Advanced Analytics in der Bank der Zukunft – Prof. Wuermeling, Deutsche Bundesbank
In seiner Auftaktrede am 3. Tag des SCHUFA-Branchentreffs für die Deutsche Kreditwirtschaft sprach Prof. Wuermeling von der Bundesbank unter dem Titel „Heute schon wissen, was morgen (vielleicht) funktioniert – Advanced Analytics in der Bank der Zukunft“ über Chancen und Herausforderungen für Banken durch Daten und KI. Er betonte die Bedeutung der Daten als Erfolgsfaktor der Zukunft und skizzierte die Sicht der Bundesbank als Aufseher. Eine Zusammenfassung seiner Rede.
von Professor Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
Digitale Innovationen ermöglichen eine völlig neue Wertschöpfung mit Hilfe von Daten. Daten werden häufig als wichtigste Ressource des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Die Datenmengen steigen unaufhörlich. Jede Bank sitzt auf einem großen Berg verschiedener Datentypen, der laut Statistik mit etwa 27 Prozent pro Jahr beständig anwächst. Der Sektor Finanzdienstleistungen lag schon im Jahr 2018 mit 2,1 Zettabyte im Branchenvergleich auf Platz drei der größten Datenproduzenten. Was machen wir mit all diesen Daten?Alle besitzen Daten, aber die Fähigkeit, diese Daten optimal zu verarbeiten und nutzbar zu machen, besitzen nur wenige. Sie bietet aber einen großen Wettbewerbsvorteil im Markt – und um diesen bemühen sich auch mittlerweile viele Banken.”
Das Potenzial der Daten
Advanced Analytics lässt sich grob in drei Stufen einteilen: prädiktive Analyse, präskriptive Analyse und Künstliche Intelligenz (KI), die wiederum mit Begriffen wie Natural Language Processing, Machine Learning oder Deep Learning assoziiert wird.
Alle diese Techniken können große, komplexe, strukturierte wie unstrukturierte Datenmengen analysieren und interpretieren. Mithilfe der Advanced Analytics können tiefe Einblicke gewonnen, Vorhersagen getroffen oder Empfehlungen gegeben werden, die weit über die der traditionellen Business Intelligence hinausgehen.
Advanced Analytics untersucht die Daten autonom oder halbautonom, aber nicht von selbst. Es braucht den Menschen als Programmierer, Manager, Controller und Analyst.
Bisher nutzen Banken Advanced Analytics in erster Linie zur Kundenbindung und Prozessoptimierung. Das Interesse im Bereich Risikomanagement wächst. Die meisten Banken befinden sich noch in einem frühen Stadium. Der Schwerpunkt liegt auf prädiktiven Analysen. Dazu werden vor allem Kernbankdaten genutzt und weniger externe Datenquellen. Die Potenziale von Advanced Analytics gehen aber weit darüber hinaus. Sie versprechen höhere Geschwindigkeit, bessere Ergebnisse, Sicherheit und mehr operative Qualität; vor allem aber neue Einsatzbereiche.
Banken können das Risikomanagement für ihre eigenen Portfolios verbessern. KI kann helfen, Kreditrisiken schneller zu identifizieren. Dabei gilt es auch, die Kernbankdaten mit externen Daten zu kombinieren. Eine KI kann sekundenschnell entscheiden und dabei unzählige Datenpunkte berücksichtigen. Ein weiterer vielversprechender Anwendungsbereich ist die Betrugsprävention. Eine KI kann Ausgaben und Verhaltensmuster analysieren, um Betrug zu erkennen, noch bevor er geschieht.
Potenziale von KI ergeben sich in der Kundeninteraktion. Mit Advanced Analytics können Banken ihren Kunden mehr Convenience bieten. Knapp die Hälfte der Banken nutzt bereits Advanced Analytics für die Kundenbindung. Chatbots können beispielsweise helfen, um einfache Kundennachfragen zu bewältigen. Mit Advanced Analytics könnten auch Schlüsselmerkmale der Kunden besser analysiert und segmentiert werden. Produktangebote können so personalisierter erfolgen und auf Kundenpräferenzen zugeschnitten werden.
Schließlich bietet KI erhebliche Potenziale für die Prozessautomatisierung von Back-Office-Tätigkeiten. Banken können Prozesse standardisieren und so die operativen Kosten senken. Die neuen Technologien können klassische Back-Office-Tätigkeiten übernehmen.
Daten bieten in Banken enormes Potenzial. Advanced Analytics könnte dieses Potenzial freisetzen. Dabei ist ein realistischer Blick wichtig – deswegen muss es auch heißen: neue Risiken nicht unterschätzen!
Neue Methoden, neue Risiken
Die Datenqualität ist bei Advanced Analytics von großer Relevanz und birgt einige Herausforderungen.
Erstens: KI-Modelle können sich als „Black Boxes“ erweisen. Bei solchen Systemen können Menschen kaum verstehen und überprüfen, wie das System zu einer bestimmten Entscheidung, Schlussfolgerung oder Vorhersage gelangt ist. Wenn aber Entscheidungen einer KI direkte Auswirkungen auf uns Menschen oder auf die Risikosituation einer Bank haben, drängen sich Fragen zum Entscheidungsprozess auf. Wenn es um die Sicherheit geht, wollen wir verstehen, wie die KI Entscheidungen trifft. Der Erklärungsbedarf hängt am Anwendungsfall. Der jeweilige Kontext und der Grad der Automatisierung sind somit entscheidend für die Bewertung von KI-Systemen.
Zweitens kann Advanced Analytics schlicht falsche oder unerwünschte Schlussfolgerungen hervorbringen, etwa Diskriminierungen. Dies tritt ein, wenn die Datengrundlage verzerrt und somit nicht repräsentativ ist. Ursächlich für das diskriminierende Verhalten ist eine ungenügende Datenbasis.
Drittens ist eine KI nur so schlau wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Datenqualität und Datenrelevanz sind die Schlüssel zum Erfolg. Systeme, die auf homogenen Daten, nicht ausreichend Daten oder gefälschten Daten beruhen, treffen fehlerhafte Vorhersagen und führen folglich zu falschen Geschäftsentscheidungen.
Wenn KI im Finanzsektor eingesetzt wird, müssen diese Risiken mitbedacht werden. Der Finanzsektor muss sich mit dem Black-Box-Dilemma, möglichen fehlerhaften Ergebnissen und vor allem der Datenqualität auseinandersetzen.
Die Sicht der Bundesbank als Aufseher
Die Bundesbank hat in ihrem Diskussionspapier zu Artificial Intelligence / Machine Learning (AI/ML) zwölf erste Ansätze herausgearbeitet, die für die erfolgreiche und risikogerechte Entwicklung, Umsetzung und Einführung von maschinellem Lernen in die Geschäftsprozesse einer Bank nötig sind.
Wir folgen dabei vier Grundsätzen: technologieneutral, differenziert, risikoorientiert und praktikabel. Erklärbarkeit, Datenqualität, Validierung und Governance bilden die Eckpfeiler unseres Ansatzes.
Erklärbarkeit: Banken müssen lernen, mit der “Black Box” umzugehen: Wir müssen abschätzen, inwieweit die einzelne Bank und die Aufsichtsbehörde die Ergebnisse der KI-Verfahren wirklich verstehen können. Dabei ist es nicht notwendig, alles im kleinsten Detail nachvollziehen zu können. Aber das Modellverhalten erklären und plausibilisieren zu können, ist für uns relevant.
Es kommt uns als Aufseher darauf an, dass die Erklärbarkeit zum Anwendungsfall passt und dass Banken zwischen Erklärbarkeit, Komplexität und Performance abwägen. Ich schätze, dass der goldene Weg die „Grey Box“ sein kann, die zwischen Leistungsfähigkeit von Advanced Analytics und Erklärungsbedürftigkeit vermittelt.
Datenqualität: Erst die Verfügbarkeit von ausreichenden Daten in hoher Qualität ermöglicht verlässliche Analysen und Entscheidungen. Es ist unerlässlich, die Daten selbst zu verstehen, und auch, wie verschiedene Datentypen miteinander kombiniert werden können. Die Vorbereitung der Daten ist und bleibt die Kerntätigkeit hinter Advanced Analytics.
Validierung: ist der Schlüssel zu erfolgreichen Modellen. Banken überprüfen damit, dass die Zusammenhänge der Trainingsdaten auch in der realen Welt noch Bestand haben.
Governance: Interne Governance-Strukturen müssen an neue Herausforderungen angepasst werden. Neue Abteilungen mit Namen wie „Advanced Analytics“, „Data Science“ oder „Big Data Hub“ in bestehende Bankprozesse zu integrieren, ist nicht trivial. Das fängt an bei neuen Verantwortlichkeiten und endet bei der Integration in die IT-Systeme. Es braucht auch ein ausreichendes Verständnis aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Stärken und Grenzen von Advanced Analytics-gestützten Systemen.
Um Advanced Analytics-Methoden zu nutzen, werden häufig spezialisierte Dienstleister und IT-Infrastrukturen in Anspruch genommen. Es gilt, die Risiken, die sich durch solche Auslagerungen ergeben, wie beispielsweise Abhängigkeiten, Konzentrationsrisiken oder Interessenskonflikte, zu überwachen und zu kontrollieren.
Banken brauchen eine verlässliche technologische Infrastruktur, die große Datenmengen verarbeiten kann und somit Advanced Analytics ermöglicht. Hier können Cloud-Dienste helfen, sodass auch kleinere Finanzmarktakteure Advanced Analytics und KI nutzen können.
Advanced Analytics kann in der kompletten Bank Anwendung finden und stellt eine zentrale strategische Ausrichtung dar. Die Analyse von Daten kann alte Arbeitsmuster radikal verändern und in nahezu jeden Geschäftsbereich integriert werden. Ganze Geschäftsmodelle können auf Advanced Analytics aufgebaut oder dahin abgewandelt werden. Banken sollten die Risiken und Herausforderungen dieser neuen Technologien direkt bei der Integration adressieren.
Als Aufseher sehe ich uns hier in der Verantwortung, klare Anforderungen zu setzen, damit die Potenziale der Daten genutzt werden können. Aber die Bundesbank wird kein „Show Stopper“ der Digitalisierung sein; im Gegenteil wollen wir ermöglichen, die Potenziale zu nutzen.”
Die Bankenaufsicht eignet sich besonders gut für den Einsatz von Advanced Analytics, da der erste Schritt immer die Analyse von Daten ist. Folglich stellen Supervisory Technologies ein spannendes Innovationsfeld für uns dar. Bei der „Bundesbank Innovation Challenge“ haben zehn Start Ups mit unseren Fachleuten an innovativen Lösungen für eine bessere Risikoüberwachung getüftelt. Mit den Gewinnern kooperieren wir bereits, um mithilfe innovativer Analysemethoden Risiken umfassender und schneller zu erkennen.
Meine Hoffnung als Aufseher ist insgesamt: Digitale Technologien machen Banken nicht nur digitaler, sondern auch stabiler. Denn eine verbesserte Datennutzung kann es den Banken ermöglichen, ihre Risiken schneller zu erkennen. Im Idealfall kann die Finanzstabilität insgesamt davon profitieren.
Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.pp
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