LIBOR-Ende kann teuer werden: Schlaue Systeme federn Migrationskosten ab
Die Tage des Referenzzinssatzes LIBOR sind gezählt: Laut britischer Bankenaufsicht soll die London Interbank Offered Rate bis Ende 2021 abgelöst werden. Eine Veränderung, die von Finanz-, Investment- und Risikomanagern selbstverständlich aufmerksam mitverfolgt wird. Doch nicht nur für das operative Geschäft, auch für CIOs stellt sich die Frage, wie die Folgen einer notwendigen Systemmigration zu Buche schlagen. Billig wird das Ende von LIBOR auf jeden Fall nicht – weder operativ noch technologisch. Gerade deshalb sind jetzt ein paar kluge Investitionsentscheidungen aus dem IT-Management gefragt.
Von Christine Bazanowski Scaffidi, Senior Principal Product Manager bei Finastra
Die entscheidende Nachricht gleich vorweg: Nach unseren Untersuchungen gehen wir davon aus, dass die Einstellung des britischen LIBOR und die damit einhergehende Umstellung auf risikofreie Zinssätze (risk-free interest rates – RFR) die Finanzbranche global über 8 Milliarden US-Dollar kosten wird. Eine Zahl, die nachhallt – und Verluste beschreibt, die gerade in der momentanen Situation niemand gebrauchen kann. Umso wichtiger ist es, die Migration von LIBOR zu alternativen Rating-Konzepten sowohl operativ als auch technisch mit System und Sachverstand anzugehen.
LIBOR – und was sich dahinter verbirgt
Der LIBOR bildet den durchschnittlichen Zinssatz ab, zu dem renommierte, international agierende Bankhäuser an der Londoner Börse bereit sind, sich von anderen Banken Geld zu leihen. Der vom britischen Bankenverband BBA 1986 etablierte Standard ist von globaler Relevanz und sollte vor allem dazu dienen, die Preisberechnung von Finanzprodukten zu erleichtern – ein Konzept, das lange aufging, heute leider unter einem Vertrauensverlust leidet.
Die Art und Weise, wie der LIBOR berechnet wird, ist nicht mehr wirklich repräsentativ für die Transaktionen und Aktivitäten auf den Märkten, auf denen er verwendet wird. Die Regulierungsbehörden fordern, dass die Branchen-Benchmarks auf den tatsächlichen Marktaktivitäten basieren und von diesen angetrieben werden und nicht von den Ansichten und Eingaben einer Handvoll Institutionen.”
Es ist absehbar, dass sich auch andere Interbank-Zinssätze wie EURIBOR oder TIBOR ändern werden. Die Regulierungsbehörden möchten, dass sie ersetzt werden oder zumindest die Methodik zur Bestimmung der Referenzzinssätze geändert wird. Der Umstand, dass weltweit die Nennwerte von Finanzprodukten mit einem Gesamtwert von über 400 Billionen US-Dollar auf IBOR-Sätzen basieren, verdeutlich die Tragweite der anstehenden Veränderungen.
Ersatz muss her: risikofreie Zinssätze als Alternative
Die Abkehr von LIBOR und anderen IBOR-Sätzen kann selbstverständlich nicht ersatzlos erfolgen; nationale wie internationale Regulationsbehörden und Notenbanken treiben deshalb die Umstellung auf risikofreie Zinssätze voran. Allerdings kommen von den Behörden kaum klare Vorgaben, wie dieser Wechsel durchzuführen ist. Die britische FCA (Financial Conduct Authority) ist zwar der zuständige Regulierer für LIBOR, aber das genaue Datum, an dem sie die offizielle Erklärung abgeben werden, dass es den LIBOR nach 2021 nicht mehr geben wird, ist noch nicht bekannt.
Besonders schwer wiegt darüber hinaus die Tatsache, dass LIBOR nicht nur Overnight-, also zur 1-Tages-Laufzeiten, sondern in sechs weiteren Zyklen berechnet wird: eine Woche, ein Monat, zwei Monate, drei Monate, sechs Monate und zwölf Monate.”
Im Gegensatz dazu sind die verfügbaren risikofreien Zinssätze derzeit nur täglich verfügbar. Früher oder später erwartet man auch zukünftige Terminzinssätze, nicht aber vor Ende 2021. Und dennoch – trotz aller Unterschiede und regulatorischer Abweichungen – ist der Wechsel zu RFRs ratsam, stellt doch alleine die Unsicherheit um die Zukunft des britischen Benchmarksatzes ein markantes Geschäftsrisiko für Finanzunternehmen dar.
Migration wird kein Spaziergang
Ein breites Spektrum an Finanzprodukten ist bei der Preiskalkulation an LIBOR gebunden. Im Wertpapierhandel sind dies vor allem Zinsswaps und Zinsoptionen, variabel verzinsliche Anleihen, Forward Rate Agreements (FRA) oder auch Devisengeschäfte. Auf Bankenseite beziehen sich fast alle Konsortialanleihen auf den Londoner Leitzinssatz. Ähnlich ist es um private Baufinanzierungen, gewerbliche Hypotheken, Unternehmenskredite, Kreditkarten und ähnliche Verbraucherdarlehen bestellt.
Aufgrund des Facettenreichtums der zugrundeliegenden Finanzprodukte ist ein Wechsel von LIBOR zu anderen Rating-Systemen alles andere als ein Spaziergang.”
Denn anders als beispielsweise bei der Euro-Umstellung gibt es in diesem Fall weder ein verbindliches Datum noch einen festen Umtauschkurs von damals 1 Deutsche Mark = 0,51 Euro. Die Harmonisierung von einer Unmenge an Verträgen und damit auch von Prozessen und Anwendungen wird bei der Umstellung von LIBOR auf RFRs weitaus komplexer sein. Der Umstand, dass risikofreie Zinssätze im Gegensatz zu oft langläufigeren Interbankraten ausschließlich als Overnight-Rate ausgegeben werden, erschwert die Migration bestehender LIBOR-Verträge zusätzlich, da bisher geltende Berechnungsgrundlagen teilweise komplett hinfällig werden.
Alte Verträge neu verhandeln
Bedarf an zusätzlichen, intelligenten Systemen ist groß
Im Zuge der LIBOR-Umstellung wird jede einzelne Anwendung im Unternehmen, die in irgendeiner Art und Weise mit der Londoner Benchmark-Rate in Verbindung steht, mindestens kleinere Modifikationen benötigen. Doch bevor der Blick auf dem Update bestehender Lösungen verharrt, sollten CIOs zusätzlich die Bereitstellung komplett neuer Systeme in Betracht ziehen.
Die Restrukturierung von dokumentenbasierten Prozessen und Anwendungen zum Management der LIBOR-Migration stellt besondere Anforderungen. So wird es ausgesprochen hilfreich sein, LIBOR-basierte Verträge automatisch identifizieren und sprachliche Hinweise auf Fall-Back-Klauseln extrahieren zu können.”
Hierzu müssen Unternehmen oft Originalverträge zur Hand nehmen – Verträge, die teilweise Jahrzehnte zurückreichen, mehrere Übernahmen weitervererbt wurden und zudem nur als Scan in den Archiven deponiert sind. Damit liegen wichtige Vertragsdaten unstrukturiert und in natürlicher Sprache vor – im Gegensatz zu jüngeren, strukturiert erfassten Vereinbarungen. Wie lässt sich diese massive Informationsheterogenität meistern? Der Schlüssel liegt im Einsatz von künstlicher Intelligenz. Sind die Verträge einmal identifiziert und ihre Inhalte analysiert, geht es an den Kern der Migration: Eine neue Vertragssprache muss entwickelt, angepasste Module müssen aufgesetzt und implementiert, neue Formulierungen müssen abgestimmt werden.
Kosten bremsen durch gezielte Investition
Mit der IST-Analyse des Vertragsbestandes ist die unverzichtbare Grundlage für eine nahtlose LIBOR-Migration geschaffen. Die anschließenden bi- oder multilateralen Verhandlungs- und Freigaberunden erfordern ebenfalls ein stringentes Prozess- und Dokumentenmanagement.
Workflow-Tools sind in dieser Phase zielführend, um den Verhandlungsfortschritt transparent abzubilden.”
Sind die Vertragsbedingungen ausverhandelt, müssen zu guter Letzt neue Zinsraten und die zugrundeliegenden Berechnungsmethoden in die Buchungssysteme integriert werden. Im Hinblick auf bestehende IT-Assets müssen Lösungen, die bisher lediglich einen spezifischen Zinssatz managen mussten, daraufhin überprüft werden, inwiefern sich mit ihnen multiple Ratings und komplexere Konditionen abbilden lassen. Ebenso muss die Software zur Preiskalkulation und das Risk Management einem Update unterzogen werden. All diese Maßnahmen – sowohl die Entwicklung und Inbetriebnahme neuer Systemmodule als auch die Modifizierung bestehender IT-Bausteine – bringen zunächst einen deutlichen Investitionsbedarf mit sich. Investitionen, die sich mittelfristig allesamt lohnen.
Denn bisher wurden die nötigen Maßnahmen, die im Zuge der LIBOR-Migration notwendig werden, deutlich unterschätzt.”
Es geht eben um weit mehr als nur darum, mit einem Handgriff ein Rating-System durch ein anderes zu ersetzen. Die vertraglichen Rahmenbedingungen für Finanzprodukte werden sich sowohl im Wertpapierhandel als auch im Retail Banking nachhaltig verändern. Transparente und rechtlich wasserdichte Workflows sind hier unabdingbar für einen möglichst nahtlosen Übergang im operativen Geschäft – und zur Vermeidung ungewollter Kosten, beispielsweise durch Verzögerungen bei den Vertragsverhandlungen und Rechtsstreitigkeiten. Vor diesem Hintergrund wird die Investition in die IT und intelligente Systeme jeden Cent wert sein und die finanziellen Folgen der unumgänglichen LIBOR-Migration abfedern.
Intelligente Tools bilden Prozesse lückenlos ab
Es gibt inzwischen eine Reihe renommierter Finanz-IT-Lösungen, die Technologieanbieter wie Finastra speziell für eine effiziente und kostenschonende Umstellung von LIBOR auf RFRs erweitert haben. Moderne Softwareprodukte decken den gesamten Lebenszyklus eines Kredites ab – was komplexe Bearbeitungsschritte wie eben das Kredit-Rating deutlich vereinfacht.
Maßgeschneiderte Lösungen unterstützen spezifische Prozesse und Workflows, die an aktuelle Anforderungen angepasst sind und Änderungen wie etwas den Wegfall von LIBOR und die Einbindung von risikofreien Ratings automatisiert integrieren.”
Finanzinstitute und Unternehmen sind gut beraten, wenn sie diese Unterstützung nutzen: Die passende Lösung bietet ein lückenloses Prozessmanagement und verfügt über eine Echtzeit-Überwachung, die frühzeitig Ausreißer identifiziert und Fehler behebt, und so hilft, die Kosten für die LIBOR-Migration gering zu halten.aj
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