Agilität: “Banken müssen zu Softwareentwicklern werden, um konkurrenzfähig zu bleiben”
Boris Gloger gilt als äußerst progressiver Vordenker im Bereich Management und Organisation – und er ist für Banken sicher nicht der bequemste Sparringspartner. Besonders wenn es um agile Prozesse mit IT-Bezug geht, wird Gloger gerne deutlich. Wir wollten von dem Scrum-Framework-Spezialisten wissen, was Banken aus seiner Sicht besser machen müssen, um mit mehr Agilität zu überzeugen.
Herr Gloger, bei Themen wie Mobile Payment hinken klassische Banken hinterher – warum?
Es fehlt in fast allen Banken an digitalem Know How.
Anstatt endlich selbst zu IT-Organisationen zu werden und entsprechende Recruiting-Maßnahmen zu ergreifen, machen sich Banken abhängig von Dienstleistern.”
Hinzu kommen veraltete IT-Kernbankensysteme, die in der Regel bereits seit Jahrzehnten im Einsatz sind und längst eine Generalüberholung nötig hätten. Das sollte für die Etablierten besorgniserregend sein, der Glaube an hohe Eintrittsbarrieren durch Regularien wiegt viele Banken jedoch in trügerischer Sicherheit. Noch begreifen sie FinTechs und Startups nicht als ernstzunehmende Konkurrenz – das wird sich spätestens in fünf Jahren ändern, wenn ihr Vertrauensvorsprung bei den Kunden aufgebraucht ist.
Nun höre ich häufiger ‘Wir stellen auf Agile um’ – und dann hört man von den Instituten trotzdem lange nichts mehr.
Nicht Scrum oder Kanban sind der Schlüssel zur Digitalisierung, sondern eine offene Infrastruktur.
Agilität funktioniert nicht, wenn ich weiterhin in Silos arbeite.”
In den meisten Organisationen werden einzelne Mitarbeiter zum Scrum-Workshop geschickt und sollen dann projektbasiert agil Produkte liefern. Wenn Banken aber mit der Geschwindigkeit der Finanz-Startups mithalten wollen, müssen sie sich entscheiden, ob sie ganz oder gar nicht auf Agilität umsteigen.
Denn mehr noch als eine Toolbox, ist Scrum ein Mindset: Agile Organisationen sind User-zentriert und genau an dieser Stelle herrscht in vielen Unternehmen Nachholbedarf.”
Die ersten Banken beginnen ihre Kunden dafür zahlen zu lassen, wenn diese ihr eigenes Geld vom Konto abheben wollen. Das ist alles andere als kunden- oder anwenderfreundlich. Hier werden die Versprechen der Marketingabteilungen, der Kunde soll in den Mittelpunkt gestellt werden, als leeres Gerede entlarvt.
Angeblich arbeiten bereits 70 Prozent der Banken agil – wo bleiben die echten digitalen Innovationen, gerade von den etablierten Banken? Bei der Macht dahinter müssten doch dauernd Neuigkeiten kommen.
Sechs dieser sieben Banken sind genauso langsam wie vorher und haben auf alte Prozesse nur ein neues Label geklebt. Agilität in Banken funktioniert meist so: Im oberen Management beschließt man, eine neue Banking App zu entwickeln. Also bildet man ein Scrum-Team inclusive Scrum Master, Product Owner usw. Nach kurzer Zeit liefert das Team ein erstes Konzept – …
… spätestens jetzt verfällt die Organisation in alte Verhaltensmuster: Lange Abstimmungsschleifen und Vorbehalte von oben beenden die Entwicklung schon im Ansatz.”
Wenn man sich dann doch für die Umsetzung entscheidet, ist man auf externe Dienstleister angewiesen, weil Banken keine oder zu wenige Software-Entwickler anstellen. Jetzt ist also die Zeit für Banken, sehr viel Geld in den Aufbau von Technologie-Kompetenz stecken, um im digitalen Raum zu bestehen.
Sie meinen, den IT-Abteilungen der Banken fehlt Kompetenz?
Wer als ITler in einer Bank anfängt, ist mit veralteten Systemen konfrontiert. Diese fit für das digitale Zeitalter zu machen, ist mit aufreibendem bürokratischem Aufwand verbunden und geschieht nicht von heute auf morgen.
Dazu fehlt es in den IT-Abteilungen tatsächlich an Kompetenz – Banken müssen zu Softwareentwicklern werden, um konkurrenzfähig zu bleiben.”
Haben die klassischen Banken denn dann noch einen USP, um sich im digitalen Rennen doch zu behaupten? Ist das nicht das Thema “Vertrauen”?
Ja, die Filialbanken haben immer noch einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber neuen Marktteilnehmern. In der analogen Welt haben die Eltern ein Sparbuch für den Nachwuchs eröffnet und der Berater des Vertrauens hatte einen neuen Kunden auf Lebenszeit. Dieses Vertrauen und ein großer Kundenstamm sind der USP der klassischen Banken – das ist gerade im digitalen Raum viel Wert. Der richtige Umgang mit Daten und eine sichere Technologie sind den Deutschen sehr wichtig. Wenn die Banken also digitale Kompetenz aufbauen, sind sie im digitalen Rennen schnell auf der Überholspur.
Was haben FinTechs und Silicon-Valley-Startups den deutschen Banken voraus? Was könnten Banken von ihnen lernen?
Startups und FinTechs setzen Ideen sehr schnell um, weil sie selbst die Technologie beherrschen und keinen Umweg über Dienstleister gehen müssen. Außerdem leben sie im Gegensatz zu den Etablierten eine produktive Fehlerkultur.
Der Prototyp eines Produkts muss nicht perfekt sein – wichtig ist erst einmal, dass so schnell wie möglich etwas fertiggestellt wird, das getestet werden kann.”
In der klassischen Bank startet erst ein E-Mail-Marathon durch die Unternehmenshierarchie, bevor überhaupt entschieden ist, welcher Schrifttyp in der neuen App verwendet werden soll.
O. K. das war viel Kritik – fallen Ihnen im Gegenzug positive Beispiele für gelungene Digitalisierungsprojekte von Banken ein?
Die Deutsche Bank hat schon um die Jahrtausendwende Mut bewiesen und mit dem Online-Angebot „Deutsche Bank 24“ vieles richtig gemacht. Ein aktuelleres Beispiel ist die Einführung von George in Österreich. Der moderne Online-Auftritt der „Erste Bank“ ermöglicht den nutzerfreundlichen Wertpapierhandel und sogar der Erwerb von Krediten funktioniert mit wenigen Klicks.”
Bei den meisten Initiativen ist es aber nach wie vor so, dass sie gelingen, weil sie nicht im Stammhaus der Banken durchgeführt werden. Sie wurden und werden von Startups durchgeführt. Diese Startups haben die Geschäftsmodelle ihrer Banken aber nicht geändert, sondern „nur“ das User Interface verbessert und die Automatisierung der Bankenwelt auf den Weg gebracht.aj
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