Zur Zukunft des Bargelds und des digitalen Euro – der Präsident der Deutschen Bundesbank Dr. Weidmann
von Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank
Bargeld war selbst unter Corona-Bedingungen das am häufigsten verwendete Zahlungsmittel für alltägliche Ausgaben – in 60 % der Fälle wurde bar gezahlt. Sogar die Generation der Digital Natives greift häufig zu Scheinen und Münzen: Bei ihnen betrug der Bargeld-Anteil gut die Hälfte.Allerdings lag der Bargeld-Anteil 2017 noch bei 74 %. Der Trend zu unbaren Zahlungen ist schon seit einigen Jahren zu beobachten. Die Pandemie dürfte die Verschiebung verstärkt haben. Die Menschen konnten in der Pandemie nicht wie gewohnt konsumieren. Demgegenüber hat das Einkaufen im Internet an Bedeutung gewonnen. So stieg der Online-Umsatz des deutschen Einzelhandels 2020 um fast ein Viertel. Das kontaktlose Bezahlen wurde ebenfalls populärer. Ob die Menschen nach der Pandemie wieder zu ihren früheren Konsum- und Zahlungsgewohnheiten zurückkehren, bleibt abzuwarten.
Manche befürchten, Bargeld könnte über kurz oder lang seine bedeutende Rolle verlieren. Schweden gewährt Einblicke, welche Probleme sich dann auftun könnten.”
Dort nehmen viele Geschäfte, Restaurants oder der öffentliche Nahverkehr Bargeld gar nicht mehr an. Der ältere Teil der Bevölkerung dort sieht die abnehmende Bargeldnutzung überwiegend kritisch. Und ein Drittel der ländlichen Bevölkerung klagt, sie käme ohne Bargeld nicht zurecht.
Die schwedische Notenbank verweist darauf, dass ohne Bargeld die Anfälligkeit des Zahlungsverkehrs gegenüber technischen Problemen bei der Strom- oder Internetversorgung steigt. Daher halten manche Bargeld zwar für wichtig als Notfalllösung, nicht aber im Alltag. Doch Stefan Ingves, der Gouverneur der Riksbank, warnt: „Wenn Bargeld als Zahlungsmittel im Krisenfall gebraucht wird, muss es auch möglich sein, es unter normalen Bedingungen zu benutzen.“
Bargeld und seine Eigenschaften
Bargeld kann weitgehend unabhängig von digitaler Infrastruktur genutzt werden. Mit Bargeld zu bezahlen, ist einfach, sicher und schnell.”
Bargeld kann weitgehend unabhängig von digitaler Infrastruktur genutzt werden. Mit Bargeld zu bezahlen, ist einfach, sicher und schnell.”
Zudem möchte ich drei weitere Facetten hervorheben. Erstens: Teilhabe. Dank der einfachen Handhabung ist Bargeld ein ganz wichtiges Zahlungsmittel für viele Menschen, die nicht so technikaffin sind, oder für jene, die in ihrer Sehkraft eingeschränkt sind. Bargeld schließt niemanden aus. Es ist ein Zahlungsmittel für alle.
Zweitens: Kontrolle. Weil man Bargeld beim Bezahlen tatsächlich in die Hand nehmen muss, fällt es vielen leichter, ihre Ausgaben zu kontrollieren. Die meisten Menschen in Deutschland sehen eine pädagogische Funktion. Bargeld ermöglicht, Kinder an den Umgang mit Geld heranzuführen.
Drittens: Anonymität. Wer bar bezahlt, muss grundsätzlich seine Identität nicht preisgeben. Viele schätzen Bargeld wegen dieser Eigenschaft. Doch Anonymität kann auch für illegale Zwecke missbraucht werden. Umso wichtiger ist es, gegen Geldwäsche, Korruption und andere kriminelle Aktivitäten vorzugehen.
Darüber hinaus wird Anonymität mitunter als ein Aspekt eines größeren Konzepts verstanden: der Privatsphäre. Bargeld hilft, die Privatsphäre zu schützen. Insgesamt bietet Bargeld eine einzigartige Kombination von Eigenschaften. In vielerlei Hinsicht entspricht es den Kriterien, die bei Zahlungsmitteln wichtig oder unverzichtbar sind.
Außerdem eignet sich Bargeld nicht allein zum Bezahlen. Zu diesem Zweck werden in Deutschland nur 5 % der Euro-Banknoten genutzt. Ungefähr 40 % dienen den Menschen in Deutschland zur Wertaufbewahrung, der Rest ist ins Ausland abgeflossen.
Im Schnitt hüteten die deutschen Privathaushalte 2018 mehr als 1.300 € an Barem. Gerade in Zeiten hoher Unsicherheit setzen die Menschen auf Bargeld. So zog auch zu Beginn der Corona-Pandemie die Bargeldnachfrage in Deutschland zeitweise kräftig an. Die Bundesbank hat auch unter den Bedingungen der Pandemie ihren gesetzlichen Auftrag verlässlich erfüllt. So haben unsere Filialen 2020 Banknoten im Gesamtwert von 70 Mrd. € netto ausgegeben.
Die Nachfrage nach Bargeld wächst, obwohl seine Bedeutung als Zahlungsmittel gesunken ist. Seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel erklärt dieses Paradoxon.
Bargeld und der digitale Euro
Zentralbankgeld ist ausfallsicher und der Inbegriff von Liquidität. Bisher ist Bargeld die einzige Möglichkeit, Zentralbankgeld zu halten und damit zu bezahlen. Ein digitaler Euro würde dies ändern. Mit ihm könnten die Menschen und Unternehmen auch in einer digitalen Umgebung mit Zentralbankgeld bezahlen, und zwar einfach, sicher, schnell und kostengünstig. Der digitale Euro könnte helfen, Transaktionskosten zu senken, den Zahlungsverkehr effizienter zu gestalten und die Entwicklung innovativer Dienstleistungen anzuregen.
Zudem würde der digitale Euro ermöglichen, auch dann noch mit staatlichem Geld zu bezahlen, wenn Bargeld nicht mehr eine so große Rolle spielen sollte. Ein digitaler Euro soll Bargeld nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Solange die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Banknoten nachfragen, wird die Bundesbank sie zur Verfügung stellen.
Bei einer Umfrage im Frühjahr sagten 40 %, sie könnten sich grundsätzlich vorstellen, den digitalen Euro zu nutzen. Dabei wäre zum einen wichtig, mit ihm kostenfrei und einfach bezahlen zu können. Zum anderen sollten Privatsphäre und Daten geschützt sein.
Wer dem digitalen Wandel offen gegenübersteht, der ist auch eher für den digitalen Euro aufgeschlossen. Einige betrachten ihn als notwendigen oder schon überfälligen Schritt in die digitale Zukunft. Andere sehen stärker die Risiken der Digitalisierung. Mitunter fürchten sie sogar, die Kontrolle zu verlieren, oder dass ihr Leben zu transparent wird.
Der digitale Euro wird nicht die Anonymität des Bargelds bieten können. Schließlich hinterlassen digitale Zahlungen immer Spuren. Aber selbstverständlich wären beim digitalen Euro die Vorgaben zum Datenschutz strikt einzuhalten. Auch hat das Eurosystem kein kommerzielles Interesse an der Nutzung von Daten. In dieser Hinsicht könnte der digitale Euro helfen, das Vertrauen der Menschen im digitalen Zahlungsverkehr zu stärken.”
Insgesamt ist die Gestalt des digitalen Euro nach wie vor recht vage. Es geht zum Beispiel um die Frage, ob der digitale Euro auf einem Konto gehalten werden soll oder als digitale Wertmarke, ein digitaler Token. Zu prüfen ist ebenfalls, inwieweit er ohne Internetverbindung eingesetzt werden könnte.
Mir ist wichtig, dass auch der digitale Euro für die Menschen leicht zugänglich sein sollte. Private Dienstleister wie Banken sollten weiterhin die Schnittstelle zu den Kundinnen und Kunden bilden.
Wir müssen sichergehen, dass wir die möglichen Risiken unter Kontrolle halten können. Zumindest bis zu einem gewissen Grad wäre der digitale Euro eine Alternative zu Bankeinlagen. Daher wird diskutiert, die Haltung von digitalen Euro einzuschränken. Das schmälert seine Attraktivität als Wertaufbewahrungsmittel im Verhältnis zu Bankeinlagen, aber auch zum Bargeld.
Trotz all der offenen Fragen wird für mich schon heute deutlich: Der digitale Euro wäre wohl kein digitales Bargeld.”
Gerade angesichts der Risiken könnte es sinnvoll sein, beim digitalen Euro schrittweise vorzugehen. Das heißt, den digitalen Euro zunächst mit einem bestimmten Bündel an Eigenschaften auszustatten, die wichtige Einsatzmöglichkeiten als Zahlungsmittel erlauben. Später könnten weitere Funktionen hinzugefügt werden.
Ich bin überzeugt, dass Bargeld auch in der absehbaren Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Zu Recht schätzen viele Menschen Bargeld sehr. Kein anderes Zahlungsmittel wird alle seine Eigenschaften nachbilden können, auch nicht der digitale Euro. Das Ziel des digitalen Euro wäre, die Auswahl an Zahlungsmitteln zu vergrößern.”
Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.pp
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