In fünf Jahren ist Pay@Pump ein alter Hut – Carsten Pohl, CEO Deutsche Tamoil im Interview
Letzte Woche hat ARAL seine Payment-Lösung Fuel & Go an den Start gebracht. Die Kunden können jetzt dort direkt aus der App an der Tanksäule bezahlen. Was beim Marktführer eine Neuerung ist, hat die Deutsche Tamoil schon seit gut zwei Jahren an seinen 400 HEM-Tankstellen im Einsatz. Eine gute Gelegenheit, den mittelständischen Pionier zu seiner Sicht in Sachen Digitalisierung des Tankstellengeschäfts zu befragen. Carsten Pohl, Geschäftsführer Deutsche Tamoil und Karsten Hüls, CEO fillibri im Interview mit Rudolf Linsenbarth.
Herr Pohl, Ihr Unternehmen gehört in Deutschland zu den Vorreitern beim App-basierten Bezahlen an der Zapfsäule. Welche Vorteile versprechen Sie sich von dieser Technik?
Die Digitalisierung von Mobilitätsangeboten schreitet unaufhaltsam voran. Apps oder auch die Infotainment-Systeme der Fahrzeuge können die Autofahrer bedarfsgerecht an HEM-Tankstellen führen. Unser Ziel ist immer, Lösungen zu entwickeln, die genau auf die Wünsche unserer Kunden zugeschnitten sind und hierbei helfen uns die digitalen Möglichkeiten.Wie schätzen sie die künftige Entwicklung von Connected Fuel bzw. Pay@Pump in den nächsten fünf Jahren ein? Ist das Verfahren dann Marktstandard oder nach wie vor nur eine Möglichkeit der Differenzierung?
In fünf Jahren ist Pay@Pump ein alter Hut.”
Die Digitalisierung wird natürlich auch an Tankstellen an Bedeutung gewinnen und das Bezahlen an der Säule ist aktuell nur der Einstieg. Innerhalb dieses Jahrzehnts wird das Smartphone die gesamte Customer-Journey grundlegend verändert haben. Connected Fuel wird schon im Interesse der OEMs weiter im Markt verbreitet werden. Wir sind stärker an Connected Offline Retailer interessiert.
Erwarten Sie zudem eine App-Konsolidierung oder muss der Kunde sich damit abfinden, für mehrere Mineralölmarken auch mehrere Apps zu installieren?
Ich glaube nicht, dass Kunden eine App von nur einer Mineralölgesellschaft auf ihrem Handy haben wollen.”
Ich sehe es vielmehr als Vorteil einer unabhängigen App an, dass diese zu einer Art digitalem Marktplatz wird, der mit attraktiven Anbietern besetzt ist.
Natürlich steht man dort im Wettbewerb, aber gleichzeitig profitiert man davon, dass jeder Marktplatzteilnehmer Kunden anzieht. Am Ende kann so der Einzelne mehr Kunden erreichen und sein Angebot präsentieren.
Ein gelungenes Beispiel ist die fillibri-App: Hierbei handelt es sich um eine Lösung aus dem Mineralölumfeld, welche bereits in kürzerer Zeit Akzeptanz bei vier Tankstellennetzen gefunden hat und sich schon wegen der intuitiv leichten Nutzung schnell durchsetzen wird.
Welche Apps kann der Kunde zum Tanken und Bezahlen direkt an der Zapfsäule bei HEM derzeit nutzen?
Aktuell akzeptieren wir an den HEM-Tankstellen fast alle markenunabhängigen App-Lösungen, die das Bezahlen an der Säule ermöglichen, zum Beispiel fillibri, ryd und Bertha. Hierbei hilft uns die Nutzung des „Mobile Payment Hubs“ unseres Netzbetreibers WEAT: Durch das Angebot einer technischen Plattform und den dort vorgenommenen Standardisierungen, können wir kurzfristig neue App-Anbieter wie auch Aktionen seitens der Deutschen Tamoil anbinden.
Mit der fillibri-App kommt bei Ihnen einen Produkt zum Einsatz, das von einem Ihrer Wettbewerber entwickelt worden ist. Kann die Westfalen Gruppe hierdurch die Daten sehen, wenn der Kunde damit an einer HEM-Tankstelle tankt?
Karsten Hüls, CEO fillibri: fillibri ist bei der Westfalen AG entstanden, wurde aber bereits zu Beginn bewusst ausgegliedert, da man eine markenunabhängige Branchenlösung schaffen wollte. In diesem Sinne ist, Stand heute, auch bereits die Avia Deutschland als weitere Gesellschafterin beteiligt. Die Nutzungsdaten einzelner fillibri-Akzeptanzpartner liegen einzig und allein bei der fillibri GmbH & Co. KG. Sie sind weder den Gesellschaftern noch anderen Akzeptanzpartnern bekannt. Dies gebietet alleine schon das Kartellrecht.
Überhaupt, bringen Ihnen diese Apps zumindest pseudonyme Daten und können Sie damit Kohorten tracken?
Carsten Pohl, Geschäftsführer Deutsche Tamoil: Die strikte Einhaltung der deutschen und europäischen Datenschutzregeln setzen hier klare Grenzen …
… und der Datenaustausch zwischen den Apps und uns ist minimal, sodass wir keine Kunden tracken können.”
Die Pay@Pump-Lösung der beiden Branchengrößen ARAL und Shell ist vor allem ein nur auf diese Marken zugeschnittenes Kundenbindungsprogramm. Würde es für Sie Sinn machen, auch die mit einzubinden?
Aus Sicht der Autofahrer ist es wünschenswert, dass sich auch die Markführer für Marktplätze öffnen und wir freuen uns immer über mehr Wettbewerb: mögen die Kunden dann entscheiden.
Einige der Apps, die Ihre Kunden verwenden, werden über Netzinfrastruktur Ihres Zahlungsdienstleisters WEAT angebunden. Befürchten Sie nicht, dass es dadurch zu einem Lock-in-Effekt kommen kann?
Mit der WEAT verbindet uns – wie auch andere Mineralölgesellschaften – seit vielen Jahren eine partnerschaftliche und von Offenheit geprägte Zusammenarbeit. Neben dem reinen Netzbetrieb haben wir eine Vielzahl von Themen gemeinsam umgesetzt. Mit dem Mobile Payment Hub wurde eine Grundlage geschaffen, um in der ganzen Breite des Marktes digitale Angebote voranzutreiben. Natürlich kann man Lock-in-Effekte trotzdem nicht ausschließen, aber aus unserer Sicht überwiegen eindeutig die Chancen.
In der digitalen Shoppingwelt geht an PayPal kein Weg vorbei …”
… und in zunehmend mehr Branchen müssen online und offline Retailing zu einem integrierten Angebot werden.
Das geht aber nur, wenn die Player aus beiden Welten alte Grenzen überwinden. In den Gesprächen mit PayPal ist das sehr schnell passiert und mit ihrer intelligenten Zahlungsmethode stellt PayPal für die Marke HEM einen essentiellen und strategischen Partner für zukünftige digitale Angebote dar.
Neben PayPal wird es aber zeitnah weitere Bezahllösungen geben, welche an den Mobile Payment Hub angeschlossen werden und somit den Kunden auch an den HEM-Tankstellen zur Verfügung stehen.
Und natürlich haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auch die Deutsche Kreditwirtschaft zeitnah ein erfolgreiches digitales Angebot in Form einer girocard In-App-Lösung bereitstellen wird.”
Carsten Pohl wurde 1966 in Hamburg geboren. Er absolvierte das Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsakademie Hamburg und arbeitete sieben Jahre bei der Deutschen Shell im Innen- und Außendienst. 1995 wechselte er zu dem inhabergeführten Mineralölhandelsunternehmen Hamburg Eggert Mineralöl. Nach der Übernahme des Unternehmens durch die Oilinvest-Gruppe hatte er verschiedene Funktionen in Deutschland und Europa inne. Im Jahr 2000 übernahm er die Leitung des Tankstellengeschäfts und seit 2011 ist Carsten Pohl Geschäftsführer des in Deutsche Tamoil (Website) umfirmierten Unternehmens.
Können Sie uns eigentlich schon Zahlen zum Erfolg von Pay@Pump nennen? Wie hoch ist zum Beispiel der Umsatzanteil bei Ihren erfolgreichsten Station? Können Sie bei den Nutzern der App eine höhere Loyalität erkennen? Sind Tankumsätze bei diesen Kunden höher als im Durchschnitt?
Konkrete Zahlen sind natürlich interessant, allerdings darf ich diese nicht nennen. Nur so viel sei zu diesem Thema gesagt: Die Wachstumsraten in 2020 waren sehr erfreulich, aber die prozentualen Anteile sind im Vergleich zu unserem klassischen Geschäft noch eher gering. Uns kommt es aktuell auch nicht so sehr auf die Nutzerzahlen an, die wir heute haben, sondern auf das Potenzial, welches in solchen Anwendungen steckt.
Man kann es vielleicht ein wenig mit der Einführung des kontaktlosen Bezahlens in Deutschland vergleichen: 2010 ist man flächendeckend gestartet, hier gab es anfänglich das „Henne-Ei-Problem“ zwischen NFC-fähigen Terminals und Karten. Knapp zehn Jahre später ist das kontaktlose Bezahlen in Deutschland aber zum „neuen Normal“ geworden. Bei den Möglichkeiten des digitalen Bezahlens an Tankstellen erwarten wir eine schnellere Verbreitung und aktive Nutzung durch den Kunden.
Ist eigentlich die Sorge der Pächter berechtigt, dass durch Connected Fuel die Shop-Umsätze sinken?
Aktuell können wir diese Tendenz nicht feststellen, da die heutigen Nutzer der digitalen Lösungen auch nicht zwangsläufig die Shopkäufer „von gestern“ waren.
Ab wann werden die Kunden mit den Apps auch weitere Services wie die Autowäsche nutzen können? Wird das flächendeckend freigeschaltet, oder sind dazu an den Stationen noch technische Nachrüstungen erforderlich?
Wir arbeiten zusammen mit einigen Partnern am Ausbau der digitalen Angebote. Eine vielversprechende Neuerung jenseits des „pay@pump“ werden wir dieses Jahr noch an unseren Tankstellen ausbringen. Seien Sie also gespannt, was Sie bald an den HEM-Tankstellen erwartet – wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Können Sie sich vorstellen, auf diese Art und Weise auch das Stromtanken anzubieten?
In diesem Bereich gibt es aktuell noch unterschiedliche Modelle der Bereitstellung von Ladesäulen, nicht alle Lösungen werden direkt durch die Mineralölgesellschaften betrieben. Zudem erfolgt erst jetzt eine weitergehende Standardisierung der Bezahlverfahren. Mittelfristig ist es aber denkbar, dass auch die heutigen Apps das Bezahlen anbieten werden, sofern die technischen Grundlagen entsprechend geschaffen wurden.Rudolf Linsenbarth
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