AnaCredit – ist die EZB auf dem Weg zur Superbank mit Röntgenblick?
Über mangelnde Fürsorge der Aufsichtsbehörden können sich Europas Banken seit dem Beginn des Jahrzehnts wahrlich nicht beschweren. Mit AnaCredit zündet die Europäische Zentralbank EZB jetzt die nächste Stufe der Kontrolle. Weiß die EZB bald mehr über den Zustand einer Bank als das Institut selbst?
von Carsten Krah, Business Expert Risk Intelligence Banking bei SAS DACH
Eine Bank ist der Inbegriff des Zahlenmonsters. Das Daten-Dickicht ist stellenweise so undurchdringlich, dass selbst die staatlichen Aufsichtsgremien kaum noch einen Chance auf Durchblick haben, geschweige denn Share- und andere Stakeholder. Schlimmer noch: Auch die Banken selbst verlieren fallweise diesen Durchblick. Das ist, so die Meinung, einer der wesentlichen Gründe für die Krisen und Turbulenzen der Branche in den vergangenen Jahren.Maßgeblich beteiligt daran ist der Voodoo-Faktor. Freundlicher formuliert sind das die Korrekturen und Anpassungen, die notwendig werden, um Berechnungsunschärfen auszugleichen, Ungenauigkeiten zu nivellieren und dort eine Plausibilität herzustellen, wo sie anhand der Rohdaten vorhanden sein müsste, aber nicht ist. Was sich spätestens bei der Bilanzierung offenbart. In der Praxis bedeutet das oft, dass manuell und außerhalb des Data Warehouse in undurchsichtigen Tabellen Berechnungen vorgenommen werden, bei denen das Ergebnis gelegentlich mehr zählt als die korrekte Herleitung.
BCBS 239 als Waffe gegen den Voodoo-Faktor
Der Aufsicht gefällt so etwas natürlich nicht, was sich in BCBS 239 wiederspiegelt. Aber sie hatte bislang (bis auf seltene, drastische Maßnahmen) kaum eine Handhabe, dem Voodoo den Garaus zu machen. Den Banken selbst gefällt das genauso wenig, aber sie sind oft in gewachsenen Datenstrukturen und zahllosen Interdependenzen gefangen, die gezielte Korrekturen nicht ohne weiteres zulassen.
Laut dem zuständigen Beschluss sollen „mikro- und makroprudentielle Analysen auf Basis dieser Daten dazu beitragen, Risiken innerhalb des Finanzsystems frühzeitig zu identifizieren“.
AnaCredit: Bankgeschäft im Detail durchleuchten
Was dahintersteckt, trifft die bereits viel geprüften Banken bis ins Mark. Es bedeutet nämlich nicht weniger, als dass die Aufsicht mittelfristig in der Lage sein wird, die Geschäftstätigkeit der Banken im Detail nachzuvollziehen. Das gilt nicht nur für große Kredite im sechsstelligen Bereich und darüber, sondern auch um kleine Beträge.
Klingt nicht neu – ein umfangreiches Meldewesen gibt es schließlich schon seit langer Zeit, und die geforderten Standardreports werden von den Banken auch zuverlässig geliefert. Hinter AnaCredit stehen allerdings zwei fundamental neue Ansätze der Bankenkontrolle. Erstens werden von den Banken nicht mehr nur Berichte gefordert, die auf aggregierten Daten beruhen, sondern Einzelgeschäftsdaten. Damit ist die Aufsicht in der Lage, die eben genannten Aggregationen selbst durchzuführen oder nachzuvollziehen. Und zweitens stehen neben diesen quantitativen Kontrollen jetzt auch qualitative Aspekte. Die EZB fordert transparente Risikomodelle und deren regelmäßige interne aber auch externe Überprüfung. Sie will nicht nur wissen, ob Methoden und Modelle vorhanden sind – sie will auch wissen, ob diese zeitgemäß funktionieren. Kurz: sie fordert eine schlüssige Governance.
Damit wird die EZB zu einer Art „Superbank“, die bei Bedarf mit den Originaldaten von Banken reproduzieren, wie die Geldhäuser wirtschaften, Stichwort „gläsener Bank“.
Im Umkehrschluss müssen die Banken deshalb exakt wissen, was sie tun, und das auch jederzeit reproduzieren können. Das bedeutet zwangsläufig das Ende des Spreadsheet-Voodos, um die Zahlen etwa für die Bilanzierung gefügig zu machen. Denn genau solche Unschärfen / Inkonsistenzen würden durch Querchecks bei der EZB gnadenlos aufgedeckt. Die Banken sind deshalb gut beraten, besagte Querchecks auch selbst durchzuführen und eine Strategie zu entwickeln, mit den (unvermeidlichen) Ungenauigkeiten in transparenter Weise umzugehen.
The Big Picture
Natürlich geht es der „Superbank“ nicht darum, Bankhäuser zu gängeln und ihnen kleinlich vorzuschreiben, wie sie ihre Geschäfte zu führen hätten. Ihr Ziel ist es, ein ganzheitliches Bild über die Robustheit des Finanzsystems zu gewinnen. Sie hat – wenn AnaCredit erst etabliert ist – den entscheidenden Vorteil, Daten nicht nur von einer, sondern von allen Banken zu erhalten, und das jeweils über das gesamte Kreditportfolio. Damit wird weit mehr möglich sein als die bereits bekannten Stresstests. Was passiert etwa, wenn die Automobilindustrie in Deutschland in die Krise stürzt und Zulieferer in einem Dominoeffekt kollabieren? Solche Szenarien waren bislang nur mit erheblichem Aufwand und individuellen Nachfragen bei jeder Bank denkbar. In Zukunft kann das die EZB selbständig errechnen.
Dass auch die Europäische Zentralbank solche Simulationen nicht mit den üblichen Bordmitteln ausführen kann, versteht sich von selbst. Deshalb hat sich die Bank – neben einem modernen Data Warehouse zur Sammlung der angelieferten Daten – eine hochmoderne analytische Infrastruktur aufgebaut, womit sie aufwendige statistische Betrachtungen unter den verschiedensten Gesichtspunkten und schnell durchführen kann. SAS bietet beispielsweise entsprechende Verfahren, mit denen die Kunden auch automatisieren und industrialisieren können.
Die Geschäftsbanken sind deshalb gut beraten, sich ähnliche analytische Infrastrukturen aufzubauen. Dass die Tage von Excel in der Banksteuerung gezählt sind, ist spätestens seit AnaCredit klar. Dass die interne Daten-Governance einen weit höheren Stellenwert bekommen muss, um die erforderliche Konsistenz und Qualität der Daten herzustellen, ebenfalls. Jenseits dieser Basics brauchen sie aber eine eigene Plattform, um ihr eigenes Geschäft unter den Stabilitätsgesichtspunkten der EZB kontrollieren und steuern zu können. Sie brauchen den Röntgenblick der „Superbank“ vor allem selbst, um den Voodoo endgültig auszumerzen.aj
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