ARUG II Go-live: die Ruhe vor dem Sturm
Am 3. September sind wesentliche Bestandteile der Aktionärsrichtlinie ARUG II für Intermediäre in Kraft getreten. Damit ist ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der Rechte und Mitwirkung von Aktionären in der EU in die Praxis umgesetzt. Doch wie ist es Banken dabei ergangen und wie sieht das Zusammenspiel mit anderen Intermediären aus? Gemeinsam mit sechs Depotbanken haben wir ein ARUG II Release für deren Kernbankensystem entwickelt und zum Go-Live gebracht. Die Erfahrungen aus den ersten Betriebswochen zeigen, dass – auch wenn wir in vielen Teilen Neuland betreten haben – letztlich alle Anforderungen der ersten Stufe umgesetzt werden konnten. Allerdings werden sich die Banken noch für den großen Ansturm rüsten müssen.
von Dieter Heidrich, Die Software Peter Fitzon
Aktionäre identifizieren
Der wichtigste Baustein des ARUG II Release ist die Identifikation der Aktionäre. Denn börsennotierte Gesellschaften bekommen durch die Richtline die Möglichkeit, sich über die Identität ihrer Aktionäre zu informieren. Nun sind Aktionäre börsennotierter Gesellschaften teilweise über eine lange Kette von Intermediären – insbesondere Kreditinstitute und Zentralverwahrer – miteinander verbunden (siehe dazu auch den Artikel „ARUG II: Wie Depotbanken die Kommunikationsflut in den Griff bekommen“).
Das macht die Umsetzung in der Praxis so komplex. Erst wenn die Aktionäre bekannt sind, können sie auch in Entscheidungen über die relevanten Unternehmensereignisse einbezogen werden.”
Das macht die Umsetzung in der Praxis so komplex. Erst wenn die Aktionäre bekannt sind, können sie auch in Entscheidungen über die relevanten Unternehmensereignisse einbezogen werden.”
Entsprechende Prozessschritte wie eine Eingangsschnittstelle für Anfragen, eine Prüfung der Berechtigung, die Ermittlung der Bestände sowie die Rückmeldung an die Gesellschaft mussten im Kernbankensystem der Depotbanken integriert werden. Dabei wurden auch Dienstleister wie der WM-SRD-Hub und der DPAII-Hub des Bundesanzeigers eingebunden.
Drei Herausforderungen beim ARUG II-Release
Nach einer zweimonatigen Testphase sind die sechs Privatbanken mit dem neuen OBS-Release ARUG II an zwei Wochenenden Ende August und Anfang September live gegangen. Der Start des neuen Release verlief bei allen Banken reibungslos. Das war keineswegs selbstverständlich. Denn drei Herausforderungen prägten das ARUG II-Projekt:
1. Taggleiche Weiterleitung von Informationen
Alle Beteiligten sind verpflichtet, Informationen zu Unternehmensereignissen unter strengen zeitlichen Vorgaben – in der Regel am selben Tag – auf elektronischem Weg weiterzuleiten. Dafür kann die Gesellschaft Dienstleister wie etwa den Bundesanzeiger oder WM-Service beauftragen. Diese Intermediäre haben die Informationen grundsätzlich durch die Kette, also vom Zentralverwahrer bis zur Depotbank weiterzuleiten. Diese wiederum muss dem Aktionär, dessen Aktien sie verwahrt, die erhaltenen Informationen übermitteln. Dazu mussten Prozesse in den Banken einschließlich der Anlieferung von Daten seitens der Intermediäre angepasst werden. Jede Information, die bis 10:00 Uhr eintrifft, muss bis 16:00 Uhr weitergegeben werden.
Besonders komplex wurde dies dadurch, dass viel mehr Unternehmensereignisse im Kernbankensystem hinterlegt werden mussten. Die bestehende Lösung sah im Bereich der Unternehmensereignisse eine Aktualisierung pro Tag sowie die entsprechende Kommunikation an den Kunden vor. Hauptversammlungen, bei denen eine Benachrichtigung und eine Stimmrechtsbeantragung umgesetzt war, waren in der bisherigen Lösung nur von deutschen Unternehmen vorgesehen. Ergänzt wurden nun auch Einberufungen von Hauptversammlungen aus anderen in der EU ansässigen Unternehmen, bei denen Aktionäre ihre Rechte ausüben können. Neben der Einberufung der Hauptversammlung, ihrer Aktualisierung und Annullierung wurde auch der Bereich der Kapitalmaßnahmen für eine untertägige – auch mehrmalige – Aktualisierung erweitert und ebenso die daraus untertägig abzuleitenden Informationspflicht an die Aktionäre. Dazu zählen etwa die Gewinnausschüttung, aber auch Umtausch-, Bezugs-, Einziehungs- und Zeichnungsrechte sowie Wahlrechte bei Dividenden. Diese neuen Felder galt es in den Datenbanken zu implementieren, entsprechende Schnittstellen zu den Dienstleistern wie WM Datenservice Frankfurt – in diesem Fall WM SRD II – zu etablieren und passende Datenformate abzustimmen – in diesem Fall EDDY XML.
Dazu haben wir die Verwaltung der Hauptversammlungen neu aufgesetzt. Hier wurde der gesamte Prozess mit den Tagesordnungspunkten aus der Einladung, den Rückläufen der Ausübungen der Kunden zu den einzelnen Tagesordnungspunkten sowie die Weitergabe der gesammelten Rückmeldungen zur Stimmrechtsausübung auf der Hauptversammlung aufgenommen. Solche Prozesse waren bisher in Teilen noch an manuelle Abläufe gekoppelt und konnten nun weiter automatisiert werden.
Zudem ist auch die Offenlegung der Aktionäre von der taggleichen Weiterleitung betroffen. Solch ein Prozess war bisher nur in sehr eingeschränkter Form im Rahmen der Meldung an das Aktionärsregister im Bankensektor implementiert.
2. Neues Datenformat MX-Daten
Die neuen Datenformate haben anders als ihre Vorgänger unbegrenzte Zeichenlängen. Das machte eine Umstellung aller Datenbanken und das Aufbauen neuer Schnittstellen zu den Intermediären erforderlich.”
Die neuen Datenformate haben anders als ihre Vorgänger unbegrenzte Zeichenlängen. Das machte eine Umstellung aller Datenbanken und das Aufbauen neuer Schnittstellen zu den Intermediären erforderlich.”
Im neuen ARUG II-Release sind nun WM Datenservice und SWIFT angebunden. Im Projektverlauf zeigte sich, dass Testdaten der angebundenen Intermediäre erst sehr spät und teilweise noch gar nicht zur Verfügung standen. So mussten wir lange Zeit mit Annahmen arbeiten, die erst kurz vor dem Go-Live getestet werden konnten. Doch dank guter Vorbereitung konnten dann auch die realen Daten reibungslos verarbeitet werden.
Neben der bisherigen Initialisierung des GD107A (Kennzeichnung ARUG Relevanz im WP Stamm) wurden auch XML-Daten mit vereinzelten HD-Feldern bereitgestellt. Auch die Übermittlung von SWIFT-Nachrichten konnte durch den Produktionseinsatz zwischenzeitlich einmalig in der kompletten Prozesskette durchgeführt werden. SWIFT hat ab dem 5. Oktober begonnen, die Aktionärsoffenlegungsanfragen in ARUG-konformen MX-Nachrichten zu übermitteln – dadurch erwarten wir uns auch noch eine deutliche Erhöhung des Automatisierungsgrades. Allerdings wird die vom WM Datenservice zur Verfügung gestellte Datenübertragung WM-EDDY im XML-Format noch nicht flächendeckend genutzt. In der Praxis zeigt sich, dass einige Ereignisse noch im alten MT Format von den Intermediären geliefert werden. Diese werden in den Banken entgegengenommen und dann manuell erfasst. Die Banken müssen nun die Automatisierung der Abfragen unter enormem Zeitdruck realisieren.
Zudem ist die EU-Richtlinie nicht in allen Ländern vollständig umgesetzt. Italien, Rumänien und Spanien etwa werden vorerst die Daten nicht im MX-Format nach ISO20022 liefern, sondern noch im alten MT-Format. Das bedeutet, dass alle dort ansässigen Gesellschaften und Intermediäre ihre Nachrichten ebenfalls in diesem Format weiterleiten.”
In der nächsten Projektstufe, die bereits gestartet ist, werden alle Beteiligten klären müssen, wie sie mit den unterschiedlichen Nachrichtenformaten umgehen und welche Automatisierungen sich anbieten.
3. Corona sorgt für Verzögerungen
Eigentlich sollten bereits im November 2021 die Nachrichtenformate zwischen Korrespondenzbanken und im TARGET2 System (T2/T2S) durch das neue ISO 20022-Format ersetzt werden. So sahen es die Pläne von SWIFT und der EZB vor. Der internationale Standard unterstützt die XML-basierten Formate (MX-Nachrichten), die um einiges flexibler sind als bestehende Nachrichtenformate auf MT-Basis und bietet somit erhebliche Vorteile im Bereich der Prozessverarbeitung. Doch aufgrund der Corona-Pandemie wurden diese Termine um ein Jahr auf den November 2022 verschoben. Das hat auch Auswirkungen auf die weitere ARUG II-Release-Planung. Denn nun müssen bei der Umstellung der Datenbanken auf das neue MX-Datenformat auch die Verzögerungen aus den Zahlungsverkehrs-Projekten mit einbezogen und berücksichtigt werden.
Die Ruhe vor dem Sturm
Autor Autor Dieter Heidrich, Die Software Peter FitzonDieter Heidrich ist seit 2012 Prokurist von Die Software Peter Fitzon (Website) und verantwortet den Bereich Produktmanagement und ist Geschäftsführer der Tochtergesellschaft ‚Die Software FS Financial Services‘. Der gelernte Bankkaufmann und Bankfachwirt startete nach seiner Ausbildung zum Softwareentwickler bei der Commerzbank AG, Frankfurt im Jahr 1988 bei Die Software.
Es hat sich in der ersten Projektphase bewährt, dass wir als Bankensoftware-Hersteller frühzeitig mit unseren Kunden die Anforderungen ermittelt und weitere Intermediäre eingebunden haben. Für den laufenden Betrieb erweist es sich als Glücksfall, dass sich die Anzahl der Anfragen aktuell noch im sehr niedrigen Bereich bewegt. Vor allem dort, wo Informationen im alten Datenformat ankommen, bedeutet dies noch viel Handarbeit.
Das ist aus unserer Sicht jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm. Wir erwarten im ersten Halbjahr 2021 eine massive Steigerung des Datenaufkommens rund um die Hauptversammlungen. Den größten Anteil dabei werden die Anfragen der Emittenten zur Offenlegung der Aktionäre im Vorfeld haben. Deshalb nutzen wir aktuell die Zeit intensiv zur weiteren Automatisierung und zur Umsetzung der nächsten Projektschritte.
Das Datenvolumen wird auch deshalb massiv steigen, weil sich die Zahl der Aktiengesellschaften, mit denen kommuniziert werden muss, in etwa verzehnfacht. Zu den an der Deutschen Börse gelisteten rund 450 Aktiengesellschaften kommen nun rund 4.500 weitere Gesellschaften in der EU hinzu. Das wird einen enormen Anstieg der Datenmenge rund um Offenlegungsanfragen und Unternehmensereignisse in einem kurzen Zeitraum zur Folge haben. Eine besondere Herausforderung wird auch die Abstimmung mit den Aktionären. Hatten sie vorher 30 Tage Zeit, auf Anfragen zu reagieren, werden jetzt auch von Ihnen taggleiche Rückmeldungen erwartet. Das ist im institutionellen Bereich möglich, aber bei Privatkunden kaum machbar. Wir überfordern damit insbesondere die Kunden, die kein Online-Banking nutzen. Hier kommt noch ein großer Kommunikationsaufwand auf die Banken zu.Diester Heidrich, Die Software Peter Fitzon
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