ARUG II + IT: Regulierung als Chance nutzen – Kommunikation digitalisieren
Der Aktienhandel ist seit Jahren digitalisiert, nicht jedoch die Kommunikation mit den Aktionären bzw. Stimmrechtsinhabern. Ein Großteil der Pflicht-Informationen wird immer noch auf Papier weitergegeben oder manuell zusammengestellt. Auf Drängen der EU muss sich das ändern. Banken sollten die Regulierung aber nicht als Kostentreiber sehen, sondern die Chance wahrnehmen, ihre Backoffice-Prozesse zu verschlanken.
von Timo Schrobsdorff und Felix von Oppenkowski, Cofinpro
Mit der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie (SRD II – Shareholder Rights Directive II) hat die EU das neue Rahmenwerk für die Compliance im Corporate-Governance-Bereich festgelegt. Ziel ist es, die Kommunikation zwischen den börsennotierten Gesellschaften und den Aktionären zu verbessern. Zudem soll das Mitspracherecht der Anteilseigner gestärkt werden.Damit reagiert der Regulierer auf die Lehren aus der Finanzkrise 2008. In Deutschland wird die Umsetzung in nationales Recht über ARUG II geregelt, dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie. Diese sollte bereits im Juni 2019 verabschiedet werden, was bisher jedoch nicht erfolgt ist. Eine erneute Abstimmung kann frühestens im September 2019 im Bundestag stattfinden.
Im Kern gibt es wesentliche Änderungen zu folgenden vier Punkten:
1. Identifizierung der Aktionäre und Weitergabe von Informationen an diese Gruppe (Know Your Shareholder)2. Offenlegung von Geschäften mit nahestehenden Personen (Related Party Transactions)
3. Transparenzpflichten von Stimmrechtsvertretern wie institutionellen Anlegern, Vermögensverwaltern und Stimmrechtberatern
4. Mitspracherechte der Aktionäre über die Vergütungsstrategie des Vorstands und Aufsichtsrats (Say on Pay)
Vor allem der erste Punkt stellt viele Institute vor eine große Herausforderung. Aktuell erfordert die Identifikation der von einer Hauptversammlung oder von Kapitalmaßnahmen (Corporate Actions) betroffenen Aktionäre sowie die Weitergabe der Informationen hohe manuelle Aufwände. Die SRD II gilt für alle Aktiengesellschaften im EU-Raum, was die Situation für die Institute durch das gestiegene Mengengerüst zusätzlich verschärft.
Insbesondere bei länderübergreifenden Aktionen kann die Verwahrkette von der Gesellschaft bis zum Aktionär lang und komplex sein. Derzeit ist beispielsweise für Privatkunden die Teilnahme an einer ausländischen HV schwierig bis unmöglich, da dieser Service nicht von allen Banken angeboten wird.”
Intermediäre sind auskunftspflichtig
In Zukunft soll Gesellschaften die Möglichkeit gegeben werden, die Identität der Aktionäre über die gesamte Verwahrkette zu erfahren. Das bedeutet, dass die Gesellschaften relevante Informationen über die Identität ihrer Aktionäre von Intermediären verlangen können.
Gleichzeitig haben die Intermediäre die Pflicht, relevante Informationen über die Identität des Aktionärs in elektronischer Form an die Gesellschaften zu übermitteln.”
Im Falle einer Unterverwahrung muss der erste Intermediär in der Kette Anfragen unverzüglich an den jeweils nächsten weiterleiten – solange, bis der Endintermediär, der die Aktien verwahrt, erreicht wurde.
Die gesamte Kommunikationskette soll zudem komplett digital verlaufen.”
Aktuell gibt es für diesen Punkt der ARUG bereits Ansätze, die Kommunikation zu vereinheitlichen und zu beschleunigen: Der Wertpapier-Stammdatenanbieter „WM Datenservice“, der für viele deutsche Institute die „Golden Source“ bzgl. WP-Informationen ist, entwickelt in Zusammenarbeit mit den Intermediären im Depotgeschäft den sog. „SRD II Hub“. Dieser soll von allen Intermediären und auch Emittenten genutzt werden können, um die Aktionärsstruktur fristgerecht und einheitlich abfragen zu können.
Timo Schrobsdorff ist Manager bei der Cofinpro mit langjähriger Erfahrung im Middle- und Backoffice bei verschiedenen Banken. Bei Cofinpro ist er verantwortlich für den Themenbereich Wertpapierabwicklung.
80 Prozent der Kommunikation läuft noch papierhaft
Problematischer wird es, wenn Kunden – insbesondere Privatkunden – über Kapitalmaßnahmen informiert werden müssen. Der digitale Staffellauf ist mit den aktuellen Back-Office-Strukturen in der deutschen Bankenlandschaft nicht immer möglich. Und selbst dann, wenn alle relevanten Informationen vorliegen, verläuft die Benachrichtigung der Aktionäre zu langsam. Nach Schätzungen der deutschen Kreditwirtschaft laufen immer noch über 80 Prozent der Kommunikation mit Retail-Kunden papierhaft ab. Dies wird mit den SRD II-Vorgaben schon deshalb nicht möglich sein, weil die digitale Kommunikation mit einer taggleichen Informations-Weitergabe (bzw. ab 16.00 Uhr bis zum Folgetag 10.00 Uhr) gekoppelt ist.
Eine digitale Neuausrichtung wird deshalb unumgänglich sein.”
Allerdings bemängelt die Kreditwirtschaft die knapp bemessene Zeit für die Umsetzung zur elektronischen Kommunikation: Ab September 2020 bereits sollen die Fristen bei der digitalen Benachrichtigung eingehalten werden. Der Bundesverband der deutschen Banken fordert in einer Stellungnahme deshalb eine Verlängerung der Umsetzungsfrist von mindestens fünf Jahren. Ein zweiter Kritikpunkt sind die umfangreichen Investitionen im Rahmen einer Implementierung.
HV-Kartenbestellung über das Online-Banking-Portal
In der Begründung für SRD II heißt es, dass die gesamte Kommunikation zwischen Emittenten, Intermediären und Aktionären vollständig digital und möglichst einheitlich erfolgen soll. Dies beinhaltet nicht nur die an Kunden gerichteten Informationen, sondern auch deren Antworten – wie z. B. Weisungen bei Kapitalerhöhungen. Eine umfassende Digitalisierung dieser Prozesse könnte Kunden die Möglichkeit geben, Aktionen wie eine HV-Kartenbestellung, HV-Abstimmung oder Entscheidung bei freiwilligen Kapitalmaßnahmen (z. B. Übernahmeangebot) über ihr Online-Banking-Portal schnell und einfach durchzuführen. Aktuell geschieht dies meist per Post, Fax oder Weisungserteilung in der Filiale.
Rund um das Thema Hauptversammlung bieten (M)DAX-Unternehmen oder auch Drittanbieter bereits Digitalisierungsinitiativen an, die allerdings in Funktionalität und Umfang variieren (z.B. Möglichkeiten zur Weisungserteilung) und an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber aufgeführt werden sollen. Eine „Komplettlösung“ für den Kunden, der ein breites Portfolio an Aktien hält, ist dies nicht, zumal über Kapitalmaßnahmen aktuell nur die Depotbanken informieren und Weisungen entgegennehmen.
Die Informationskette wird digitalisiert
Um die ARUG II-Vorgaben zu erfüllen, müssen Banken eine vollständige Digitalisierung ihrer Informationskette im Wertpapiergeschäft in Angriff nehmen.”
Um die ARUG II-Vorgaben zu erfüllen, müssen Banken eine vollständige Digitalisierung ihrer Informationskette im Wertpapiergeschäft in Angriff nehmen.”
Dies wäre nur der längst überfällige Schritt, nachdem vor knapp 50 Jahren die ersten Ansätze für einen digitalen Börsenhandel gestartet wurden. Seit der Einführung der Globalurkunde 1972 werden an der Frankfurter Börse nämlich keine „effektiven Stücke“ mehr gehandelt. Seitdem wechseln nur noch die Besitzansprüche an der Aktie, die eigentlichen Papiere verbleiben im Tresorraum von Clearstream.
Verkauft ein Anleger seine Aktien, werden nur noch die Besitzansprüche digital geändert.”
Aus unserer Projekterfahrung wissen wir: In der Kommunikation und Informationsweitergabe zwischen Emittenten, Intermediären und Aktionären gibt es positive Entwicklungen. Durch die Vielzahl möglicher Kapitalmaßnahmen, Märkte oder abwicklungstechnischer Besonderheiten ist ein vollumfänglich automatisierter Informations- und Weisungsprozess jedoch extrem komplex.
Auch nach Inkrafttreten von ARUG II wird es aus aktueller Sicht noch viel Abstimmungs- und Anpassungsbedarf geben.”
Aber jeder Schritt ist sowohl für Aktionäre als auch für Intermediäre und die Emittenten ein Schritt in die richtige Richtung.Timo Schrobsdorff und Felix von Oppenkowski, Cofinpro
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