Behavioral Banking: Geteilter Datenschatz ist doppelte Freude
Eine gute Beratung berücksichtigt neben fachlicher Expertise auch immer menschliche und emotionale Aspekte. Früher verließen sich Banken dabei auf das Einfühlungsvermögen erfahrener Kundenberater. Digitale Kontaktkanäle, Self-Help-Services sowie das Aufkommen neuer Plattformen und Ökosysteme erfordern jedoch ein Umdenken. Gleichzeitig eröffnen die neuen Technologien auch große Chancen.
von Maximilian Ebner, Head Transformation Consulting bei ti&m, und Christof Roßbroich, Senior Sales Executive bei ti&m
Im Zuge der Digitalisierung hat sich die Kundenschnittstelle geändert. War es früher in erster Linie ein Berater mit besonderer Erfahrung und Menschenkenntnis, der mit dem Kunden im Austausch stand, findet die Interaktion jetzt immer stärker über elektronische Kanäle statt. Das Problem: Die zur Verfügung stehende Menge an Informationen ist häufig verwirrend, zudem überschätzen sich viele Menschen. In der Folge werden zahlreiche Finanzentscheidungen eher aus dem Bauch heraus getroffen.Um die Kunden in die Lage zu versetzen, rationale Entscheidungen treffen zu können, sollten daher nach und nach Behavioral-Banking-Elemente in Produkte und Prozesse integriert werden. Bei einer schrittweisen Einführung hat sich der folgende Fahrplan zu einer Behavioral-Change-Initiative bewährt:
- Einen Prozess an der Kundenschnittstelle wählen, der komplexe Entscheidungssituationen aus Kundensicht einbezieht. Start small, scale big!
- Anwendungscases gestalten, um die Verhaltensnorm positiv zu prägen.
- Das Anwendungsdesign umsetzen. Dabei die digitale Kundenschnittstelle nutzen.
- Den Erfolg des Anwendungsdesigns anhand von KPIs überprüfen und daraus für künftige Anwendungen lernen.
- Iterativ ein Programm mit immer mehr Anwendungsfällen und Verhaltensnormen ausbauen.
Irrationales Handeln durch personalisierte Ziele vermeiden
Banken können mittels digitaler Anwendungen, die im Rahmen des Behavioral Banking optimiert wurden, Kunden vor finanziellen Fehlentscheidungen schützen, weil Lösungsvorschläge und Angebote so aufbereitet werden, dass kognitive Verzerrungen den Entscheidungsfindungsprozess nicht negativ beeinflussen. Stattdessen wird ein strategischer Ansatzpunkt gewählt, um das Kundenverhalten unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation positiv zu prägen.
Langfristig unterstützt Behavioral Banking den Kunden dabei, seine finanzielle Situation objektiver zu bewerten und irrationales Handeln durch personalisierte Ziele und Belohnungen zu vermeiden.”
Kunde und Bank profitieren dabei gleichermaßen und nachhaltig von einer solideren finanziellen Lage des Kunden. Wichtig dabei: Der Kunde muss immer die Entscheidungsgewalt behalten und darf sich nicht gegängelt fühlen, etwa durch störende Default-Einstellungen auf einer Internetseite.
Die Emotionen hinter den Daten
Banken bieten sich verschiedene Ansatzpunkte, um das Verhalten ihrer Kunden zu lenken: Beim Framing wird ein Rahmen gesetzt, der eine Botschaft positiv verpackt und steuert. Beim sogenannten Nudging hingegen werden Anreize geschaffen, die Kunden zum positiven, rationalen Handeln „anzustupsen“.
Ein Beispiel: Probanden wurden gebeten, über Schieberegler die Höhe ihrer monatlichen Rücklagen für die Altersvorsorge zu bestimmen. Wurden lediglich Zahlen bzw. Prozentangaben in der Skala gezeigt, fiel die gewählte Summe niedriger aus als in einem vergleichbaren Versuchsaufbau, bei dem Emotionen geweckt wurden. Dafür wurde die Skala mit einem menschlichen Gesicht flankiert, bei dem sich die Mimik in Abhängigkeit zur gewählten Vorsorgesumme veränderte. Je mehr Rücklagen gebildet wurden, desto positiver das Minenspiel.
Nudging und Framing sollten dabei nicht als einzelner Aspekt – zum Beispiel im UX-Design – verstanden werden. Stattdessen empfiehlt sich ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem über die Digitalisierung die gesamte Prozesskette iterativ optimiert wird.
Dass es funktioniert, wurde bereits mehrfach bewiesen. Mit der Discovery Bank startete im März 2019 in Südafrika erstmals ein Finanzinstitut, das sich komplett an Behavioral-Banking-Richtlinien orientiert. Und im Rahmen eines Behavioral-Banking-Projekts untersuchte eine europäische Bankengruppe mit mehr als 100.000 Mitarbeitern weltweit, wie Kunden Entscheidungen fällen und welche Hindernisse es gibt, um rationale Entscheidungen zu treffen. Unter anderem wurde untersucht, warum viele Interessenten bei Kreditanträgen vom Online-Prozess abspringen. Das Ergebnis: Die gewählte Sprache und die Menge an zur Verfügung gestellten Informationen überforderten viele Nutzer. Also überarbeiteten die Experten den Online-Hypothekenrechner und stellten das Portal auf eine nutzerfreundlichere Sprache um. Das Ergebnis: plus 150 Prozent bei Online-Kreditanträgen.
Warum handelt der Mensch irrational?
Ursprung der Wahrnehmungs- und Denkfehler des Bankkunden ist meist eine unklare oder komplexe Informationslage. Sind alle Daten bekannt, zum Beispiel bei einer einfachen Rechenaufgabe, kann der Mensch eine rationale, klare Entscheidung fällen. Aber sobald die Informationsflut zunimmt und Unwägbarkeiten die Entscheidungsfindung erschweren, beeinflussen kognitive Verzerrungen den Prozess, darunter zum Beispiel:
- Die Selbstüberschätzung eigener Fähigkeiten und Kompetenzen. Diese Verzerrung ist insbesondere in komplexen Situationen stark ausgeprägt.
- Lernen durch Verstärkung ist ein Lerneffekt, der aus eigenen Handlungen resultiert. So wird Verhalten, welches positive Konsequenzen mit sich bringt, häufiger wiederholt.
- Automatisierungsverzerrung ist die Neigung des Menschen, Vorschläge aus automatisierten Entscheidungsfindungssystemen zu bevorzugen und widersprüchliche Informationen, die ohne Automatisierung erstellt wurden, zu ignorieren – selbst dann, wenn diese korrekt sind.
- Der Anker-Effekt tritt ein, wenn sich ein Mensch unbewusst an einem „Anker“ orientiert und dies seine Einschätzung einer Situation beeinflusst. Beispiel: Wenn ein Anleger mit einer bestimmten Aktie einmal Geld verdient hat, beeinflusst dies auch künftige Entscheidungen zu diesem Wertpapier positiv.
- Ergebnisverzerrung ist eine Verzerrung, die sich auf bereits getroffene Entscheidungen aus der Vergangenheit bezieht. Die Entscheidungen werden nach dem Endergebnis beurteilt und nicht nach der Qualität der Entscheidung zu dem Zeitpunkt, als sie getroffen wurde.
Die Folge dieser kognitiven Verzerrungen sind finanzielle Fehlentscheidungen mit teils beträchtlicher Tragweite: zu hohe Zinszahlungen für Kredite, lückenhafte Altersvorsorgepläne oder verlustreiche Investmententscheidungen.
Fazit
Der Bankenbranche bietet sich die Chance, im Zuge der Digitalisierung das Potenzial der angewandten Verhaltenswissenschaft auszuschöpfen. Ausgehend von den deskriptiven Daten fließen zusätzlich verhaltenspsychologische Informationen in die Aufbereitung des Produktangebots ein. Das ermöglicht neue Kundenerlebnisse und bedeutendes Erlöspotenzial für die Bank. Vor allem im Beyond-Banking-Bereich werden die Vorteile sichtbar:
Denn mit dem Aufkommen neuer Plattformen und der Verknüpfung verschiedener Dienstleistungen oder Einzelhandelsprodukte treten die emotionalen Aspekte eines Bankkunden noch stärker in den Vordergrund.”
Innerhalb eines Banken-Ökosystems gibt es also einen umfangreichen Datenschatz, der im Sinne des Kunden aufbereitet werden kann, damit er finanziell richtige und nachhaltig erfolgreiche Entscheidungen trifft.Maximilian Ebner und Christof Roßbroich, ti&m
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