Augmented Reality/Mixed Reality in der Finanzbranche – Mehr als nur ein Hype?
Die private Altersvorsorge mit dem virtuellen Berater bei Ihnen am Küchentisch abschließen oder die neue potenzielle Wohnung bei der Besichtigung in Sekundenschnelle nach Belieben einrichten und dabei gleich den Kreditvertrag abschließen? So könnte die Zukunft im Banking mit erweiterter Realität aussehen. Dies sind nur zwei Beispiele für Einsatzfelder von Augmented und Mixed Reality – Formen der ‘Erweiterten Realität’. Wo liegt das Potenzial dieser neuen Technologie wirklich und kann ich sie schon heute einsetzen, um den steigenden Kundenanforderungen gerecht zu werden und eine wettbewerbsdifferenzierende Kundenerfahrung zu kreieren?
von Wolfgang Becher, Daniel Weißer, Tim-Patrick Dorsch, zeb
Bei Augmented Reality (AR) handelt es sich um eine computerunterstützende Darstellung, welche die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitert. Am geläufigsten ist dabei die Nutzung von mobilen Geräten, die zusätzliche Informationen, Objekte, Videos oder Grafiken in der realen Welt einblenden. Dabei können eine Umgebungs-, Standort- oder Objekterkennung erfolgen und dementsprechend standort- und objektbezogene Informationen eingeblendet werden. Die Interaktion und Steuerung findet dabei mittels mobiler Geräte, Gestik, Mimik und Bewegung statt. Generell kann man zwischen AR und Mixed Realtiy (MR) unterscheiden, beide sind eine Form der Erweiterten Realität, wobei MR mehr Aspekte der Virtual Realtiy (VR) integriert.Einsatzbereiche von Starbucks, IKEA bis zur Deutschen Bahn
In welchen Bereichen und für welche Anwendungsfälle kann AR und MR heute schon eingesetzt werden? Auch wenn der aktuelle Markt um AR bzw. MR mit weltweit wenigen Milliarden Euro noch vergleichsweise gering ist, gibt es einige innovative Unternehmen, die AR/MR bereits erfolgreich einsetzen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die weltgrößte Starbucks Niederlassung in Shanghai, in der das Café mit dem Internet-Riesen Alibaba zusammenarbeitet und ein digitales Café entwickelt hat. Kunden können ihre Smartphones auf die Einrichtung (Röstfässer, Kaffeemaschinen etc.) richten und zusätzliche Informationen einblenden. Das Unternehmen L’Oreal bietet die App „Style my hair“ an, mit der sich die Nutzer virtuell umstylen und so die L’Oreal Produkte „ausprobieren“ können. Eine ähnliche Smartphone-App bietet der Möbelgigant IKEA. Hier kann der Nutzer mit dem Smartphone einen Raum scannen und diesen virtuell einrichten. Dabei erkennt die App, wo die Möbel im Raum platziert wurden, sodass diese räumlich fixiert werden können, selbst wenn sich der Nutzer mit dem Smartphone durch den Raum bewegt.
Aber nicht nur im Handel und in der Gastronomie wird die Technologie bereits verwendet, auch in der Industrie gibt es bereits zahlreiche Pilotprojekte. Bei der Deutschen Bahn können sich Servicetechniker die Handbücher und Wartungsinformationen mithilfe von MR direkt am Wartungsobjekt anzeigen lassen. Die DB verfolgt damit den Zweck, die Effizienz zu erhöhen und gleichzeitig die Fehlerrate zu verringern. BMW nutzt diese Technologie ebenfalls für Wartungsaufgaben, wobei hierbei menschliche Experten live zugeschaltet werden können und so aus der Ferne bei Wartungsaufgaben direkt unterstützen können. DHL nutzt AR im Bereich der Warendistribution und konnte damit ebenfalls die Effizienz verbessern.
Augmented und Mixed Reality in der Finanzbranche
Eröffnet AR/MR in der Finanzbranche mehrwertstiftende Einsatzmöglichkeiten, welche sich z.B. positiv auf das Image, die Kundenzufriedenheit, Prozesse, Services und somit auf Kosten und Umsatz auswirken.
Bis jetzt haben Finanzdienstleister erste kleine Schritte bei der Umsetzung von AR-Lösungen gewagt. Der Fokus liegt dabei häufig auf Anwendungen für das Smartphone und Tablet.”
Dies umfasst unter anderem die folgenden Anwendungsbereiche:
1. Anwendungen zum Lokalisieren der nächstgelegenen Bankfiliale oder Bankautomat. Diese Anwendungen werten GPS-Daten der Nutzer aus und durch Kameraaufnahmen und das Display des Gerätes werden zusätzliche Informationen (Entfernung, Richtungspfeile, Eigenschaften der Filiale) angezeigt und der Nutzer wird zum Ziel navigiert. 2. Im Immobilien-Bereich haben mehrere Finanzdienstleister bereits AR-Apps eingeführt, die durch den Zugriff auf GPS-Daten und die entsprechende Datenbank für Immobilienverkäufe detaillierte Informationen zu den jüngsten Verkäufen, Ausrüstungen und dem Marktpreis des Hauses und der Umgebung anzeigen können. 3. Zudem gibt es Anwendungen, die sich mit dem Thema Kontoführung und Zahlungsverkehr auseinandersetzen. Beispielsweise können Kunden mit einer AR-App ihre Bankkarten oder Kreditkarten scannen und auf ihrem Smartphone auf detaillierte Kontoinformation zugreifen. Der Nutzer kann mit einer interaktiven 3D-AR-Schnittstelle Transaktionen durchführen und Zahlungen planen.Dabei offenbart keine der genannten aktuell genutzten Anwendungsbereiche ein bahnbrechendes Potenzial. Es ist eher sogar die Frage zu stellen, warum man überhaupt solche Anwendungen braucht, wenn häufig bereits leichter verständliche und bedienbare Lösungen am Markt existieren. Ein Blick über den Tellerrand hin zu anderen Branchen offenbart aber neue Nutzungspotenziale, die echte Mehrwerte und neue Erfahrungen für Bank und/oder Kunden bringen können.
Beispielweise im Immobilienfinanzierungsbereich kann AR bzw. MR ähnlich wie in der IKEA AR-App dazu eingesetzt werden, ein Haus/Wohnung virtuell zu planen bzw. einzurichten. Ein entsprechendes Objekt kann dem Kunden attraktiver präsentiert werden, wovon sowohl Makler als auch Immobilienfinanzierer, insbesondere in Kombination mit der direkten Vermittlung attraktiver Finanzierungsangebote, profitieren können.
Zudem können ebenfalls ganze Objekte virtualisiert werden und somit vor einer Besichtigung bereits einen ersten Eindruck der Immobilie vermitteln. Auch Beratungsgespräche können mit AR/MR revolutioniert werden.”
Ein virtuell zugeschalteter Berater kann (Vertrags-) Dokumente mit einem Kunden zusammen durchgehen und bearbeiten. Mixed-Reality-Brillen können auch bei Back-Office-Arbeitsplätzen eingesetzt werden, indem weitere virtuelle Monitore eingeblendet werden, wodurch die Bildfläche erheblich erweitert und gleichzeitig flexibel angepasst werden kann.
Dabei liegt der echte Mehrwert der Technologie darin, neue Erlebnisse zu vermitteln, die die Erfahrung für Kunden und Mitarbeiter einer Bank positiv beeinflussen können und Kaufwahrscheinlichkeiten oder Produktivität erhöhen. Unternehmen aus allen Branchen arbeiten hart dafür, die Zufriedenheit ihrer Kunden zu steigern und ein einzigartiges Kundenerlebnis zu vermitteln. Viele Finanzinstitute sind dabei besorgt, dass sie nicht das Serviceniveau erbringen können, das ihre Kunden erwarten. Daher kann AR/MR ein Faktor sein, um diese Erwartungen der Kunden zu erfüllen und kann sowohl eine absatzsteigende als auch kostensenkende Wirkung haben.
VR/AR-Experimente im Eigenversuch und mit 50 Kollegen
Jedoch ist zu beachten, dass die Technologie derzeit noch in den Kinderschuhen steckt. Beispielsweise haben Smartphones meist einen kleinen Bildschirm und müssen zudem in der Hand gehalten werden, was diese Lösung für einen effizienten Betrieb unpraktisch macht.
Aktuelle Mixed-Reality-Brillen sind noch teuer (MS Hololens ab 3.500 €; Magic Leap One ab 2.000 €), oft schwer und unkomfortabel und besitzen ebenfalls meist ein sehr eingeschränktes Sichtfeld. Zudem ist aktuell die Steuerung mit den Mixed-Reality-Brillen oft sehr hakelig und wenig intuitiv.”
Diese Eigenschaften wurden während zeb-Experimenten mit rund 50 Kollegen und Experten aus der Finanzindustrie häufig bemängelt. Allerdings offenbarten diese zeb-Experimente auch großes Potenzial. So wurde grundsätzlich das Erlebnis mit den Mixed-Reality-Brillen und AR-Anwendungen für das Smartphone als durchaus positiv bewertet und auch über die Showcases rund um die Immobilienbegehung, Remote Assistent und Kontoverwaltung wurde angeregt positiv diskutiert. Allgemein versprechen Lösungen rund um Mixed-Reality-Brillen ein größeres Potenzial, tiefgreifende und mehrwertgenerierende Use Cases zu realisieren, als AR-Anwendungen für das Smartphone.
Fazit – Aufstrebende Technik zur Steigerung der Haptik im Kundengeschäft für innovative First Mover
Augmented Reality/Mixed Reality ist nicht mehr Science Fiction. Mit einer prognostizierten Marktgröße von weltweit 198 Milliarden U.S. Dollar im Jahr 2025 wird die Technologie in naher Zukunft in Sektoren wie Gaming, Entertainment, Marketing und Gesundheitswesen zu einem relevanten Faktor werden.
Man befindet sich aktuell erst am Anfang der Entwicklung und das zukünftige Potenzial der Technologie ist bereits jetzt sehr vielversprechend. Wie bei jeder Innovation sind Vorteile und Herausforderungen bei der Umsetzung von AR/MR-Lösungen involviert. Bei Investitionen in Anwendungen ist zu beachten, diese in einem sicheren Umfeld zu etablieren, in dem sie mit neuen Funktionalitäten und neuen Formen der Interaktion eine neue Erfahrung für Nutzer entwickeln können, ohne große Brüche in der Struktur der eigentlichen Transaktion entstehen zu lassen. Diese Erfahrungen können mitunter eine Grundlage für eine Erhöhung der Kundenbindung und repetitive Interaktionen mit dem Kunden sein. Die Technologie bietet mit weiterer Reife bereits mittelfristig die Möglichkeit, die physische und die digitale Welt zusammenzubringen und damit auch einen tieferen Einblick und Zugang zu seinen Kunden zu erhalten.
Im Finanzsektor werden AR/MR ebenfalls in Zukunft einen Mehrwert liefern. Selbst wenn aktuelle Anwendungsfälle in der Finanzbranche weitestgehend noch nicht ausgereift sind, stellt AR/MR für die „körperlose“ Produktwelt des Finanzsektors eine Chance zur unmittelbaren Emotionalisierung ihres Dienstleistungsangebotes dar.”
AR und MR bieten die Möglichkeit, den steigenden Kundenerwartungen nach neuen und erlebnisreichen Formen der Interaktion gerecht zu werden und werden daher in naher Zukunft die „Nerd-Ecke“ verlassen.Becher/Weißer/Dorsch, zeb
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/94065
Schreiben Sie einen Kommentar