die Banken, hier wieder einzusteigen, wobei es nicht einmal mehr einen Kooperationspartner braucht. Denn Banken stehen für Sicherheit und Vertrauen.”
Die Ausdehnung des Geschäftsmodells in diese Richtung ist nur logisch. Tatsächlich scheint die Postbank im Prozess der Einführung zu stehen – bis hin zur elektronischen Gesundheitsakte. Und viele weitere Services kann man sich gut vorstellen, so zum Beispiel die Unterstützung der Kunden beim Produktivitätsbringer „Elektronische Rechnungsabwicklung“. Dies kann bis zur systematischen Anreicherung von Zahlungsinformationen im Firmenkundengeschäft reichen, wie der FinTech Traxpay sie anbietet. Jetzt also scheint die Zeit aus Kundensicht reif, und als Kooperationspartner für sichere Speicherung stehen bei Bedarf Spezialisten wie z.B. die Brainloop bereit.
Man muss solche Lösungen nur wollen, dann kann man sie auch realisieren.”Professor Dr. Penzel
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