Fiducia GAD IT: „Wir werden in einigen Handlungsfeldern eine 180‑Grad-Kurve in die Zukunft fliegen“
Vor fast genau 5 Jahren haben die Volks- und Raiffeisenbanken ihre IT von der Fiducia und GAD auf ein genossenschaftliches IT-Unternehmen (Fudicia GAD IT) zusammengefasst. Inzwischen sind alle VR Banken auf agree21 angekommen. Weniger turbulent ist es in Karlsruhe und Münster deshalb aber nicht geworden. Nun hat Martin Beyer das Ruder übernommen und im Handelsblatt einen interessanten Strategiewechsel angekündigt – vor allem in Bezug auf die Zusammenarbeit mit FinTechs. Wir haben bei Martin Beyer nachgefragt.
Herr Beyer, im Jahre 2015 begann die Migration von bank21 auf agree21 – also die Migration der ehemaligen GAD-Banken. Wie würden Sie diese vergangenen sicher sehr arbeitsintensiven Jahre beschreiben?
In der Tat, die letzten fünf Jahre waren arbeitsintensiv! Insbesondere die Serienmigration auf agree21 stellte eine große Herausforderung für das gesamte Unternehmen, vor allem aber auch für die Banken, dar: Im Zuge von 60 Serienmigrations-Wochenenden haben wir gut 60.000 Bankarbeitsplätze sowie 13.000 Selbstbedienungsterminals und etwa 21,5 Millionen Kundenkonten in das agree21-System überführt. Die Vereinheitlichung des IT-Verfahrens führt nicht nur zu einer nachhaltigen Kostenoptimierung, sondern schafft auch die Voraussetzung für unsere neue IT-Strategie, die den Herausforderungen des Marktes und der Digitalisierung gerecht wird.Bislang notwendige Doppelentwicklungen entfallen, Innovationen können auf der Grundlage eines einheitlichen Bankverfahrens schneller umgesetzt werden, Mehraufwände für Wartung und Pflege verschiedener Softwaresysteme sind nicht mehr nötig.”
Aber auch IT-Infrastrukturen können vereinheitlicht werden, wie zum Beispiel unsere Cloud-Lösungen. Die dadurch erzielten IT-Kosteneinsparungen summieren sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr und diese Effekte werden ab Oktober 2020 den Kunden in Höhe von 125 Millionen Euro pro Jahr auch weitergeben.
Wie wir gehört haben, steht die Fiducia GAD nun kurz vor der Vollendung der Zusammenführung der unterschiedlichen Organisationsstrukturen. Mit einem sehr umfangreichen und groß angelegten Transformationsprojekt soll die gesamte Belegschaft der Fuiducia GAD inklusive des Führungsteams in Richtung agiler Organisation neu aufgestellt werden und damit für die Herausforderungen der kommenden Jahre gewappnet sein. Welches sind die Kernpunkte dieser internen Veränderung und Neuausrichtung?
Mit der Transformation richten wir unser Unternehmen ganz neu auf die Anforderungen der Zukunft aus – mit einer agilen Organisation und einer ganz neuen strategischen Ausrichtung für unser Unternehmen und für unsere IT. Das Wichtigste dabei: Wir denken konsequenter von unseren Kunden aus und stellen die Kundenlösung viel stärker und mit höchster Priorität in den Mittelpunkt des Lösungsportfolios. Begleitet wird dies von nachhaltigen Änderungen unserer Unternehmensorganisation. Unser neues Zusammenarbeitsmodell basiert auf einer Ende-zu-Ende-Verantwortung und setzt damit das unternehmerische Handeln in den Mittelpunkt.
Eigenverantwortlich funktionierende Teams arbeiten cross-funktional an ihren Produkten und Services. Agile Arbeit findet nicht mehr nur in der Entwicklung, sondern sukzessive unternehmensweit – aber auch in der Zusammenarbeit mit den Kunden und Verbundunternehmen – statt.”
Dadurch etablieren wir eine neue Unternehmenskultur, die weniger hierarchiegeleitet, sondern eigenverantwortlich arbeitet, Innovationen fördert und damit auch das gemeinsame Wir-Gefühl stärkt.
Und das werden auch unsere Kunden und der Verbund spüren: Es wird künftig eine andere Fiducia & GAD geben, auch in unserem kulturellen Miteinander und Füreinander mit unseren Kunden!”
Auch Ihre Eigentümer und Kunden – die Volks- und Raiffeisenbanken – unterliegen gerade jetzt erheblichen Herausforderungen und müssen ihre Geschäftsmodelle ständig auf veränderte Situationen ausrichten. Welche Unterstützung können Sie dabei leisten?
Die Bankenwelt unterliegt gerade disruptiven Veränderungen und das nicht erst seit der Corona-Krise. Die Volks- und Raiffeisenbanken müssen sich auf das digitale Zeitalter einstellen, ohne dabei die Nähe zum Kunden zu verlieren. Dieser Wandel ist angesichts des rasanten Wettbewerbs dringend auf den Weg zu bringen.
Im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen dabei die IT-Lösungen – und damit auch maßgeblich wir.”
Kunden und Mitglieder der Genossenschaftsbanken sollen in den kommenden Jahren attraktive Mehrwerte über das reine Banking hinaus erhalten und somit über Lebensphasen und Lebenswelten von den VR-Banken begleitet werden. Und: Die Bankprozesse müssen durch Automation und Standardisierung deutlich effizienter werden, mit einem ganz anderen Anspruchsniveau. Wir unterstützen die Neuausrichtung der genossenschaftlichen FinanzGruppe dabei zu 100 Prozent.
Im Handelsblatt (“Volks- und Raiffeisenbanken bauen ihre IT um“) war zu lesen, dass jetzt auch ein Umbau der IT-Plattform geplant sei, Kooperationen mit FinTechs vorstellbar wären und auch auf Lösungen anderer IT-Dienstleister gesetzt werden soll. In der Börsenzeitung vom selben Tag wird sogar von einer 180-Grad Wende gesprochen. Gehen Sie jetzt von dem Ansatz, alles selbst entwickeln zu wollen weg und setzen unter der Sichtweise Make or Buy stärker auch auf Kooperationen?
Wir werden in einigen Handlungsfeldern eine 180-Grad-Kurve in die Zukunft fliegen – das kann man so sagen.”
Das ist sehr ambitioniert und wird uns und unser Geschäftsmodell verändern. Wir haben auch in der Vergangenheit hier und da mit FinTechs zusammengearbeitet. Das wollen wir in Zukunft aber verstärkt tun. Wir werden aber auch durch weitere Kooperationen und strategische Partnerschaften, primär im Technologiebereich, und Vernetzung mit der FinTech- und Start-up-Szene ganz neue Wege beschreiten. Dadurch profitieren insbesondere unsere Kunden von neuen innovativen Impulsen und einer schnelleren time-to-market-Geschwindigkeit.
Der Diplom-Betriebswirt Martin Beyer kam nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und nach Abschluss eines betriebswirtschaftlichen Studiums Ende 1991 zur GAD. Zu seinen Aufgaben zählten unter anderem die Einführung des SAP-Systems im Konzern und die Neuausrichtung der Unternehmenssteuerung in der GAD. 2006 wurde er zum Bereichsleiter Unternehmenssteuerung und -entwicklung ernannt und verantwortete in dieser Funktion das Finanz- und Rechnungswesen, das Unternehmenscontrolling, das Beteiligungsmanagement und Recht. 2013 wurde Martin Beyer Generalbevollmächtigter und Leiter des Ressorts Finanzen.
Der besondere Vorteil: Wir verfügen über einen großen Banking-Erfahrungs- sowie -Datenschatz, Smart-Analytic-Services, ein sehr hohes IT-Sicherheits-Niveau und aufsichtsrechtliche Compliance, aber – ganz entscheidend – über einen breiten Kundenzugang quasi auf Knopfdruck.”
Im Zusammenhang mit der Digitalisierungsstrategie der genossenschaftlichen Bankengruppe obliegt dem IT-Dienstleister eine besondere Verantwortung. Welche Projekte stehen aktuell im Vordergrund und für wann planen Sie die Umsetzung?
Wir werden unser Kernbankverfahren auf die Zukunft zuschneiden und zu einer offenen Integrationslösung weiterentwickeln. Im Rahmen der Digitalisierungsoffensive werden wir Banking-Services, aber auch ergänzende digitale Non-Banking-Lösungen mit regionaler Prägung für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sukzessive mit einer modernen Plattformtechnologie bereitstellen und mit dem Buchungskern von agree21 auf einer Integrationsplattform verbinden.
Ein unschätzbarer Vorteil: Wir haben bereits entsprechende Lösungen und Technologien im Markt. Unsere Vertriebsplattform, die wir im Rahmen der Digitalisierungsoffensive der genossenschaftlichen FinanzGruppe entwickeln, ist bereits mit ersten digitalen Lösungen in Betrieb und technologisch zukunftsorientiert ausgerichtet.
Gleiches gilt für die Steuerungsplattform, die wir in Kooperation mit msgGillardon entwickeln. Auch hier stehen den Kunden erste Lösungen zur Verfügung. Das Projekt wird bis Mitte 2021 einen ersten Abschluss finden, wobei die Regulatorik ja niemals stillsteht.
Durchstarten werden wir ab Herbst 2020 dann mit der Produktionsbank.”
Hier sehen wir die größten Potenziale zur Effizienzsteigerung bei unseren Kunden mit Blick auf die bankinternen Prozesse. Das passiert alles nicht von heute auf morgen – die Umsetzung wird ein Marathon sein, aber mit vielen Sprints. So stellen wir sicher, dass schnell auch erste Ergebnisse für unsere Kunden sichtbar werden.
Die Anforderungen der Volks- und Raiffeisenbanken sind diesbezüglich sicher sehr vielfältig und sicher auch heterogen. Wie schaffen Sie es, das alles unter einen Hut zu bringen?
Indem wir auf der einen Seite standardisierte und automatisierte Lösungen bereitstellen, die aber jede Bank für sich individuell erweitern und nutzen kann. Miteinander und Füreinander lautet die Devise der genossenschaftlichen FinanzGruppe. Mit unserer neuen IT-Strategie und mit einer offenen Plattformlösung haben wir die Möglichkeit, individuelle oder Dritt-Lösungen zu adaptieren und diese im Sinne des Füreinanders auch anderen Banken zur Verfügung zu stellen.
Wie ist diesbezüglich die Rollenaufteilung zwischen Ihnen, der DZ-BANK, dem BVR und allen anderen Verbundunternehmen?
Unsere Strategien werden hier eng aufeinander abgestimmt sein. Wir arbeiten gemeinsam daran, die Volksbanken und Raiffeisenbanken fit für die Zukunft zu machen, da müssen Einzelinteressen im Zweifel hinten anstehen.
Die BaFin hat sich in jüngster Zeit explizit mit dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell befasst, unter anderem hat es ja auch Sonderprüfungen hinsichtlich der IT-Plattform gegeben. Wie weit sind Sie mit der Abarbeitung der beanstandeten Punkte?
Die Fiducia & GAD arbeitet weiter nach einem abgestimmten Meilensteinplan an der Abarbeitung der Mängel und ist voll im Plan: Mehr als 50 Prozent der Mängel waren bereits bis Ende 2019 abgemeldet, im Laufe des Jahres 2021 werden die Mängel abgearbeitet sein – das haben wir mit der BaFin vereinbart.”
Auch im Vorstand hat es seit der Fusion deutliche Veränderungen gegeben. Seit dem tragischen Unfalltod Ihres Kollegen Jens-Olaf Bartels sind Sie alleiniger Vorstandssprecher, ab Oktober soll Ullrich Coenen – bisher in der Commerzbank verantwortlich für Digitalisierung – im Vorstand für das Thema Digitalisierung stehen. Welche Erwartungen knüpfen Sie an diese Personalie und sind noch weitere Ergänzungen des aktuell dreiköpfigen Vorstands geplant?
Wir sind froh, dass wir mit Ulrich Coenen [mehr dazu hier, die Red.] ab Oktober Verstärkung erhalten. Er besitzt eine ausgezeichnete Fachexpertise und insbesondere vor dem Hintergrund unserer Neuausrichtung passen sein Profil und seine Expertise perfekt zu uns. Über die weitere Ausgestaltung des Vorstandsteams arbeiten wir in enger Abstimmung mit dem Aufsichtsrat, hier sind noch keine Entscheidungen getroffen. Unseren verstorbenen Kollegen Jens-Olaf Bartels vermissen wir alle sehr. Er hatte die Neuausrichtung der Strategie mit auf den Weg gebracht.
Wenn Sie fünf Jahre nach vorne schauen, wo sehen Sie die genossenschaftliche Gruppe insgesamt und wie würden Sie sich dann die Rolle der Fiducia GAD wünschen?
In fünf Jahren wird die genossenschaftliche FinanzGruppe Lebensbegleiter und Vertrauenspartner der genossenschaftlichen Bankkunden und Mitglieder sein und mehr als Banking-Services bieten. Die Fiducia & GAD begleitet die Volksbanken und Raiffeisenbanken als wichtiger und etablierter strategischer Geschäftspartner in Sachen IT-Lösungen und Digitalisierung, quasi als “Business Enabler” auf dem Weg dorthin. Das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken ist in die digitale Welt transferiert und hat dabei die Nähe und enge Bindung zu den Kunden und Mitgliedern nicht verloren, sondern gefestigt und ausgebaut. Dabei stehen unsere Lösungen und Plattformen im Mittelpunkt der Verbund-IT.
Herr Beyer, vielen herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg.aj
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