Die girocard ist vermutlich zu spät – Interview mit Hugo Godschalk, PaySys Consultancy
Vor 25 Jahren gründete Hugo Godschalk die PaySys Consultancy und hat sie seitdem von einem „Zwei-Mann-Betrieb” zu einer der führenden Unternehmensberatungen im Kartenmarkt entwickelt. PaySys ist eine Unternehmensberatung im Bereich des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und Card Business. Und: PaySys ist deutscher Partner der “European Payments Consulting Association” (EPCA). IT Finanzmagazin-Autor Rudolf Linsenbarth wollte von Hugo Godschalk wissen, wie er die derzeitigen Veränderungen im deutschen Kartenmarkt und der girocard einschätzt und wie sich der Zahlungsverkehr insgesamt weiter entwickeln wird.
Herr Godschalk, Mobile Payment kommt, erst wenige Banken, dann Google, nun die Volksbanken und Sparkassen und in wenigen Monaten Apple Pay. Wie verändern sich dadurch die Kräfteverhältnisse beim Bezahlen am physischen POS (Point of Sale)?
Die Mobile-Payment-Verfahren, von denen hier die Rede ist, sind systemisch gesehen nichts anderes als Kartenzahlungen.Das heißt, durch den Formfaktorwechsel an sich sind erst mal keine Verschiebungen beim Zahlverhalten zu erwarten.”
Das setzt natürlich voraus, dass die Kunden dort auch dieselben Karten hinein laden können, die sie auch in ihrem Geldbeutel haben.
Diese Annahme ist ja nun nicht ganz zutreffend, zumindest was die girocard betrifft. Während die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen hier Umsetzungswillen zeigen, ist bei den Privatbanken noch nicht klar, ob sie der girocard im Mobile Payment die Präferenz geben wollen. Zudem ist im Augenblick auch nicht erkennbar, dass die girocard Teil der großen Mobile-Payment-Ökosysteme Apple und Google Pay wird. Bei den Kreditkarten von Mastercard und VISA sieht das dagegen anders aus.
Zunächst haben Mastercard und VISA als Pioniere des kontaktlosen und mobilen Bezahlens einen Startvorteil. Hier ist bei der girocard sehr lange gezögert worden, bis man den jetzigen Weg eingeschlagen hat.”
Das gleiche sehen wir auch im Internet. Dort ist die Nutzung von Kreditkarten weit verbreitet. Das führt zu einem geänderten Verbraucherverhalten. PayPal ist auch deshalb so stark, da girocard für Online-Einkäufe nicht einsetzbar ist. Man will das jetzt zwar ändern, aber die girocard ist vermutlich zu spät.
Wäre es also besser gewesen, man hätte die girocard für Online-Zahlungen ertüchtigt, statt mit paydirekt an den Start zu gehen?
Das wäre auf jeden Fall der bessere Weg gewesen. Die Kunden haben bereits über 100 Millionen girocards in der Tasche. Das ist ein Produkt, das ein hohes Verbrauchervertrauen genießt und wäre zudem echtes Omni-Channel.
Die erst vor einigen Jahren gestartete Initiative paydirekt habe ich nie verstanden.”
Lassen Sie mich dazu einmal die folgende Betrachtung anstellen. PayPal hat wahrscheinlich einen Umsatz von ca. 12 Mrd € mit seinen deutschen Kunden. Wir bei PaySys Consultancy schätzen, dass davon ca. 15% bis 20% über eine Kreditkarte abgewickelt wird. Also die Erträge, die Banken mit paydirekt erzielen, dürften kleiner als 1% der Summe sein, die indirekt durch PayPal erlöst werden.
Müsste PayPal bei einer solchen starken Stellung im Markt nicht ebenfalls unter die Regulierung fallen?
Zunächst möchte ich hier ein Missverständnis ausräumen. Die Tatsache, dass zur Funding einer PayPal-Transaktion gegebenenfalls eine Kreditkarte genutzt wird, macht das Verfahren noch nicht zu einem nach der EU Interchange Fee-Verordnung reguliertem 4-Parteien System.
Die Frage, ob PayPal reguliert werden müsste, ist eher wettbewerbsrechtlicher Natur. Da müsste dann geklärt werden, ob PayPal mittlerweile eine marktbeherrschende Stellung einnimmt.”
Die Frage, ob PayPal unter das Surcharge-Verbot fällt, würden Sie dann mit den gleichen Argumenten beantworten? PayPal untersagt seinen Händlern ein solches Handeln ja per AGB.
Richtig, das Surchargen einer PayPal-Transaktion hat gemäß EU Regulatorik keine Relevanz. Was PayPal hier in seinen Geschäftsbedingungen festlegt, betrifft nur das Innenverhältnis und fällt meines Erachtens unter die Vertragsfreiheit.
Für den Ecommerce ist PayPal nach der Umsetzung der Interchange Fee Verordung (IF-VO) allerdings im Vergleich zu Kreditkarten für den Händler ein relativ teures Zahlverfahren geworden, das für den Kunden aus Convience-Sicht aber eine enorme Relevanz hat. PayPal muss daher fürchten, dass der Handel den Kunden auf die für ihn günstigeren Zahlverfahren lenkt.”
Neben paydirekt ist Masterpass von Mastercard ein weiteres sogenanntes Convenience-Zahlverfahren. Wie sehen Sie dafür die Chancen?
Das ist an allererster Stelle ein Problem auf der Akzeptanz-Seite. Wie bei allen Zahlverfahren im zweiseitigen Markt müssen Händler überzeugt werden und Kunden konditioniert werden, dies auch zu nutzen. Bei Masterpass ist der Vorteil gegenüber paydirekt, dass der Kunde mit der Kartenzahlung bereits vertraut ist. Er muss sie nur in einer anderen Art und Weise nutzen.
Bringt Apple hier mit Apple Pay die nötige Traktion?
Zunächst ist die Marktabdeckung von Apple auf jeden Fall ein limitierender Faktor. Aber innerhalb der Konsumentengruppe sind dann die Differenzierungsmerkmale, die den Nutzer dazu bewegen, eine bestimmte Zahlungsmethode zu verwenden, von entscheidender Bedeutung.
Aber genau das ist die Stelle, wo Apple als Systemlieferant entscheidend Punkten kann?
Möglicherweise ist reine Convenience der Hebel. Hier sind vor allem die von der PSD2 geforderte SCA (Strong Customer Authentication) und das dynamic linking zu nennen. Apple und Google haben dann durchaus das Potenzial, die Wettbewerber auszustechen.”
Welchen weiteren Faktoren neben Convenience kommen noch hinzu?
Die nächste entscheidende Frage ist, wer hat die Daten und kann dem Handel wertvolle Informationen liefern. Apple und Google sind hierzu wahrscheinlich in der Lage.
Der Ansatz von paydirekt, dass den Kunden interessiert, wer seine Daten nutzt, wenn das Produkt ansonsten passt, ist jedenfalls bislang offensichtlich kein durchschlagendes Verkaufsargument!”
Der Vorteil für den Händler ist, dass diese Kunden höhere Umsätze machen. Die Karten laufen zwar unter dem gleichen Brand, müssen aber gekennzeichnet sein. So muss auf einer Commercial Card zusätzlich das Kürzel Commercial stehen. Die Karten mit einer unterschiedlichen Bepreisung sind also für den Händler sowohl optisch als auch elektronisch erkennbar, wie auch die regulierten Debit-, Prepaid- und Kreditkarten. Diese Erkennung gilt für alle ab Juli 2016 neu ausgegebenen Karten. Bedingt durch die fehlenden Interchange Fee-Obergrenzen ist die Commercial Card für die herausgebenden Banken ein attraktives Produkt.
In Deutschland haben die Issuer im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten außerdem den Vorteil, dass die Karten nicht zwingend gegen ein Firmenkonto laufen müssen.
Schauen wir also über die deutschen Ländergrenzen hinweg. Neben Deutschland gibt es noch in den folgenden EU Ländern Spanien, Frankreich und Italien nationale Kartenzahlverfahren. Wie sehen Sie deren Zukunft?
Wettbewerbspolitisch wäre es sinnvoll, wenn wir auch zukünftig mehr als nur 2 internationale Karten Schemes hätten.
Im Hinblick auf die Volalität der amerikanischen Außenpolitik gibt es seit Trump zusätzliche Überlegungen zur Sicherung des inländischen Zahlungsverkehrs. Die sogenannten Domestic Schemes sitzen ja nicht auf einem absteigenden Ast. Die Volumina steigen weiterhin.”
Russland hat übrigens aus politischen Gründen vor kurzem wieder ein eigenes Card Scheme (derzeit ca. 37 Mio. Karten) eingeführt.
Was müsste geschehen, damit wir wieder ein europäisches Scheme bekommen? Wie ließe sich so etwas am besten bewerkstelligen?
Die Kooperation zweier Domestic Scheme könnte der erste Schritt sein und eine Initialzündung bewirken. Die bisherigen Initiativen (Monet, EAPS u.a.) konnten bislang nicht erfolgreich umgesetzt werden. Anscheinend gibt es in letzter Zeit bei einigen Schemes wieder erneute Überlegungen, die von der EZB unterstützt werden.
Herr Godschalk, vielen herzlichen Dank für das spannende Gespräch.Rudolf Linsenbarth
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