Machine Learning (ML) für Kernversicherungssysteme muss keine Blackbox sein!
Im Hinblick auf die Prozessoptimierung wird keine Versicherung mehr an der Nutzung von ML-Technologien vorbeikommen. Die Einbindung in Kernversicherungssysteme wird kritische Geschäftsprozesse mit einem hohen Automatisierungsgrad unterstützen. Unter Kosten- und Sicherheitsaspekten sind dabei zwei Punkte entscheidend: das genutzte ML-Verfahren und die Transparenz des Modells.
von Dr. Ibrahim Halfaoui, Fadata
Das Maschinelle Lernen (ML) gewinnt in nahezu allen Branchen an Bedeutung.Die möglichen Anwendungsbereiche sind vielfältig: Sowohl Teilaufgaben und Routinetätigkeiten als auch komplexe Interaktionen kann ML automatisieren.”
Gerade im Marketing, Vertrieb und Support nutzt die Versicherungswirtschaft bereits verstärkt ML-basierte Lösungen, Stichworte sind dabei Chatbots beziehungsweise Conversational AI. So begleiten virtuelle Agenten Kunden mithilfe von Spracherkennung bei Serviceanfragen und optimieren damit das Kundenerlebnis. Versicherer können auch neue Leads auf der Basis einer automatisierten Analyse des Kundenverhaltens einfacher generieren. Nicht zuletzt besteht für Versicherer die Möglichkeit, Kundenfeedback aus Supportanrufen mithilfe von Text- und Spracherkennung zu analysieren und damit die Marketingstrategie zu optimieren.
Allerdings wird die ML-Nutzung bei Versicherungsunternehmen nicht auf Vertriebs- oder Marketingthemen beschränkt bleiben, zunehmend rücken auch die Kernversicherungssysteme selbst in den Fokus.”
Dabei geht es etwa um die Bearbeitung von Krankenversicherungsansprüchen, die Transformation von Underwriting-Prozessen bei Lebensversicherungen oder die Automatisierung der Fallbearbeitung bei Sachversicherungen.
Ein gutes Beispiel für den konkreten Vorteil, den ML-basierte Lösungen bieten, liefert das Claim Management. ML-Technologien unterstützen bei der automatisierten Analyse von Schadensfotos oder der automatisierten Informationsextraktion aus unstrukturierten Daten wie gescannten Dateien. Mit kognitiven Anwendungen können so Betrugsversuche einfacher aufgedeckt und die Genauigkeit bei der Schadensregulierung verbessert werden. Die Prozessautomatisierung und -optimierung dient damit zum einen der Reduzierung von Betrugsrisiken. Zum anderen kann sie aber auch für die unmittelbare Regulierung von geringeren Schäden genutzt werden. Für Versicherer ist die automatische Abwicklung von kleinen Schadensfällen – auch im Falle eines Betrugs – rentabel, da so hohe Prozesskosten durch menschliche Interaktionen vermieden werden.
Weak Supervision ist die Zukunft
Bei der ML-Nutzung im Versicherungsbereich stellen sich aber zwei grundlegende Fragen. Welches Verfahren wird konkret eingesetzt und wie können Sicherheit beziehungsweise Transparenz gewährleistet werden?
Bei den ML-Technologien sind prinzipiell zu unterscheiden: Unsupervised, Supervised und Reinforcement Learning. Beim Unsupervised Learning ermittelt ein Algorithmus Muster auf Basis von bereitgestellten Datensätzen. Das Supervised Learning hingegen basiert auf gelabelten Datensätzen. Das heißt, den Daten werden bereits Zielwerte beziehungsweise Kategorien zugeordnet. Beim Reinforcement Learning schließlich interagiert ein Agent mit seiner Umgebung und lernt dabei auf der Basis von Belohnungen beziehungsweise von Bestrafungen. Das Verfahren ist vielversprechend, aber hochkomplex und in sicherheitskritischen Bereichen nur bedingt einsetzbar, da ohne zusätzliche Maßnahmen eine zuverlässige Nutzung der gelernten Regeln nicht gewährleistet werden kann.
Aktuell basieren ML-Frameworks für Versicherungen vor allem auf der Supervised-Learning-Methode und der Verwendung von Hunderttausenden von echten Kunden-Datensätzen, die repräsentativen Charakter haben und unterschiedliche Anwendungsfälle abdecken. Die Daten werden für das Training und für Simulationen mit kontinuierlicher Überprüfung der Performance und Ergebnisqualität des ML-Modells genutzt. Die Nachteile dieses Verfahrens liegen im hohen manuellen Aufwand und den Kosten. Hauptsächlich das Labeling ist arbeitsaufwändig und damit kostenintensiv.
Hier zeichnet sich nun eine neue Entwicklung ab. Weak Supervision beziehungsweise Self-Supervised Learning verbinden die Vorteile des Unsupervised und Supervised Learning: hohe Ergebnisqualität und geringe Kosten. Diese Methode stützt sich auf verschiedene Techniken, um manuell erstellte Labels durch automatisch generierte zu ersetzen; Beispiele sind Knowledge Distillation, Contrastive Learning oder Triplet Loss. Auch Fadata wird bei seinem INSIS-ML-Framework, das der Optimierung und Beschleunigung kritischer Kernprozesse von Versicherungsunternehmen dient, künftig diesen Weg einschlagen.
ML-Transparenz ist machbar
Auch wenn ML-basierte Verfahren einem Versicherer zahlreiche Vorteile bieten, ist ein vorbehaltloser, unkritischer Einsatz kein gangbarer Weg – allein schon aufgrund der BaFin-Vorgaben und der Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT). Sie enthalten strikte Dokumentations- und Kontrollpflichten sowie Transparenzregelungen zu den verarbeiteten Daten in den IT-Systemen. Im letzten VAIT-Rundschreiben heißt es dazu unter anderem:
Wesentliche Veränderungen an den IT-Systemen im Rahmen von IT-Projekten, deren Auswirkung auf die IT-Aufbau- und IT-Ablauforganisation sowie die dazugehörigen IT-Prozesse sind vorab im Rahmen einer Auswirkungsanalyse zu bewerten. Dabei hat das Unternehmen insbesondere die Auswirkungen der geplanten Veränderungen auf die Kontrollverfahren und die Kontrollintensität zu analysieren.“ (Quelle)
Wie korrespondiert nun ein ML-Einsatz mit den VAIT-Anforderungen? Klar ist, dass eine ML-Lösung keine Blackbox bleiben darf. Zunächst muss ein Versicherer bei der Nutzung eines kommerziellen ML-Frameworks das verwendete Analyseverfahren kennen. Für die Transparenz und Nachvollziehbarkeit sollten das trainierte Modell und die Mustererkennung erklärbar sein, etwa auch hinsichtlich der Korrelation von Daten und Modellen. Ebenso wichtig sind detaillierte Performance-Metriken des Modells, die beispielweise den Prozentsatz der korrekten Prognosen aufzeigen.
Nach Möglichkeit sollte ein Versicherungsunternehmen ein ML-Framework auch interaktiv nutzen können, etwa für die Einzelfallanalyse, die Szenario-Modellierung und Simulationen. So kann es zum Beispiel überprüfen, wie Inputs einen prognostizierten Output beeinflussen können, ob etwa bei der Betrugserkennung die Adresse eines Versicherten das Ergebnis beeinflusst.
Es steht außer Frage, dass ML in der Versicherungsbranche eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Schließlich bietet ML weitreichende Vorteile.”
Mit ML-Unterstützung können Angebote für Kunden optimiert, Betrugsfälle aufgedeckt, die Genauigkeit bei Schadensregulierungen verbessert und letztlich auch die Mitarbeiterproduktivität erhöht werden. Zudem trägt ML zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit durch die schnellere Bearbeitung von Anträgen und Schadensmeldungen bei. Nicht zuletzt kann eine Prozessoptimierung in der Regel zu einer Kostenreduzierung beitragen.
Allerdings müssen ML-Modelle nach der Inbetriebnahme kontinuierlich gewartet werden. Ein erheblicher Aufwand für ein Unternehmen ist die Folge. An dieser Stelle gewinnt der MLOps-Ansatz an Bedeutung, der die Verwaltung des gesamten ML-Lebenszyklus umfasst, von der Softwareentwicklung über die Analyse von Geschäftsmetriken bis hin zum Betrieb (Operations). Auch Versicherer sollten das MLOps-Vorgehensmodell in Betracht ziehen, da sie damit ML-Verfahren in Produktionsumgebungen erfolgreich bereitstellen und sicher überwachen können.Dr. Ibrahim Halfaoui, Fadata
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/142654
Schreiben Sie einen Kommentar