Bitte Nachbessern! Zehn Anforderungen an eine gute digitale Identität
Eigentlich sollte 2021 das Jahr für die digitale Identität werden. Gesehen haben wir in Deutschland aber nur das Scheitern von zwei Projekten. Was lief schief – und was sich ändern muss, damit es künftig besser funktioniert? 10 Tipps
von Rudolf Linsenbarth
Am 23. September – nur wenige Tage vor der Bundestagswahl – wurde ID Wallet veröffentlicht. Der App war anzumerken, dass sie unter Zeitdruck auf die Bühne geschoben worden war. Trotz einiger innovativer Ansätze musste sie wegen offensichtlicher Mängel sofort wieder eingestellt werden.Die zweite App hat es noch nicht einmal bis zur Ziellinie geschafft. Insgesamt wurden drei Starttermine gerissen. Die Projektpartner Samsung, Bundesdruckerei, Telekom und das Bundesinnenministerium nannten zuerst Juni, dann September und schließlich Dezember 2021 als Start für die sogenannte Smart eID.
Ein Scheitern mit Ansage!
Im Bundesinnenministerium ist die Smart eID als einzige Variante für die digitale Identität gesetzt! Den Nachweis, dass diese Vorgehensweise skaliert, ist man allerdings schuldig geblieben. Derzeit funktioniert das Konzept auch nur, weil man mit einem enormen Aufwand ein einziges Smartphone, das Samsung S20, dafür ertüchtigt hat.
Dabei drängt die Zeit. Die EU Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, bis September 2022 ein gemeinsames Instrumentarium für EUid-Brieftaschen zu schaffen und unverzüglich mit den erforderlichen Vorarbeiten zu beginnen. In der Ausgestaltung gibt es für die einzelnen Staaten aber einen großen Spielraum. Genau in diese Gestaltungslücke drängen jetzt neue Mitspieler. Die Banken haben ihr Interesse über ein Positionspapier bereits bekundet. Aber auch Unternehmen, die bereits Identifizierungsdienstleistungen anbieten oder Startups, die sich in diversen SSI Projekten engagieren, sind mögliche Kandidaten. Ich kann mir dazu gut vorstellen, dass die Mobilfunkunternehmen ebenfalls ihren Hut in den Ring schmeißen werden.
Wie soll es jetzt weitergehen?
Das BSI hat in seinem Positionspapier zu SSI respektive ID Wallet leider nur auf das vertrauenswürdige Datenregister abgezielt und erklärt, warum die Blockchain hier nicht verwendet werden sollte. Das greift zu kurz, SSI ist mehr als nur eine ID mit Metadaten in einer öffentlichen Datenbank!
Für ein Gelingen sind meiner Meinung nach die folgenden 10 Punkte unabdingbar:
1. Identity Wallet – Angebote im Wettbewerb
Im Unterschied zur Bundesregierung hat die EZB bereits erkannt, dass ein Frontend besser von Unternehmen gebaut wird, die bereits Kundenkontakte haben. Die Wallet App für den digitalen Euro soll daher von den Geschäftsbanken kommen und nicht durch die EZB bereitgestellt werden.
Dasselbe gilt für eine Mobile ID App. Erst der Wettbewerb wird hier zu neuen und innovativen Lösungen führen. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat darauf verzichten muss, Rahmenbedingungen vorzugeben.
2. Regeln für die „abgeleitete“ digitale ID
Die Identitätsvergabe ist und bleibt eine staatliche Monopolaufgabe. Manifestiert wird das vor allem durch den Personalausweis. Eine digitale Identität ist nur eine Ableitung davon. Genau deshalb sind als erstes konkrete Vorgaben zu machen. Darf eine digitale Identität beispielsweise nur direkt vom Personalausweis per eID-Funktion übertragen werden oder kann dafür auch ein früher gespeicherter Identifizierungsvorgang verwendet werden und welche Anforderungen werden an diesen Identifizierungsvorgang gestellt? Ist hier auch eine persönliche Vor-Ort-Identifizierung zugelassen oder ein Video-Ident-Verfahren?
Als nächstes kommt die Frage nach der Gültigkeitsdauer einer mobilen digitalen Identität. Ein Personalausweis hat eine Gültigkeitsdauer von maximal 10 Jahren. Welchen Zeitraum wählt man für eine digitale Identität?
3. Bündelung der Ressourcen an einer Stelle
Derzeit sind mindestens 3 Stellen bei der Entwicklung der digitalen Identität eingebunden. Die Smart eID wird vom Innenministerium aus gesteuert, ID Wallet aus dem Bundeskanzleramt und schließlich gibt es im Wirtschaftsministerium noch das Projekt „Schaufenster Sichere Digitale Identitäten“.
Damit eine digitale Identität in so unterschiedlichen Anwendungen wie Geldwäschegesetz, Telekommunikationsgesetz, Vertrauensdiensten und Onlinezugangsgesetz zum Einsatz kommt, wäre die Bündelung bei einer dieser drei Projektstellen sinnvoll. Schaut man zudem auf die Namensgebung der Ministerien der neuen Bundesregierung, könnte die Verantwortung für die digitale Identität auch beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) liegen.
4. Hardwarebasierte Sicherheit
Die Sicherheit der digitalen Identität steigt, wenn das dafür notwendige Schlüsselmaterial auf Hardware-Komponenten des Smartphones wie z.B. dem Trusted Execution Environment (TEE) gespeichert ist. Dass die komplette Anwendung selbst in einem Secure Element gespeichert werden muss, erschließt sich mir dabei aber nicht!
Die vom Bundesinnenministerium gewollte Speicherung der eID in einem Secure Element wird wahrscheinlich aus denselben Gründen scheitern wie die Mobile-Payment-Konzepte mit ihren TSM-Infrastrukturen.
5. Zentraler Vertrauensanker vom Staat
Digitale Identitäten im regulierten Bereich müssen zuverlässig auf ihre Echtheit überprüft werden können. Die ID ist im SSI-Konzept der verifizierbare digitale Nachweis, dessen Metadaten im vertrauenswürdigen Datenregister abgelegt werden. Der eigentliche Vertrauensanker für die Echtheit muss aber eine zentrale PKI sein, die von staatlicher Seite bereitgestellt wird.
Das vertrauenswürdige Datenregister ist also nicht der Vertrauensanker, sondern liefert nur den Link dorthin. Darüber hinaus verhilft es der Identity Wallet zu einer Vielzahl von weiteren Anwendungen. Ob am Ende des Tages eine Blockchain oder eine andere Datenbank effizienter ist, ist sekundär. Auf jeden Fall sprechen wir hier nicht von einer Public Blockchain analog zum Bitcoin. Das staatliche Plazet in Form des Vertrauensankers bekommen selbstverständlich nur die Datenregister, deren Governance Frameworks bestimmte Anforderungen erfüllen. Diese Datenregister müssen nicht auf Landesgrenzen beschränkt sein, sondern können auch in einen europäischen Kontext eingebettet werden.
7. Echte Self Sovereign Identity (SSI)
Selbstverständlich muss bei Identifizierungsvorgang auch der Verifier überprüft werden können. Trotzdem bedeutet Self Sovereign Identity auch, dass man sich gegenüber jemanden identifizieren kann, der selber nicht verifizierbar ist.
Analogie aus der realen Welt ist zum Beispiel das Vorzeigen des Ausweises gegenüber jemand den ich nicht kenne. Nur auf diese Art und Weise sind auch niederschwellige Angebote, wie das automatische Ausfüllen von Adressdaten in einem Onlineshop möglich.
Es gibt ja auch keine Forderungen, dass ein Nutzer SSL-Webseiten nicht mehr betreten darf, bei denen das Zertifikat abgelaufen oder ungültig ist. Entscheidend ist, dass dem Nutzer jederzeit angezeigt wird, welche Risiken er gerade eingeht.
8. Single Sign On (SSO)
Die starke Authentifizierung ohne Passwörter (Single Sign ON) ist eine der Funktionen, die mit einer mobilen digitalen Identität im Prinzip sehr einfach umgesetzt werden kann. Ich erwähne das hier nur, damit dieser Anwendungsfall nicht vergessen wird.
9. Die eindeutige Personenkennziffer
Vielleicht erinnern sich noch einige Leser an die Volkszählung aus den 80ern. Das Volkszählungsurteil hat uns zwar das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebracht. Eine weitere Folge davon ist aber, dass wir in unserem Ausweis keine eindeutige Personenkennziffer haben. In einer digitalen Welt ein großes Problem. Niemand, der seinen Ausweis wechselt, und bei dem sich gleichzeitig weitere Parameter wie Adresse und Nachname ändern, ist digital wiedererkennbar. Dieses Problem hat der Staat auch schon bei der Digitalisierung seiner Verwaltungsvorgänge im Rahmen des Online-Zugangsgesetzes erkannt.
Hilfsweise soll jetzt dafür die Steuer ID eingesetzt werden. Meiner Meinung nach wird diese Vorgehensweise ohne umfassende Gesetzesanpassung vom Verfassungsgericht kassiert. Einfacher wäre es, mit der digitalen Identität eine Personenkennziffer zu schaffen, die gleichzeitig datensparsam ist und nur dann verwendet wird, wenn der souveräne Bürger dem Einsatz ausdrücklich zustimmt.
10. Agil Vorgehen und mehr Mut Neues auszuprobieren
Seit über 10 Jahren warten wir auf den Durchbruch beim digitalen Personalausweis. Jetzt soll es also die digitale Identität richten und die Verantwortlichen gehen das Thema an, als ob wir es uns leisten könnten, noch einmal 10 Jahre auf einen Erfolg zu warten.
So groß die handwerklichen Fehler um ID Wallet auch gewesen sein mögen, der Ansatz war grundsätzlich richtig. Neben der Möglichkeit, endlich eine digitale Identität aus einem Guss zu bekommen, wurde hier auch das Potenzial für niederschwellige Identity-Angebote sichtbar, die wir mit dem Smart eID Konzept niemals erreichen können!
Alleine dafür lohnt sich der Neustart von ID Wallet gerne auch im Wettbewerb zur Smart eID!Rudolf Linsenbarth
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