McKinsey: Europäische FinTechs könnten ihren Wert mehr als verdoppeln
Ein enormes Wachstumspotenzial bescheinigt eine McKinsey-Studie dem europäischen FinTech-Markt. Eine Wertsteigerung um den Faktor 2,3 und beinahe dreimal so viele Arbeitsplätze wie heute wären möglich, wenn der Gesamtmarkt näher an die führenden Unternehmen heranrückt. Doch dazu gibt es noch viel zu tun – in der Politik, bei den Regulierern und natürlich in den FinTechs selbst.
Die Ausgangslage ist nicht schlecht: In den sieben größten europäischen Volkswirtschaften befindet sich mindestens ein FinTech unter den fünf wertvollsten Banken. Insgesamt haben junge Finanztechnologieunternehmen in Europa rund 134.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Doch zwischen den Märkten bestehen große Unterschiede. Großbritannien und Schweden liegen bei Gründungsquote und Investitionen vorn, im Mittelfeld folgen beispielsweise Deutschland, Frankreich oder Spanien. Die FinTech-Ökosysteme vieler osteuropäischer Länder liegen nochmals dahinter.Diese Standortbeschreibung entspringt der aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company mit dem Titel „Europe’s fintech opportunity“ (kostenloser Download). Doch der Report blickt auch in die – mögliche – Zukunft der Branche. Und die könnte unter bestimmten Bedingungen noch deutlich rosiger ausfallen. Dann würde sich die Zahl der FinTech-Arbeitsplätze in Europa auf mehr als 360.000 fast verdreifachen, das Investitionsvolumen mit 84 Mrd. Euro mehr als verdoppeln und die kumulierte Bewertung um den Faktor 2,3 wachsen. Dies wäre fast doppelt so hoch wie die Marktkapitalisierung der zehn größten europäischen Banken, die derzeit insgesamt rund 516 Mrd. Euro beträgt.
Finanzbranche profitiert von Startups
FinTechs liefern der Studie zufolge wichtige Impulse für Innovationskraft und Wachstum der Finanzbranche. Die McKinsey-Autoren nennen zum Beispiel das Erschließen neuer Ertragsquelle, die hohe Innovationsgeschwindigkeit und den damit anhaltenden Innovationsdruck auf etablierte Banken. Zudem können FinTechs als Indikatoren dienen, welche Trends und Technologien sich durchsetzen werden. Die aktuelle Wirtschaftslage stellt trotz dieser positiven Einschätzung insgesamt eine enorme Herausforderung dar, so einer der Studienautoren.
Während nahezu alle FinTechs mit dem aktuellen Umfeld zu kämpfen haben, gibt es auch Gewinner, die ihren Marktanteil steigern und von der Konsolidierung profitieren. Wer ausreichend Funding hat und schnell ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen kann, wird langfristig wettbewerbsfähig sein und den Markt verändern.“
Max Flötotto, Senior Partner und Co-Leiter der europäischen Fintech Practice von McKinsey
Zusammenarbeit als entscheidender Faktor
Einen entscheidenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines FinTech-Ökosystems übt die Verfügbarkeit von Wachstumskapital aus. Hier liegt Deutschland beispielsweise hinter Ländern wie den Niederlanden, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich, das den europäischen Markt mit einem Gesamtvolumen von rund 1,3 Mrd. Euro für die Frühphasenfinanzierung (Seed und Serie A) und 8,3 Mrd. Euro (Serie B+) für die Spätphasenfinanzierung im Jahr 2021 anführt.
Eine zentrale Herausforderung sei für viele FinTechs die Skalierung ihrer Geschäftsmodelle. Die McKinsey-Experten empfehlen daher eine programmatische Agenda und kontinuierliches Engagement aller Akteure. Nur so sei der Rückstand zur europäischen Spitze aufzuholen, mit den oben beschriebenen positiven Effekten.
Um die europäischen FinTech-Ökosysteme zu stärken und die Gründungsaktivität sowie das Wachstum der FinTechs über die Ländergrenzen hinweg zu fördern, müssen alle Stakeholder – Investoren, etablierte Banken, Politik, Regulierungsbehörden und die FinTechs selbst – aktiv zusammenarbeiten.“
André Jerenz, Partner bei McKinsey und Co-Autor der Studie
Die Studie von McKinsey (Website) stellt dazu insbesondere folgende sechs Bereiche heraus:
- Die Harmonisierung der Marktstrukturen innerhalb der Europäischen Union: Die Vereinfachung der fragmentierten Regulierung in der EU muss fortgesetzt werden, damit FinTechs ihre Geschäftsmodelle einfacher skalieren, sich stärker auf regional unterschiedliche Kundenbedürfnisse konzentrieren und damit leichter außerhalb ihres Heimatmarktes wachsen können.
- Eine breitere und europäische Investorenbasis: Mehr lokale Finanzierungen könnten die Abhängigkeit von der Volatilität internationaler Märkte reduzieren. An dieser Stelle sind auch Politik und Regulierungsbehörden gefragt. Daneben würde ein besserer Zugang zu Beratern oder Experten nachhaltiges Wachstum unterstützen.
- Eine innovativ denkende Regulierung: Der regulatorische Rahmen muss Innovationen ermöglichen, fairen Wettbewerb ermöglichen und Stabilität gewährleisten, zudem sowohl Anlegerinnen und Anlager wie Kundinnen und Kunden schützen. FinTechs sollten einerseits bei Regulierungsbehörden stärker für ihren gesellschaftlichen Nutzen werben, andererseits deren Anforderungen nutzerfreundlich umsetzen.
- Die Entwicklung zu einem Magneten für Talente aus aller Welt: Im Wettbewerb mit globalen Tech-Hubs sind attraktive Arbeitsplätze mit hervorragenden Entwicklungs-Chancen gefragt, ebenso eine moderne Arbeitskultur, die Diversität fördert.
- Ein europäisches Netzwerk, das es FinTechs ermöglicht, grenzüberschreitend erfolgreich zu sein: Alle betroffenen Akteure könnten ihr Know-how in „Startup-Zentren“ bündeln, die FinTechs als Anlaufstellen für umfassende Beratung dienen. Eine europäische Institution wie das Enterprise Europe Network könnte als mögliche zentrale Anlaufstelle hierfür dienen.
- Eine größere Auswahl und ein besserer Zugang für Verbraucher: Ein breiteres Produkt- und Service-Spektrum sowie unkomplizierte Wege zum Anbieterwechsel wäre im Sinne der Verbraucherinnen. und Verbraucxher. Ebenso ein stärkerer Fokus auf Produktsicherheit und -stabilität – das würde auch den Regulierungsdruck vermindern. Die Kooperation mit etablierten Banken trägt dazu bei, das Vertrauen der Kunden in FinTechs und neue digitale Geschäftsmodelle zu stärken.
Für Max Flötotto sind FinTechs ein Glücksfall für den europäischen Finanzsektor. Unternehmen und Banken, die mit ihnen zusammenarbeiten, profitierten von deren Kundenfokus. Gleichzeitig würden sie als Wettbewerber die etablierten Akteure mit ihren Innovationen herausfordern. hj
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