BFSG: Versicherung für alle? Nicht wirklich! Ausgerechnet die IT behindert Menschen mit Einschränkungen

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von Annemarie von Weihe, Axel Kotulla und Christian Butt, msg
Die EU hat das Thema Barrierefreiheit im Privatkundenbereich vor 6 Jahren in einer Richtline, dem European Accessibility Act (EAA), aufgegriffen und umgesetzt ((EU) 2019/882); mit dem Ziel, eine barrierefreie Nutzung von Produkten und Services für alle Menschen zu schaffen.
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Im Jahre 2021 wurde diese EU-Richtline mit dem sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in deutsches Recht überführt. Ab Juni 2025 sind Verstöße eine Ordnungswidrigkeit.”
Um digitale Angebote ausreichend auf Konformität zu testen, ist ein systematisches Testvorgehen notwendig, was alle relevanten Elemente und Aspekte validiert.
Leitend sind hier die sogenannten „Funktionalen Leistungskriterien“ (BFSGV, §21), die eine Anwendung für die BFSG-Konformität aufweisen muss.”

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Diese Kriterien spiegeln die älteren „Functional Perfomance Statements“ der für öffentliche Informationsangebote („BITV“) maßgeblichen EN 301 549 wider. Diese Norm definiert sogenannte Betriebs- oder Gebrauchsweisen, die IT-Anwendungen ermöglichen müssen, z.B. eine „usage without vision“ (d.h. eine Aktion muss ohne visuelle Wahrnehmung ausführbar sein, eine Information nicht-visuell rezipiert werden können). Analog gibt es Gebrauchsweisen für eingeschränktes Sehen, Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit, Farbfehlsichtigkeit und noch weitere. Diese pauschal formulierten Anforderungen bilden die Grundlage für genaue technische Prüfungen, etwa auf die Verfügbarkeit einer Information auf einem „alternativen Sinneskanal“. Für Webinhalte und -anwendungen dienen die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) der w3.org als testbare Kriterienliste für Konformität in diesem Sinne.
Die aktuelle Lage in der Versicherungsbranche
Drei Jahre nach der Veröffentlichung der implementierenden Verordnung (BFSGV) zum BFSG zeigt sich, dass die Versicherungsbranche noch nicht ausreichend vorbereitet ist und im Hinblick auf die Anforderungen des BFSG schlecht abschneidet.
In einem Quick-Check haben KPMG und msg gemeinsam exemplarisch jeweils die Startseite und eine Antragsstrecke bei 65 Versicherungshäusern genauer betrachtet (Prüfzeitraum Dezember 2024). Hierbei wurden nur zehn der insgesamt 88 relevanten WCAG-Prüfschritte herangezogen, um den Reifegrad in Bezug auf die Umsetzung des BFSGs zu bewerten.
Das Ergebnis war ernüchternd: 95 % der Versicherungen haben die Anforderungen des BFSG noch nicht oder nur teilweise umgesetzt.”

12% der Startseiten waren zumindest insoweit barrierefrei, dass unsere Testpersonen hier navigieren und den Kontext erfassen konnten – bei den Antragsstrecken waren es immerhin 21%, die grundsätzlich eine Navigation zuließen, jedoch war nur eine Strecke 100% barrierefrei.
Welche Prüfkriterien wurden im msg Quick-Check angewandt?
- Grafiken und Alternativtexte: Werden Bilder und grafische Bedienelemente mit passenden Alternativtexten versehen? Dies ist essenziell für seheingeschränkte Nutzer, um Inhalte wahrnehmen zu können.
- Semantische HTML-Struktur: Sind die HTML-Strukturelemente korrekt ausgezeichnet? Dies betrifft Überschriften, Listen und Formularelemente. Dies ist wichtig für die nicht-visuelle Navigation mit Screenreader-Software.
- Textkontrast: Ist der Kontrast zwischen Text und Hintergrund ausreichend für Nutzer mit Sehschwächen (oder für den Einsatz bei schlechten Lichtverhältnissen)?
- Zoomfähigkeit: Lassen sich Texte auf bis zu 200 % vergrößern, ohne dass Inhalte in bestimmten Bedienungskontexten unlesbar werden?
- Tastaturbedienbarkeit: Ist die Webseite vollständig nur mit der Tastatur navigierbar? Enthält sie „Tastaturfallen“, die etwa Mausbedienung obligatorisch macht?
- Aussagekräftige Dokumententitel: Besitzen die Seitentitel klare und sinnvolle Beschreibungen?
- Logische Fokusreihenfolge: Entspricht die Reihenfolge der Elemente bei Tastaturnavigation der visuellen Anordnung?
- Verständliche Linktexte: Sind die Linktexte selbsterklärend oder ergibt sich der Kontext nur aus der „Umgebung“?
- Sichtbarkeit des Fokus: Wird der Eingabefokus bei der Tastaturbenutzung immer klar hervorgehoben?
- Hilfestellung bei Eingabefehlern: Werden detaillierte und hilfreiche Fehlermeldungen angezeigt? Gibt es Eingabe-Unterstützung?

Welche Mängel wurden hauptsächlich gefunden?
- Grafik-Buttons ohne Alternativtext: Nutzer, die auf Screenreader angewiesen sind, können die Funktion von Schaltflächen ohne „vorlesbaren“ Alternativtext nicht erfassen.
- Fehlende Beschriftungen in Formularelementen: Eingabefelder ohne semantische Labels sind für Nutzer von Spracherkennungssoftware unzugänglich.
- Geringer Textkontrast: Nutzer mit Sehbehinderungen können Inhalte nicht ausreichend erkennen.
- Unzureichende Zoomfunktionalität: Nach der Vergrößerung überlappen Texte oder werden abgeschnitten.
Bedeutung von Barrierefreiheit für Versicherer und Konsequenzen bei Nichteinhaltung
Versicherer und andere Anbieter digitaler Dienste sollten dringend alle Barrieren beseitigen, um konform mit dem BFSG zu sein.
Verstöße können bei einer Anzeige oder Meldung ab dem 28. Juni 2025 mit Strafen bis zu 100.000 Euro geahndet werden.”

Neben Strafen, Sanktionen und Reputationsschäden eröffnen sich für die Assekuranz aber auch neue Chancen: Denn Versicherungen, die Inklusion fördern und barrierefreie Dienstleistungen anbieten, stärken ihre Marke und demonstrieren gesellschaftliche Verantwortung. Dies kann das Vertrauen stärken und die Kundenbindung verbessern. Zudem gewinnt man Zugang zu einer Kundengruppe, die bisher keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Versicherungen hatte. Menschen mit Einschränkungen repräsentieren eine bedeutende Bevölkerungsgruppe mit spezifischen Bedürfnissen, die durch barrierefreie Dienstleistungen nun erreicht werden können. In einem hart umkämpften Markt wäre es fahrlässig, etwa 10 % der Bevölkerung als potenzielle Kunden zu ignorieren.
Annemarie von Weihe absolvierte erfolgreich ihr Studium der Geisteswissenschaften an der Universität zu Köln. Ihre berufliche Laufbahn führte sie unter anderem zur Kienbaum Consultants International GmbH, wo sie in verschiedenen Positionen wertvolle Erfahrung im Vertriebsmanagement und in der Prozessoptimierung sammelte.Annemarie von Weihe, Axel Kotulla, Christian Butt, msg
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