Adcubum/VFL-Studie: Kollege Roboter und Künstliche Intelligenz – die neue Arbeitswelt der Versicherer
Jeder technische Fortschritt sorgt dafür, dass bestimmte Berufe oder Tätigkeiten hinfällig werden, dafür entstehen an anderer Stelle neue. Doch was im Moment durch die Digitalisierung passiert, unterscheidet sich von früheren industriellen Revolutionen grundlegend: Während es bislang stets um die Mechanisierung und Automation körperlicher Arbeit ging, können nun auch Dinge, die bisher nur im menschlichen Gehirn stattfanden, von Maschinen übernommen werden. Welche radikalen Folgen das für den Arbeitsplatz Versicherung haben wird, erläutert eine neue Studie. Der Softwarehersteller Adcubum und die Versicherungsforen Leipzig haben dafür ausführliche Interviews mit Versicherungsvorständen und Branchenexperten geführt.
von Dr. Holger Rommel, COO Adcubum AG und Vincent Wolff-Marting, Leiter Kompetenzteam Digitalisierung und Innovation, Versicherungsforen Leipzig
Die Auswirkungen steigender Automatisierung auf bestimme Berufsgruppen zeichnen Experten zwar seit Jahren manchmal in dunkleren und manchmal in helleren Farben, doch Konsens ist: Die Versicherungswelt der Zukunft wird mit deutlich weniger Menschen auskommen als die heutige. Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey ist bis zum Jahr 2025 jeder vierte Versicherungsjob in Westeuropa durch Künstliche Intelligenz bedroht.Den größten Anteil an Aufgaben, die bis dahin automatisierbar sind, gibt es demnach im Außendienst mit 60 Prozent, gefolgt vom Underwriting (35 Prozent), der Schadensregulierung (26 Prozent) und dem Aktuariat (15 Prozent).
Vollautomatische Produktentwicklung – ad hoc und datenbasiert
Welche konkreten Veränderungen der Prozesse und Arbeitswelten hinter solchen abstrakten Zahlen stecken, wurde nun im Rahmen der Studie „Assekuranz 4.0 – Versicherungen im digitalen Dreieck“ herausgearbeitet. Noch bilden einfachere, sich wiederholende Tätigkeiten den Schwerpunkt der Rationalisierung. Aber schon heute zeigen erste Chat-Bots, dass auch vermeintlich komplexe Aufgaben wie die Beratung von Computersystemen übernommen werden können. Noch informieren die Bots vor allem über einfache Produkte wie Kfz- oder Reiseversicherungen. Langfristig jedoch werden Robo-Advisor und virtuelle Assistenten zu einem relevanten Absatzkanal auch für komplizierte Produkte wie Lebens- oder Krankenversicherungen.
Diese erledigen dann, was früher eine wesentliche Aufgabe des Vermittlers war: Kontaktanlässe erkennen und für die Ansprache nutzen. Sie beobachten permanent Verhalten und Umgebung ihres Nutzers, analysieren und verknüpfen die gesammelten Daten und geben aktiv Empfehlungen, wenn sich die Risikosituation des Nutzers ändert, oder passen die Deckung gleich automatisch an.
Auch weitere qualifizierte Aufgaben, für die bislang viel Expertenwissen notwendig ist, sind bedroht. In der Produktentwicklung beispielsweise ist es denkbar, dass sie irgendwann vollautomatisch erfolgt: Produkte werden dann ohne menschliches Zutun ad hoc generiert, datenbasiert kalkuliert und mit einem Preis versehen. Für die Kalkulation werden nicht mehr nur Pauschalstatistiken genutzt, sondern auch Verhaltens-, Umwelt- oder Schadensdaten, die miteinander in Beziehung gesetzt werden und somit validere Schlussfolgerungen erlauben.
Fokus menschlicher Arbeit verschiebt sich – sagt die Adcubum/VFL-Studie
„In den operativen Bereichen werden die Mitarbeiterzahlen sinken“, prognostiziert Karl-Heinz Naumann, Vorstand der ottonova Krankenversicherung AG, im Rahmen der Studie. „Ein Teil der frei werdenden Ressourcen kann dazu verwendet werden, die Service-Angebote und das Portfolio zu erweitern und sich auf die Kundenschnittstelle zu fokussieren.“ Künftig verschiebt sich der Schwerpunkt der menschlichen Arbeit bei den Versicherern also auf Spezialaufgaben und komplizierte Fälle, für die sich eine Automatisierung (noch) nicht lohnt. „Für die normalen administrativen Aufgaben, etwa Änderungen der persönlichen Daten, brauchen wir keine Mitarbeiter mehr, der Kunde macht alles selber“, sagt Dr. Claudia Lang, Geschäftsführerin beim Assekuradeur Community Life, die ebenfalls für die Studie interviewt wurde.
Selbstlernende Systeme und smarte Geräte
Auch bei der Bearbeitung von Schadens- und Leistungsfällen kommt es zu einer stärkeren Automatisierung. Die Dunkelverarbeitungsquote wird auch bei komplexen Fällen deutlich steigen. Bilder und Sensordaten sowie die Interaktion mit einem virtuellen Schadensbearbeiter ergänzen und erleichtern die Schadensmeldung und machen umständliche Texteingaben zur Klärung des Sachverhalts überflüssig. Bestimmte Schäden können durch vernetzte Geräte langfristig sogar völlig ohne Eingreifen des Kunden reguliert werden: Smarte Geräte melden diese Schäden dann autonom und veranlassen selbstständig die Regulierung, ohne dass der Kunde noch irgendetwas tun muss („Touchless Claims“).
Analog zum Vertrieb und Schadensmanagement werden alle Kundenserviceprozesse, in denen Kundenanliegen bearbeitet werden, automatisiert ablaufen. Selbstlernende Systeme werden in der Lage sein, Anfragen richtig zu verstehen und konkrete, personalisierte Antworten zu formulieren beziehungsweise Folgeprozesse anzustoßen. Vielfach werden Kunden ihre Anliegen nicht einmal mehr an den Versicherer herantragen müssen, da ihre Wünsche und Anfragen durch prädiktive Analysen quasi aus dem Kundenverhalten abgeleitet werden.
Fluide Organisation statt starrer Abteilungen
Und wo bleibt der Mensch in dieser automatisierten und zunehmend autonomen Welt aus Robotern und Künstlicher Intelligenz? Er arbeitet künftig vor allem in fluiden Organisationsformen. Zeitlich begrenzte Projektarbeit gewinnt dadurch deutlich an Stellenwert. Projektteams bestehen künftig aus Mitarbeitern verschiedenster Abteilungen und Funktionen und enthalten neben der Kernbelegschaft auch externe Mitarbeiter und solche aus Partnerunternehmen.
Aufgabe der Führungskräfte der Zukunft ist es, die Voraussetzungen für die Arbeitswelt 4.0 zu schaffen: Sie implementieren die fluide Struktur, steuern und koordinieren die zahlreichen Projektteams und befähigen die Mitarbeiter für diese neue Art der Arbeit. Besonders der Aufbau einer echten Innovationskultur wird angesichts immer kürzerer Innovationszyklen für Unternehmen immer wichtiger.
Der Mitarbeiter von morgen
Die Arbeitswelt 4.0 stellt dabei ganz neue Anforderungen an Versicherungsmitarbeiter: Sie müssen künftig über ein hohes Maß an Querschnittswissen und IT-Kompetenzen verfügen. Durch den rasanten technologischen Fortschritt sinkt die Halbwertszeit dieser Fähigkeiten jedoch rapide. Deshalb gewinnt die fortwährende Mitarbeiterentwicklung in den Firmen an Bedeutung. Weitere wichtige Mitarbeiter-Skills sind: Veränderungsbereitschaft, Intuition, Kreativität, Selbstorganisation und Projektmanagementfähigkeiten.
Die Anforderungen haben sich bereits heute dramatisch verändert. Künftig werden Rollen wie zum Beispiel Product Owner oder Scrum-Master zu Standardmitarbeiterprofilen gehören“,
Dr. Christoph Samwer, CEO beim Digital-Versicherer Friday
ottonova-Vorstand Naumann wiederum betont im Experteninterview: „Mitarbeiter werden dabei auch in qualifiziertere Bereiche hineingebracht“. In eine ähnliche Richtung geht auch ein Statement von Community-Life-Geschäftsführerin Dr. Claudia Lang. So werden bei Community-Life jetzige Customer-Service-Mitarbeiter künftig andere Aufgaben wie Marktvergleiche und Produktverbesserung bekommen. „Wir haben mehr Entwickler als Customer-Services-Kollegen“, so Lang.
Trotz des insgesamt sinkenden Personalbedarf gibt es aber auch Berufsgruppen, die von den Umwälzungen profitieren. Laut der aktuellen Studie sind neben IT-Spezialisten vor allem Data-Scientists gefragt. Letztere vereinen Wissen aus den Bereichen Mathematik, Informatik und Domänen. Schon heute ist in diesem Bereich ein Fachkräftemangel zu beobachten, dem Versicherer rechtzeitig mit dem Aufbau entsprechender Kompetenzen begegnen müssen.
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Tätigkeits- und Anforderungsprofile in Versicherungsunternehmen künftig deutlich ändern werden. Mittelfristig kann ein Großteil der einfachen Routineaufgaben durch Maschinen ersetzt werden. In einem gewissen Maße wird die Automatisierung aber auch dazu führen, dass freiwerdende Mitarbeiterkapazitäten in anderen, höherqualifizierten Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Indem Aufgaben, Abläufe und Entscheidungen stark durch Technologie gestützt und vorgegeben werden, gleicht sie die Differenz zwischen Anforderungen und Qualifikationsgrad dabei aus.
Dies wird jedoch nur einen vergleichsweise geringen Teil ausmachen, denn nicht alle Mitarbeiter können in dem Umfang in andere Aufgaben übergehen, zumal langfristig mit Weiterentwicklung selbstlernender Systeme auch komplexere Aufgaben von Computern übernommen werden können.
Der Personalbedarf in Versicherungsunternehmen wird damit deutlich sinken, eine Entwicklung, die viele andere Branchen auch treffen wird und nach einer gesamtgesellschaftlichen Lösung verlangt.”
Mehr Details und weitere hochrelevante Erkenntnisse sind in der Studie „Assekuranz 4.0 – Versicherungen im digitalen Dreieck, Wie sich das Geschäftsmodell Versicherung in seinen Produkten, Prozessen und Arbeitswelten verändern wird“ ersichtlich. Die Studie ist auf der Website von Adcubum auf Anfrage gratis erhältlich.aj
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