Fast 500 Geldautomatensprengungen in 2022
Was das BKA als „physische Angriffe“ bezeichnet, sind in erster Linie Sprengstoffattacken, die Leib und Leben von Anwohnern gefährden. Trotz des Runden Tisches Geldautomatensprengungen, der Ende vergangenen Jahres initiiert wurde, steigen die Fälle weiter an. Doch die Finanzbranche stemmt sich weiter gegen gesetzliche Regelungen.
Die Hoffnungen des Jahres 2021 auf eine Eindämmung der Kriminalität rund um Geldautomaten haben sich nicht erfüllt. Das Lagebild des BKA weist für das vergangene Jahr 496 erfolgreiche Angriffe aus, eine Zunahme um 14 Prozent. In 399 Fällen kam fester Sprengstoff zum Einsatz, weitere 14 Explosionen wurden anderweitig herbeigeführt. Sprengungen nehmen immer mehr zu, allein im Dezember 2022 flogen bundesweit 63 Geldautomaten in die Luft. Der vorübergehende Rückgang des vorvergangenen Jahres sei daher wohl eher den damals herrschenden Corona-Schutzmaßnahmen zuzuschreiben, so der Eindruck des BKA.
Neben festen, flüssigen und gasförmigen Sprengstoffen brachten die Kriminellen auch Winkelschleifer, hydraulischen Spreizer, manuelle Hebelwerkzeuge wie Brecheisen oder Spaltkeile und thermische Schneidgeräte, z. B. autogene Schneidbrenner, zum Einsatz. Dazu kommen noch 174 Versuche, bei denen die Täter scheiterten. Hierbei zählte das BKA 83 beabsichtigte Sprengungen, die nicht ausgelöst wurden.
Allein die erbeuteten Bargeldbestände summieren sich auf knapp 30 Mio. Euro. Neben diesem sogenannten „Beuteschaden“ sind geschätzte Begleitschäden im mittleren zweistelligen Millionenbereich entstanden, hauptsächlich durch Schäden an Gebäuden und Einrichtung der Automatenstandorte. Weitere Details sind dem „Bundeslagebild Angriffe auf Geldautomaten 2022“ zu entnehmen, das auf der Website des BKA zum kostenlosen Download bereitsteht. Darin gehen die Ermittler auch auf technische Angriffe, wie Skimming, Jackpotting und Netzwerkattacken, ein.
Niederlande im Fokus
128 Tatverdächtige konnten im Umfeld der Taten des vergangenen Jahres ermittelt werden. 87 von ihnen waren zur Tatbegehung aus dem Ausland eingereist, davon 75 mit Lebensmittelpunkt Niederlande. Von allen Tatverdächtigen besitzen 65 die niederländische Staatsbürgerschaft.
Schon lange weisen die Ermittlungsbehörden auf ein Regelungsgefälle im Vergleich zu unseren Nachbarn hin. Denn in Frankreich und in den Niederlanden schreibt der Gesetzgeber der Finanzbranche umfangreiche Schutzmaßnahmen vor. Diese erzielen zumindest eine Wirkung: dass die Kriminellen verstärkt in Deutschland zuschlagen, wo es bislang allein den Banken überlassen ist, wie sie dieser Form der Kriminalität entgegentreten.
Dementsprechend sind hauptsächlich die großen Bundesländer entlang der deutsch-niederländischen bzw. -französischen Grenze – insbesondere Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz – am stärksten betroffen. Sie weisen die höchste absolute Zahl an physischen Angriffen als auch die größten Häufigkeitszahlen – Angriffe pro 100.000 Einwohner – auf. Ebenso sind hier weiter steigende Zahlen zu verzeichnen.
Ein wenig aus dem Rahmen fiel 2022 lediglich das Saarland, wo sich die Fälle auf niedrigem Niveau sogar noch von 6 auf 3 halbierten. Doch im laufenden Jahr hat sich das Bild völlig gedreht: Allein im ersten Halbjahr waren bereits sieben Automatensprengungen zu verzeichnen. Laut Handelsblatt war bundesweit die Zahl der erfolgreichen und versuchten Geldautomatensprengungen im ersten Halbjahr 2023 wieder leicht zurückgegangen, von rund 260 auf 240.
Das BKA verweist gleichzeitig darauf, dass die Automatensprenger zunehmend brutaler vorgehen. Sie gefährden rücksichtslos Leib und Leben von Anwohnern, denn teilweise befinden sich die Geldautomaten in Wohnhäusern. Die Justiz wertet hier ausgelöste Explosionen teils als Mordversuch. Darüber hinaus kommt es bei den Angriffen auf Geldautomaten auch zu Bedrohungen, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen.
Vereinbarungen zeigen kaum Wirkung
Im November vergangenen Jahres hatten sich Politik, Behörden und Branchenvertreter zu einem „Runden Tisch Geldautomatensprengungen“ zusammengefunden. In diesem Rahmen wurden neben einem kontinuierlichen Austausch unter anderem freiwillige Präventionsmaßnahmen, wie der Nachtverschluss von Geldautomaten, der Einsatz von Einfärbe- oder Klebesystemen und eine Reduktion des Bargeldhöchstbestands, vereinbart.
In Abstimmung mit der Polizei haben Banken in besonders gefährdeten Bundesländern nach einer Gefahrenanalyse zwischen 70 und 80 Prozent der Automatenstandorte nachts versperrt, so dass die Täter keinen schnellen Zugang finden (IT-Finanzmagazin berichtete). Zum Teil werden gefährdete Automaten auch ersatzlos abgebaut.
Das Einfärben der Scheine ist nur von begrenztem Wert, denn die Ermittlungen zeigen, dass es einen Schwarzmarkt für solches Bargeld gibt – das damit für die Täter eben nicht wertlos ist. Eine weitere Maßnahme, das Verkleben der Scheine, kann in Deutschland derzeit noch nicht umgesetzt werden. Hier steht der Arbeitsschutz dem Umgang mit den entsprechenden Stoffen entgegen. Auch eigens entwickelte Pavillons, die den Geldautomaten mit 15 cm Stahlbeton wie ein Bunker umschließen, setzen sich erst langsam durch (IT-Finanzmagazin berichtete).
Branche wehrt sich
Ende Juni kam es zu einer Folgeveranstaltung, bei der die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen evaluiert und weitere Schritte vereinbart werden sollten. Doch offensichtlich konnte der Streit zwischen Finanzbranche und Politik nicht aufgelöst werden. Eine Sprecherin des Innenministeriums vermeldete „erste Fortschritte“, forderte jedoch „weiterhin sehr substanzielle Anstrengungen der Geldautomatenbetreiber, um diese zu sichern“.
Während Anwohner und Polizeigewerkschaften dazu drängen, wie in den Nachbarländern den Banken Mindestschutzmaßnahmen gesetzlich vorzuschreiben, steht die Finanzbranche einem solchen Schritt skeptisch gegenüber, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. „Auch beim Schutz von Geldautomaten müssen Kosten und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis stehen“, bekräftige etwa Gregor Scheller, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern. Er hatte sich gemeinsam mit Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassenverbands Bayern, bereits im April bei einem gemeinsamen Auftritt gegen gesetzliche Vorgaben verwahrt. Die Banken und Sparkassen hätten selbst das größte Interesse daran, ihre Geldautomaten zu schützen. Eine pauschale gesetzliche Pflicht schieße jedoch weit über das Ziel hinaus, assistierte ihm Reuter.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) legte zum zweiten Runden Tisch ein „Fokuspapier Geldautomatensprengungen“ vor, das erneut die Ablehnung gesetzlicher Maßnahmen bekräftigt. Einheitliche Sicherungsvorgaben für alle Automatenstandorte festzuschreiben, würde dem organisierten Verbrechen standardisierte Sprengattacken ermöglichen und Raubzüge letztendlich sogar erleichtern, argumentiert der DSGV. „Die hohen Investitionen in die neue Technik würden sich nicht auszahlen“, so das Fazit in diesem Punkt. Das dürfte schon bald nochmals intensiv diskutiert werden: Das Bundesinnenministerium kündigte ein drittes Treffen im Rahmen des Runden Tisches Geldautomatensprengungen „in Kürze“ an.
Schutz für Polizei und Anwohner angemahnt
Beim saarländischen GdP-Landesverband sieht man angesichts der erschreckenden Entwicklung an der Saar, aber auch des fortlaufenden Trends in den meisten anderen Bundesländern, die Situation dagegen völlig anders als die Finanzinstitute. Die Zeit für gesetzliche Maßnahmen sei nun gekommen:
Jede Geldautomatensprengung ist eine hochkriminelle Tat, bei der rücksichts- und skrupellose Tätergruppierungen mit Sprengstoff hantieren und neben enormen Sach- und Vermögensschäden auch Lebensgefahren für Anwohner, Passanten sowie meine Kolleginnen und Kollegen der Polizei billigend in Kauf nehmen.“
Andreas Rinnert, Vorsitzender des saarländischen GdP-Landesverbandes
Die gemeinsamen Erklärungen des Runden Tisches vom vergangenen November „seien wohl noch nicht überall angekommen“, konstatiert Rinnert. Er sieht deshalb die Politik in der Pflicht, jetzt dringend gesetzliche Vorgaben zu schaffen, um die Banken zur Umsetzung besserer Schutzvorrichtungen zu bewegen – die sich bei den Nachbarn in Frankreich und den Niederlanden ja offensichtlich bewährten. hj
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